Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

Bild:
<< vorherige Seite

Masse (Ponderable Materie). XII.
nicht durch Bewegungen der Materie vermittelt wird, sei es nur
der Masse oder des Aethers oder beider Bestandtheile. Auch die
komplicirtesten und vollkommensten Energie-Formen, welche wir
kennen, das Seelenleben der höheren Thiere, Denken und Ver-
nunft des Menschen, beruhen auf materiellen Vorgängen, auf
Veränderungen im Neuroplasma der Ganglienzellen; sie sind
ohne dieselben nicht denkbar. Daß die physiologische Hypothese
einer besonderen immateriellen "Seelen-Substanz" unhaltbar ist,
habe ich schon früher nachgewiesen (im elften Kapitel).

Masse oder Körperstoff (Ponderable Materie). Die
Erkenntniß dieses wägbaren Theiles der Materie ist in erster
Linie Gegenstand der Chemie. Allbekannt sind die erstaunlichen
theoretischen Fortschritte, welche diese Wissenschaft im Laufe des
neunzehnten Jahrhunderts gemacht hat, und der ungeheure Ein-
fluß, welchen sie auf alle Seiten des praktischen Kultur-Lebens
gewonnen hat. Wir begnügen uns daher mit wenigen Be-
merkungen über die wichtigsten principiellen Fragen von der
Natur der Masse. Der analytischen Chemie ist es bekanntlich
gelungen, alle die unzähligen verschiedenen Naturkörper durch
Zerlegung auf eine geringe Zahl von Urstoffen oder Elementen
zurückzuführen, d. h. auf einfache Körper, welche nicht weiter
zerlegt werden können. Die Zahl dieser Elemente beträgt un-
gefähr siebenzig. Nur der kleinere Theil derselben (eigentlich nur
vierzehn) ist allgemein auf der Erde verbreitet und von hoher
Bedeutung; die größere Hälfte besteht aus seltenen und weniger
wichtigen Elementen (meistens Metallen). Die gruppenweise
Verwandtschaft
dieser Elemente und die merkwürdigen Be-
ziehungen ihrer Atomgewichte, welche Lothar Meyer und
Mendelejeff in ihrem "Periodischen System der Ele-
mente
" nachgewiesen haben, machen es sehr wahrscheinlich,
daß dieselben keine absoluten Species der Masse, keine
ewig unveränderlichen Größen sind. Man hat nach jenem System

Maſſe (Ponderable Materie). XII.
nicht durch Bewegungen der Materie vermittelt wird, ſei es nur
der Maſſe oder des Aethers oder beider Beſtandtheile. Auch die
komplicirteſten und vollkommenſten Energie-Formen, welche wir
kennen, das Seelenleben der höheren Thiere, Denken und Ver-
nunft des Menſchen, beruhen auf materiellen Vorgängen, auf
Veränderungen im Neuroplasma der Ganglienzellen; ſie ſind
ohne dieſelben nicht denkbar. Daß die phyſiologiſche Hypotheſe
einer beſonderen immateriellen „Seelen-Subſtanz“ unhaltbar iſt,
habe ich ſchon früher nachgewieſen (im elften Kapitel).

