Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

Bild:
<< vorherige Seite

XVII. Papismus und Ultramontanismus.
Synoden und des Deutschen Reichstags in den letzten Jahren
zu lesen. Im Einklang damit stehen die Bemühungen vieler
weltlicher Regierungen, sich mit dem geistlichen Regimente, ihrem
natürlichen Todfeinde, auf möglichst guten Fuß zu setzen, d. h.
sich dessen Joche zu unterwerfen; als gemeinsames Ziel schwebt
dabei den beiden Verbündeten die Unterdrückung des freien Ge-
dankens und der freien wissenschaftlichen Forschung vor, mit dem
Zwecke, sich auf diese Weise am leichtesten die absolute
Herrschaft
zu sichern.

Wir müssen ausdrücklich betonen, daß es sich hier um noth-
gedrungene Vertheidigung der Wissenschaft und der Ver-
nunft gegen die scharfen Angriffe der christlichen Kirche und
ihrer gewaltigen Heerschaaren handelt, und nicht etwa um un-
berechtigte Angriffe der ersteren gegen die letzteren. In erster
Linie muß dabei unsere Abwehr gegen den Papismus oder
Ultramontanismus gerichtet sein; denn diese "alleinselig
machende" und "für Alle bestimmte" katholische Kirche ist nicht
allein weit größer und weit mächtiger als die anderen christ-
lichen Konfessionen, sondern sie besitzt vor Allem den Vorzug
einer großartigen, centralisirten Organisation und einer unüber-
troffenen politischen Schlauheit. Man hört allerdings oft von
Naturforschern und von anderen Männern der Wissenschaft die
Ansicht äußern, daß der katholische Aberglaube nicht schlimmer
sei als die anderen Formen des übernatürlichen Glaubens, und
daß diese trügerischen "Gestalten des Glaubens" alle in gleichem
Maße die natürlichen Feinde der Vernunft und Wissenschaft
seien. Im allgemeinen theoretischen Princip ist diese Behauptung
richtig, aber in Bezug auf die praktischen Folgen irrthümlich;
denn die zielbewußten und rücksichtslosen Angriffe der ultra-
montanen Kirche auf die Wissenschaft, gestützt auf die Trägheit
und Dummheit der Volksmassen, sind vermöge ihrer mächtigen

XVII. Papismus und Ultramontanismus.
Synoden und des Deutſchen Reichstags in den letzten Jahren
zu leſen. Im Einklang damit ſtehen die Bemühungen vieler
weltlicher Regierungen, ſich mit dem geiſtlichen Regimente, ihrem
natürlichen Todfeinde, auf möglichſt guten Fuß zu ſetzen, d. h.
ſich deſſen Joche zu unterwerfen; als gemeinſames Ziel ſchwebt
dabei den beiden Verbündeten die Unterdrückung des freien Ge-
dankens und der freien wiſſenſchaftlichen Forſchung vor, mit dem
Zwecke, ſich auf dieſe Weiſe am leichteſten die abſolute
Herrſchaft
zu ſichern.

