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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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XV. Mosaischer Monotheismus.
jenige Glaubensform des Alterthums, welche die höchste Be-
deutung für die weitere ethische und religiöse Entwickelung der
Menschheit besitzt. Unzweifelhaft ist ihr dieser hohe historische
Werth schon deßhalb zuzugestehen, weil die beiden anderen welt-
beherrschenden Mediterran-Religionen aus ihr hervorgegangen
sind; Christus steht ebenso auf den Schultern von Moses wie
später Mohammed auf den Schultern von Christus. Ebenso
ruht das Neue Testament, welches in der kurzen Zeitspanne von
1900 Jahren das Glaubens-Fundament der höchstentwickelten
Kultur-Völker gebildet hat, auf der ehrwürdigen Basis des Alten
Testaments. Beide zusammengenommen haben als Bibel einen
Einfluß und eine Verbreitung gewonnen wie kein anderes Buch
in der Welt. Thatsächlich ist ja noch heute in gewisser Beziehung
die Bibel -- trotz ihrer seltsamen Mischung aus den besten und
den schlechtesten Bestandtheilen! -- das "Buch der Bücher".
Wenn wir aber diese merkwürdige Geschichtsquelle unbefangen
und vorurtheilslos prüfen, so stellen sich viele wichtige Be-
ziehungen ganz anders dar, als überall gelehrt wird. Auch hier
hat die tiefer eindringende moderne Kritik und Kultur-Geschichte
wichtige Aufschlüsse geliefert, welche die geltende Tradition in
ihren Fundamenten erschüttern.

Der Monotheismus, wie ihn Moses im Jehova-Dienste zu
begründen suchte, und wie ihn später mit großem Erfolge die
Propheten -- die Philosophen der Hebräer -- ausbildeten,
hatte ursprünglich harte und lange Kämpfe mit dem herrschenden
älteren Polytheismus zu bestehen. Ursprünglich war Jehova
oder Japheh aus jenem Himmelsgotte abgeleitet, der als Moloch
oder Baal eine der meistverehrten orientalischen Gottheiten war
(Sethos oder Typhon der Egypter, Saturnus oder Kronos der
Griechen). Daneben aber blieben andere Götter vielfach in hohem
Ansehen, und der Kampf mit der "Abgötterei" bestand im jüdischen
Volke immer fort. Trotzdem blieb im Principe Jehova der

XV. Moſaiſcher Monotheismus.
jenige Glaubensform des Alterthums, welche die höchſte Be-
deutung für die weitere ethiſche und religiöſe Entwickelung der
Menſchheit beſitzt. Unzweifelhaft iſt ihr dieſer hohe hiſtoriſche
Werth ſchon deßhalb zuzugeſtehen, weil die beiden anderen welt-
beherrſchenden Mediterran-Religionen aus ihr hervorgegangen
ſind; Chriſtus ſteht ebenſo auf den Schultern von Moſes wie
ſpäter Mohammed auf den Schultern von Chriſtus. Ebenſo
ruht das Neue Teſtament, welches in der kurzen Zeitſpanne von
1900 Jahren das Glaubens-Fundament der höchſtentwickelten
Kultur-Völker gebildet hat, auf der ehrwürdigen Baſis des Alten
Teſtaments. Beide zuſammengenommen haben als Bibel einen
Einfluß und eine Verbreitung gewonnen wie kein anderes Buch
in der Welt. Thatſächlich iſt ja noch heute in gewiſſer Beziehung
die Bibel — trotz ihrer ſeltſamen Miſchung aus den beſten und
den ſchlechteſten Beſtandtheilen! — das „Buch der Bücher“.
Wenn wir aber dieſe merkwürdige Geſchichtsquelle unbefangen
und vorurtheilslos prüfen, ſo ſtellen ſich viele wichtige Be-
ziehungen ganz anders dar, als überall gelehrt wird. Auch hier
hat die tiefer eindringende moderne Kritik und Kultur-Geſchichte
wichtige Aufſchlüſſe geliefert, welche die geltende Tradition in
ihren Fundamenten erſchüttern.

Der Monotheismus, wie ihn Moſes im Jehova-Dienſte zu
begründen ſuchte, und wie ihn ſpäter mit großem Erfolge die
Propheten — die Philoſophen der Hebräer — ausbildeten,
hatte urſprünglich harte und lange Kämpfe mit dem herrſchenden
älteren Polytheismus zu beſtehen. Urſprünglich war Jehova
oder Japheh aus jenem Himmelsgotte abgeleitet, der als Moloch
oder Baal eine der meiſtverehrten orientaliſchen Gottheiten war
(Sethos oder Typhon der Egypter, Saturnus oder Kronos der
Griechen). Daneben aber blieben andere Götter vielfach in hohem
Anſehen, und der Kampf mit der „Abgötterei“ beſtand im jüdiſchen
Volke immer fort. Trotzdem blieb im Principe Jehova der

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[327/0343] XV. Moſaiſcher Monotheismus. jenige Glaubensform des Alterthums, welche die höchſte Be- deutung für die weitere ethiſche und religiöſe Entwickelung der Menſchheit beſitzt. Unzweifelhaft iſt ihr dieſer hohe hiſtoriſche Werth ſchon deßhalb zuzugeſtehen, weil die beiden anderen welt- beherrſchenden Mediterran-Religionen aus ihr hervorgegangen ſind; Chriſtus ſteht ebenſo auf den Schultern von Moſes wie ſpäter Mohammed auf den Schultern von Chriſtus. Ebenſo ruht das Neue Teſtament, welches in der kurzen Zeitſpanne von 1900 Jahren das Glaubens-Fundament der höchſtentwickelten Kultur-Völker gebildet hat, auf der ehrwürdigen Baſis des Alten Teſtaments. Beide zuſammengenommen haben als Bibel einen Einfluß und eine Verbreitung gewonnen wie kein anderes Buch in der Welt. Thatſächlich iſt ja noch heute in gewiſſer Beziehung die Bibel — trotz ihrer ſeltſamen Miſchung aus den beſten und den ſchlechteſten Beſtandtheilen! — das „Buch der Bücher“. Wenn wir aber dieſe merkwürdige Geſchichtsquelle unbefangen und vorurtheilslos prüfen, ſo ſtellen ſich viele wichtige Be- ziehungen ganz anders dar, als überall gelehrt wird. Auch hier hat die tiefer eindringende moderne Kritik und Kultur-Geſchichte wichtige Aufſchlüſſe geliefert, welche die geltende Tradition in ihren Fundamenten erſchüttern. Der Monotheismus, wie ihn Moſes im Jehova-Dienſte zu begründen ſuchte, und wie ihn ſpäter mit großem Erfolge die Propheten — die Philoſophen der Hebräer — ausbildeten, hatte urſprünglich harte und lange Kämpfe mit dem herrſchenden älteren Polytheismus zu beſtehen. Urſprünglich war Jehova oder Japheh aus jenem Himmelsgotte abgeleitet, der als Moloch oder Baal eine der meiſtverehrten orientaliſchen Gottheiten war (Sethos oder Typhon der Egypter, Saturnus oder Kronos der Griechen). Daneben aber blieben andere Götter vielfach in hohem Anſehen, und der Kampf mit der „Abgötterei“ beſtand im jüdiſchen Volke immer fort. Trotzdem blieb im Principe Jehova der

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/343>, abgerufen am 22.11.2024.