Maſſe oder Körperſtoff (Ponderable Materie). Die
Erkenntniß dieſes wägbaren Theiles der Materie iſt in erſter
Linie Gegenſtand der Chemie. Allbekannt ſind die erſtaunlichen
theoretiſchen Fortſchritte, welche dieſe Wiſſenſchaft im Laufe des
neunzehnten Jahrhunderts gemacht hat, und der ungeheure Ein-
fluß, welchen ſie auf alle Seiten des praktiſchen Kultur-Lebens
gewonnen hat. Wir begnügen uns daher mit wenigen Be-
merkungen über die wichtigſten principiellen Fragen von der
Natur der Maſſe. Der analytiſchen Chemie iſt es bekanntlich
gelungen, alle die unzähligen verſchiedenen Naturkörper durch
Zerlegung auf eine geringe Zahl von Urſtoffen oder Elementen
zurückzuführen, d. h. auf einfache Körper, welche nicht weiter
zerlegt werden können. Die Zahl dieſer Elemente beträgt un-
gefähr ſiebenzig. Nur der kleinere Theil derſelben (eigentlich nur
vierzehn) iſt allgemein auf der Erde verbreitet und von hoher
Bedeutung; die größere Hälfte beſteht aus ſeltenen und weniger
wichtigen Elementen (meiſtens Metallen). Die gruppenweiſe
Verwandtſchaft
dieſer Elemente und die merkwürdigen Be-
ziehungen ihrer Atomgewichte, welche Lothar Meyer und
Mendelejeff in ihrem „Periodiſchen Syſtem der Ele-
mente
“ nachgewieſen haben, machen es ſehr wahrſcheinlich,
daß dieſelben keine abſoluten Species der Maſſe, keine
ewig unveränderlichen Größen ſind. Man hat nach jenem Syſtem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0272" n="256"/><fw place="top" type="header">Ma&#x017F;&#x017F;e (Ponderable Materie). <hi rendition="#aq">XII.</hi></fw><lb/>
nicht durch Bewegungen der Materie vermittelt wird, &#x017F;ei es nur<lb/>
der Ma&#x017F;&#x017F;e oder des Aethers oder beider Be&#x017F;tandtheile. Auch die<lb/>
komplicirte&#x017F;ten und vollkommen&#x017F;ten Energie-Formen, welche wir<lb/>
kennen, das Seelenleben der höheren Thiere, Denken und Ver-<lb/>
nunft des Men&#x017F;chen, beruhen auf materiellen Vorgängen, auf<lb/>
Veränderungen im Neuroplasma der Ganglienzellen; &#x017F;ie &#x017F;ind<lb/>
ohne die&#x017F;elben nicht denkbar. Daß die phy&#x017F;iologi&#x017F;che Hypothe&#x017F;e<lb/>
einer be&#x017F;onderen immateriellen &#x201E;Seelen-Sub&#x017F;tanz&#x201C; unhaltbar i&#x017F;t,<lb/>
habe ich &#x017F;chon früher nachgewie&#x017F;en (im elften Kapitel).</p><lb/>
          <p><hi rendition="#b">Ma&#x017F;&#x017F;e oder Körper&#x017F;toff</hi> (<hi rendition="#g">Ponderable Materie</hi>). Die<lb/>
Erkenntniß die&#x017F;es <hi rendition="#g">wägbaren</hi> Theiles der Materie i&#x017F;t in er&#x017F;ter<lb/>
Linie Gegen&#x017F;tand der <hi rendition="#g">Chemie</hi>. Allbekannt &#x017F;ind die er&#x017F;taunlichen<lb/>
theoreti&#x017F;chen Fort&#x017F;chritte, welche die&#x017F;e Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft im Laufe des<lb/>
neunzehnten Jahrhunderts gemacht hat, und der ungeheure Ein-<lb/>
fluß, welchen &#x017F;ie auf alle Seiten des prakti&#x017F;chen Kultur-Lebens<lb/>
gewonnen hat. Wir begnügen uns daher mit wenigen Be-<lb/>
merkungen über die wichtig&#x017F;ten principiellen Fragen von der<lb/>
Natur der Ma&#x017F;&#x017F;e. Der analyti&#x017F;chen Chemie i&#x017F;t es bekanntlich<lb/>
gelungen, alle die unzähligen ver&#x017F;chiedenen Naturkörper durch<lb/>