Wir müſſen ausdrücklich betonen, daß es ſich hier um noth-
gedrungene Vertheidigung der Wiſſenſchaft und der Ver-
nunft gegen die ſcharfen Angriffe der chriſtlichen Kirche und
ihrer gewaltigen Heerſchaaren handelt, und nicht etwa um un-
berechtigte Angriffe der erſteren gegen die letzteren. In erſter
Linie muß dabei unſere Abwehr gegen den Papismus oder
Ultramontanismus gerichtet ſein; denn dieſe „alleinſelig
machende“ und „für Alle beſtimmte“ katholiſche Kirche iſt nicht
allein weit größer und weit mächtiger als die anderen chriſt-
lichen Konfeſſionen, ſondern ſie beſitzt vor Allem den Vorzug
einer großartigen, centraliſirten Organiſation und einer unüber-
troffenen politiſchen Schlauheit. Man hört allerdings oft von
Naturforſchern und von anderen Männern der Wiſſenſchaft die
Anſicht äußern, daß der katholiſche Aberglaube nicht ſchlimmer
ſei als die anderen Formen des übernatürlichen Glaubens, und
daß dieſe trügeriſchen „Geſtalten des Glaubens“ alle in gleichem
Maße die natürlichen Feinde der Vernunft und Wiſſenſchaft
ſeien. Im allgemeinen theoretiſchen Princip iſt dieſe Behauptung
richtig, aber in Bezug auf die praktiſchen Folgen irrthümlich;
denn die zielbewußten und rückſichtsloſen Angriffe der ultra-
montanen Kirche auf die Wiſſenſchaft, geſtützt auf die Trägheit
und Dummheit der Volksmaſſen, ſind vermöge ihrer mächtigen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0375" n="359"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">XVII.</hi> Papismus und Ultramontanismus.</fw><lb/>
Synoden und des Deut&#x017F;chen Reichstags in den letzten Jahren<lb/>
zu le&#x017F;en. Im Einklang damit &#x017F;tehen die Bemühungen vieler<lb/>
weltlicher Regierungen, &#x017F;ich mit dem gei&#x017F;tlichen Regimente, ihrem<lb/>
natürlichen Todfeinde, auf möglich&#x017F;t guten Fuß zu &#x017F;etzen, d. h.<lb/>
&#x017F;ich de&#x017F;&#x017F;en Joche zu unterwerfen; als gemein&#x017F;ames Ziel &#x017F;chwebt<lb/>
dabei den beiden Verbündeten die Unterdrückung des freien Ge-<lb/>
dankens und der freien wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen For&#x017F;chung vor, mit dem<lb/>
Zwecke, &#x017F;ich auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e am leichte&#x017F;ten die <hi rendition="#g">ab&#x017F;olute<lb/>
Herr&#x017F;chaft</hi> zu &#x017F;ichern.</p><lb/>
          <p>Wir mü&#x017F;&#x017F;en ausdrücklich betonen, daß es &#x017F;ich hier um noth-<lb/>
gedrungene <hi rendition="#g">Vertheidigung</hi> der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft und der Ver-<lb/>
nunft gegen die &#x017F;charfen Angriffe der chri&#x017F;tlichen Kirche und<lb/>
ihrer gewaltigen Heer&#x017F;chaaren handelt, und nicht etwa um un-<lb/>
berechtigte <hi rendition="#g">Angriffe</hi> der er&#x017F;teren gegen die letzteren. In er&#x017F;ter<lb/>
Linie muß dabei un&#x017F;ere Abwehr gegen den <hi rendition="#g">Papismus</hi> oder<lb/><hi rendition="#g">Ultramontanismus</hi> gerichtet &#x017F;ein; denn die&#x017F;e &#x201E;allein&#x017F;elig<lb/>
machende&#x201C; und &#x201E;für Alle be&#x017F;timmte&#x201C; katholi&#x017F;che Kirche i&#x017F;t nicht<lb/>
allein weit größer und weit mächtiger als die anderen chri&#x017F;t-<lb/>
lichen Konfe&#x017F;&#x017F;ionen, &#x017F;ondern &#x017F;ie be&#x017F;itzt vor Allem den Vorzug<lb/>
einer großartigen, centrali&#x017F;irten Organi&#x017F;ation und einer unüber-<lb/>
troffenen politi&#x017F;chen Schlauheit. Man hört allerdings oft von<lb/>
Naturfor&#x017F;chern und von anderen Männern der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft die<lb/>
An&#x017F;icht äußern, daß der katholi&#x017F;che Aberglaube nicht &#x017F;chlimmer<lb/>
&#x017F;ei als die anderen Formen des übernatürlichen Glaubens, und<lb/>
daß die&#x017F;e trügeri&#x017F;chen &#x201E;Ge&#x017F;talten des Glaubens&#x201C; alle in gleichem<lb/>
Maße die natürlichen Feinde der Vernunft und Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft<lb/>
&#x017F;eien. Im allgemeinen theoreti&#x017F;chen Princip i&#x017F;t die&#x017F;e Behauptung<lb/>
richtig, aber in Bezug auf die prakti&#x017F;chen Folgen irrthümlich;<lb/>
denn die zielbewußten und rück&#x017F;ichtslo&#x017F;en Angriffe der ultra-<lb/>
montanen Kirche auf die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft, ge&#x017F;tützt auf die Trägheit<lb/>
und Dummheit der Volksma&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ind vermöge ihrer mächtigen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[359/0375] XVII. Papismus und Ultramontanismus. Synoden und des Deutſchen Reichstags in den letzten Jahren zu leſen. Im Einklang damit ſtehen die Bemühungen vieler weltlicher Regierungen, ſich mit dem geiſtlichen Regimente, ihrem natürlichen Todfeinde, auf möglichſt guten Fuß zu ſetzen, d. h. ſich deſſen Joche zu unterwerfen; als gemeinſames Ziel ſchwebt dabei den beiden Verbündeten die Unterdrückung des freien Ge- dankens und der freien wiſſenſchaftlichen Forſchung vor, mit dem Zwecke, ſich auf dieſe Weiſe am leichteſten die abſolute Herrſchaft zu ſichern. Wir müſſen ausdrücklich betonen, daß es ſich hier um noth- gedrungene Vertheidigung der Wiſſenſchaft und der Ver- nunft gegen die ſcharfen Angriffe der chriſtlichen Kirche und ihrer gewaltigen Heerſchaaren handelt, und nicht etwa um un- berechtigte Angriffe der erſteren gegen die letzteren. In erſter Linie muß dabei unſere Abwehr gegen den Papismus oder Ultramontanismus gerichtet ſein; denn dieſe „alleinſelig machende“ und „für Alle beſtimmte“ katholiſche Kirche iſt nicht allein weit größer und weit mächtiger als die anderen chriſt- lichen Konfeſſionen, ſondern ſie beſitzt vor Allem den Vorzug einer großartigen, centraliſirten Organiſation und einer unüber- troffenen politiſchen Schlauheit. Man hört allerdings oft von Naturforſchern und von anderen Männern der Wiſſenſchaft die Anſicht äußern, daß der katholiſche Aberglaube nicht ſchlimmer ſei als die anderen Formen des übernatürlichen Glaubens, und daß dieſe trügeriſchen „Geſtalten des Glaubens“ alle in gleichem Maße die natürlichen Feinde der Vernunft und Wiſſenſchaft ſeien. Im allgemeinen theoretiſchen Princip iſt dieſe Behauptung richtig, aber in Bezug auf die praktiſchen Folgen irrthümlich; denn die zielbewußten und rückſichtsloſen Angriffe der ultra- montanen Kirche auf die Wiſſenſchaft, geſtützt auf die Trägheit und Dummheit der Volksmaſſen, ſind vermöge ihrer mächtigen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/375
Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/375>, abgerufen am 23.11.2024.