die Erde aus der Mutter Sonne entwickelt hatte. Aber die spätere Geschichte unseres Planeten, die Umbildung seiner Ober- fläche, die Entstehung der Kontinente und Meere, der Gebirge und Wüsten war noch zu Ende des 18. und in den ersten beiden Decennien des 19. Jahrhunderts nur wenig Gegenstand ernster wissenschaftlicher Untersuchungen gewesen; meistens begnügte man sich mit ziemlich unsicheren Vermuthungen oder mit der Annahme der traditionellen Schöpfungssagen; insbesondere war es auch hier wieder der Glaube an die mosaische Schöpfungsgeschichte, welcher der selbständigen Forschung von vornherein den Weg zur wahren Erkenntniß verlegte.
Erst im Jahre 1822 erschien ein bedeutendes Werk, welches zur wissenschaftlichen Erforschung der Erdgeschichte diejenige Methode einschlug, die sich bald als die weitaus fruchtbarste erwies, die ontologische Methode oder das Princip des Aktualismus*). Sie besteht darin, daß wir die Erscheinungen der Gegenwart genau studiren und benutzen, um dadurch die ähnlichen geschichtlichen Vorgänge der Vergangenheit zu erklären. Die Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen hatte daraufhin 1818 eine Preisaufgabe gestellt für: "Die gründlichste und umfassendste Untersuchung über die Veränderungen der Erd- oberfläche, welche in der Geschichte sich nachweisen lassen, und die Anwendung, welche man von ihrer Kunde bei Erforschung der Erdrevolutionen, die außer dem Gebiete der Geschichte liegen, machen kann". Die Lösung dieser wichtigen Preisaufgabe ge- lang Karl Hoff aus Gotha in seinem ausgezeichneten Werke: "Geschichte der durch Ueberlieferung nachgewiesenen natürlichen Veränderungen der Erdoberfläche" (in vier Bänden, 1822-1834). In umfassendster Weise und mit größtem Erfolge wurde dann die von ihm begründete ontologische oder aktualistische
*)Johannes Walther, Einleitung in die Geologie als historische Wissenschaft. Jena 1893. S. XIV.
Geſchichte der Erde. XIII.
die Erde aus der Mutter Sonne entwickelt hatte. Aber die ſpätere Geſchichte unſeres Planeten, die Umbildung ſeiner Ober- fläche, die Entſtehung der Kontinente und Meere, der Gebirge und Wüſten war noch zu Ende des 18. und in den erſten beiden Decennien des 19. Jahrhunderts nur wenig Gegenſtand ernſter wiſſenſchaftlicher Unterſuchungen geweſen; meiſtens begnügte man ſich mit ziemlich unſicheren Vermuthungen oder mit der Annahme der traditionellen Schöpfungsſagen; insbeſondere war es auch hier wieder der Glaube an die moſaiſche Schöpfungsgeſchichte, welcher der ſelbſtändigen Forſchung von vornherein den Weg zur wahren Erkenntniß verlegte.
Erſt im Jahre 1822 erſchien ein bedeutendes Werk, welches zur wiſſenſchaftlichen Erforſchung der Erdgeſchichte diejenige Methode einſchlug, die ſich bald als die weitaus fruchtbarſte erwies, die ontologiſche Methode oder das Princip des Aktualismus*). Sie beſteht darin, daß wir die Erſcheinungen der Gegenwart genau ſtudiren und benutzen, um dadurch die ähnlichen geſchichtlichen Vorgänge der Vergangenheit zu erklären. Die Geſellſchaft der Wiſſenſchaften zu Göttingen hatte daraufhin 1818 eine Preisaufgabe geſtellt für: „Die gründlichſte und umfaſſendſte Unterſuchung über die Veränderungen der Erd- oberfläche, welche in der Geſchichte ſich nachweiſen laſſen, und die Anwendung, welche man von ihrer Kunde bei Erforſchung der Erdrevolutionen, die außer dem Gebiete der Geſchichte liegen, machen kann“. Die Löſung dieſer wichtigen Preisaufgabe ge- lang Karl Hoff aus Gotha in ſeinem ausgezeichneten Werke: „Geſchichte der durch Ueberlieferung nachgewieſenen natürlichen Veränderungen der Erdoberfläche“ (in vier Bänden, 1822-1834). In umfaſſendſter Weiſe und mit größtem Erfolge wurde dann die von ihm begründete ontologiſche oder aktualiſtiſche
*)Johannes Walther, Einleitung in die Geologie als hiſtoriſche Wiſſenſchaft. Jena 1893. S. XIV.
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Geſchichte der Erde. XIII.
die Erde aus der Mutter Sonne entwickelt hatte. Aber die
ſpätere Geſchichte unſeres Planeten, die Umbildung ſeiner Ober-
fläche, die Entſtehung der Kontinente und Meere, der Gebirge
und Wüſten war noch zu Ende des 18. und in den erſten beiden
Decennien des 19. Jahrhunderts nur wenig Gegenſtand ernſter
wiſſenſchaftlicher Unterſuchungen geweſen; meiſtens begnügte man
ſich mit ziemlich unſicheren Vermuthungen oder mit der Annahme
der traditionellen Schöpfungsſagen; insbeſondere war es auch
hier wieder der Glaube an die moſaiſche Schöpfungsgeſchichte,
welcher der ſelbſtändigen Forſchung von vornherein den Weg zur
wahren Erkenntniß verlegte.
Erſt im Jahre 1822 erſchien ein bedeutendes Werk, welches
zur wiſſenſchaftlichen Erforſchung der Erdgeſchichte diejenige
Methode einſchlug, die ſich bald als die weitaus fruchtbarſte
erwies, die ontologiſche Methode oder das Princip des
Aktualismus *). Sie beſteht darin, daß wir die Erſcheinungen
der Gegenwart genau ſtudiren und benutzen, um dadurch die
ähnlichen geſchichtlichen Vorgänge der Vergangenheit zu
erklären. Die Geſellſchaft der Wiſſenſchaften zu Göttingen hatte
daraufhin 1818 eine Preisaufgabe geſtellt für: „Die gründlichſte
und umfaſſendſte Unterſuchung über die Veränderungen der Erd-
oberfläche, welche in der Geſchichte ſich nachweiſen laſſen, und
die Anwendung, welche man von ihrer Kunde bei Erforſchung
der Erdrevolutionen, die außer dem Gebiete der Geſchichte liegen,
machen kann“. Die Löſung dieſer wichtigen Preisaufgabe ge-
lang Karl Hoff aus Gotha in ſeinem ausgezeichneten Werke:
„Geſchichte der durch Ueberlieferung nachgewieſenen natürlichen
Veränderungen der Erdoberfläche“ (in vier Bänden, 1822-1834).
In umfaſſendſter Weiſe und mit größtem Erfolge wurde dann
die von ihm begründete ontologiſche oder aktualiſtiſche
*) Johannes Walther, Einleitung in die Geologie als hiſtoriſche
Wiſſenſchaft. Jena 1893. S. XIV.
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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/304>, abgerufen am 16.07.2024.
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