Zerlegung auf eine geringe Zahl von Ur&#x017F;toffen oder <hi rendition="#g">Elementen</hi><lb/>
zurückzuführen, d. h. auf einfache Körper, welche nicht weiter<lb/>
zerlegt werden können. Die Zahl die&#x017F;er Elemente beträgt un-<lb/>
gefähr &#x017F;iebenzig. Nur der kleinere Theil der&#x017F;elben (eigentlich nur<lb/>
vierzehn) i&#x017F;t allgemein auf der Erde verbreitet und von hoher<lb/>
Bedeutung; die größere Hälfte be&#x017F;teht aus &#x017F;eltenen und weniger<lb/>
wichtigen Elementen (mei&#x017F;tens Metallen). Die <hi rendition="#g">gruppenwei&#x017F;e<lb/>
Verwandt&#x017F;chaft</hi> die&#x017F;er Elemente und die merkwürdigen Be-<lb/>
ziehungen ihrer Atomgewichte, welche <hi rendition="#g">Lothar Meyer</hi> und<lb/><hi rendition="#g">Mendelejeff</hi> in ihrem &#x201E;<hi rendition="#g">Periodi&#x017F;chen Sy&#x017F;tem der Ele-<lb/>
mente</hi>&#x201C; nachgewie&#x017F;en haben, machen es &#x017F;ehr wahr&#x017F;cheinlich,<lb/>
daß die&#x017F;elben keine <hi rendition="#g">ab&#x017F;oluten Species der Ma&#x017F;&#x017F;e,</hi> keine<lb/>
ewig unveränderlichen Größen &#x017F;ind. Man hat nach jenem Sy&#x017F;tem<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[256/0272] Maſſe (Ponderable Materie). XII. nicht durch Bewegungen der Materie vermittelt wird, ſei es nur der Maſſe oder des Aethers oder beider Beſtandtheile. Auch die komplicirteſten und vollkommenſten Energie-Formen, welche wir kennen, das Seelenleben der höheren Thiere, Denken und Ver- nunft des Menſchen, beruhen auf materiellen Vorgängen, auf Veränderungen im Neuroplasma der Ganglienzellen; ſie ſind ohne dieſelben nicht denkbar. Daß die phyſiologiſche Hypotheſe einer beſonderen immateriellen „Seelen-Subſtanz“ unhaltbar iſt, habe ich ſchon früher nachgewieſen (im elften Kapitel). Maſſe oder Körperſtoff (Ponderable Materie). Die Erkenntniß dieſes wägbaren Theiles der Materie iſt in erſter Linie Gegenſtand der Chemie. Allbekannt ſind die erſtaunlichen theoretiſchen Fortſchritte, welche dieſe Wiſſenſchaft im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts gemacht hat, und der ungeheure Ein- fluß, welchen ſie auf alle Seiten des praktiſchen Kultur-Lebens gewonnen hat. Wir begnügen uns daher mit wenigen Be- merkungen über die wichtigſten principiellen Fragen von der Natur der Maſſe. Der analytiſchen Chemie iſt es bekanntlich gelungen, alle die unzähligen verſchiedenen Naturkörper durch Zerlegung auf eine geringe Zahl von Urſtoffen oder Elementen zurückzuführen, d. h. auf einfache Körper, welche nicht weiter zerlegt werden können. Die Zahl dieſer Elemente beträgt un- gefähr ſiebenzig. Nur der kleinere Theil derſelben (eigentlich nur vierzehn) iſt allgemein auf der Erde verbreitet und von hoher Bedeutung; die größere Hälfte beſteht aus ſeltenen und weniger wichtigen Elementen (meiſtens Metallen). Die gruppenweiſe Verwandtſchaft dieſer Elemente und die merkwürdigen Be- ziehungen ihrer Atomgewichte, welche Lothar Meyer und Mendelejeff in ihrem „Periodiſchen Syſtem der Ele- mente“ nachgewieſen haben, machen es ſehr wahrſcheinlich, daß dieſelben keine abſoluten Species der Maſſe, keine ewig unveränderlichen Größen ſind. Man hat nach jenem Syſtem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/272
Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/272>, abgerufen am 03.05.2024.