aufbewahren (Fluidum animae immortale). Durch weitere Ab- kühlung und Kondensation müßte es dann auch gelingen, die flüssige Seele in den festen Zustand überzuführen ("Seelen-Schnee"). Bis jetzt ist das Experiment noch nicht gelungen.
Unsterblichkeit der Thierseele. Wenn der Athanismus wahr wäre, wenn wirklich die "Seele" des Menschen in alle Ewigkeit fortlebte, so müßte man ganz dasselbe auch für die Seele der höheren Thiere behaupten, mindestens für diejenige der nächststehenden Säugethiere (Affen, Hunde u. s. w.). Denn der Mensch zeichnet sich vor diesen letzteren nicht durch eine be- sondere neue Art oder eine eigenthümliche, nur ihm zukommende Funktion der Psyche aus, sondern lediglich durch einen höheren Grad der psychischen Thätigkeit, durch eine vollkommenere Stufe ihrer Entwickelung. Besonders ist bei vielen Menschen (aber durchaus nicht bei allen!) das Bewußtsein höher entwickelt als bei den meisten Thieren, die Fähigkeit der Ideen-Associon, des Denkens und der Vernunft. Indessen ist dieser Unterschied bei Weitem nicht so groß, als man gewöhnlich annimmt; und er ist in jeder Beziehung viel geringer als der entsprechende Unterschied zwischen den höheren und niederen Thierseelen oder selbst als der Unterschied zwischen den höchsten und tiefsten Stufen der Menschenseele. Wenn man also der letzteren "persön- liche Unsterblichkeit" zuschreibt, so muß man sie auch den höheren Thieren zugestehen.
Diese Ueberzeugung von der individuellen Unsterblichkeit der Thiere ist denn auch ganz naturgemäß bei vielen Völkern alter und neuer Zeit zu finden; aber auch jetzt noch bei vielen denkenden Menschen, welche für sich selbst ein "ewiges Leben" in Anspruch nehmen und gleichzeitig eine gründliche empirische Kenntniß des Seelenlebens der Thiere besitzen. Ich kannte einen alten Ober- förster, der, frühzeitig verwittwet und kinderlos, mehr als dreißig Jahre einsam in einem herrlichen Walde von Ostpreußen gelebt
XI. Unſterblichkeit der Thierſeele.
aufbewahren (Fluidum animae immortale). Durch weitere Ab- kühlung und Kondenſation müßte es dann auch gelingen, die flüſſige Seele in den feſten Zuſtand überzuführen („Seelen-Schnee“). Bis jetzt iſt das Experiment noch nicht gelungen.
Unſterblichkeit der Thierſeele. Wenn der Athanismus wahr wäre, wenn wirklich die „Seele“ des Menſchen in alle Ewigkeit fortlebte, ſo müßte man ganz dasſelbe auch für die Seele der höheren Thiere behaupten, mindeſtens für diejenige der nächſtſtehenden Säugethiere (Affen, Hunde u. ſ. w.). Denn der Menſch zeichnet ſich vor dieſen letzteren nicht durch eine be- ſondere neue Art oder eine eigenthümliche, nur ihm zukommende Funktion der Pſyche aus, ſondern lediglich durch einen höheren Grad der pſychiſchen Thätigkeit, durch eine vollkommenere Stufe ihrer Entwickelung. Beſonders iſt bei vielen Menſchen (aber durchaus nicht bei allen!) das Bewußtſein höher entwickelt als bei den meiſten Thieren, die Fähigkeit der Ideen-Aſſocion, des Denkens und der Vernunft. Indeſſen iſt dieſer Unterſchied bei Weitem nicht ſo groß, als man gewöhnlich annimmt; und er iſt in jeder Beziehung viel geringer als der entſprechende Unterſchied zwiſchen den höheren und niederen Thierſeelen oder ſelbſt als der Unterſchied zwiſchen den höchſten und tiefſten Stufen der Menſchenſeele. Wenn man alſo der letzteren „perſön- liche Unſterblichkeit“ zuſchreibt, ſo muß man ſie auch den höheren Thieren zugeſtehen.
Dieſe Ueberzeugung von der individuellen Unſterblichkeit der Thiere iſt denn auch ganz naturgemäß bei vielen Völkern alter und neuer Zeit zu finden; aber auch jetzt noch bei vielen denkenden Menſchen, welche für ſich ſelbſt ein „ewiges Leben“ in Anſpruch nehmen und gleichzeitig eine gründliche empiriſche Kenntniß des Seelenlebens der Thiere beſitzen. Ich kannte einen alten Ober- förſter, der, frühzeitig verwittwet und kinderlos, mehr als dreißig Jahre einſam in einem herrlichen Walde von Oſtpreußen gelebt
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XI. Unſterblichkeit der Thierſeele.
aufbewahren (Fluidum animae immortale). Durch weitere Ab-
kühlung und Kondenſation müßte es dann auch gelingen, die
flüſſige Seele in den feſten Zuſtand überzuführen („Seelen-Schnee“).
Bis jetzt iſt das Experiment noch nicht gelungen.
Unſterblichkeit der Thierſeele. Wenn der Athanismus
wahr wäre, wenn wirklich die „Seele“ des Menſchen in alle
Ewigkeit fortlebte, ſo müßte man ganz dasſelbe auch für die
Seele der höheren Thiere behaupten, mindeſtens für diejenige
der nächſtſtehenden Säugethiere (Affen, Hunde u. ſ. w.). Denn
der Menſch zeichnet ſich vor dieſen letzteren nicht durch eine be-
ſondere neue Art oder eine eigenthümliche, nur ihm zukommende
Funktion der Pſyche aus, ſondern lediglich durch einen höheren
Grad der pſychiſchen Thätigkeit, durch eine vollkommenere Stufe
ihrer Entwickelung. Beſonders iſt bei vielen Menſchen (aber
durchaus nicht bei allen!) das Bewußtſein höher entwickelt
als bei den meiſten Thieren, die Fähigkeit der Ideen-Aſſocion,
des Denkens und der Vernunft. Indeſſen iſt dieſer Unterſchied
bei Weitem nicht ſo groß, als man gewöhnlich annimmt; und
er iſt in jeder Beziehung viel geringer als der entſprechende
Unterſchied zwiſchen den höheren und niederen Thierſeelen oder
ſelbſt als der Unterſchied zwiſchen den höchſten und tiefſten
Stufen der Menſchenſeele. Wenn man alſo der letzteren „perſön-
liche Unſterblichkeit“ zuſchreibt, ſo muß man ſie auch den höheren
Thieren zugeſtehen.
Dieſe Ueberzeugung von der individuellen Unſterblichkeit der
Thiere iſt denn auch ganz naturgemäß bei vielen Völkern alter
und neuer Zeit zu finden; aber auch jetzt noch bei vielen denkenden
Menſchen, welche für ſich ſelbſt ein „ewiges Leben“ in Anſpruch
nehmen und gleichzeitig eine gründliche empiriſche Kenntniß des
Seelenlebens der Thiere beſitzen. Ich kannte einen alten Ober-
förſter, der, frühzeitig verwittwet und kinderlos, mehr als dreißig
Jahre einſam in einem herrlichen Walde von Oſtpreußen gelebt
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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/249>, abgerufen am 22.11.2024.
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