dings eine große Anzahl von sehr verschiedenen derartigen Glaubens-Dichtungen kennen gelehrt*); großentheils hängen dieselben eng zusammen mit den ältesten Formen des Gottes- glaubens und der Religion überhaupt. In den meisten modernen Religionen ist der Athanismus eng verknüpft mit dem Theismus, und die materialistische Vorstellung, welche sich die meisten Gläubigen von ihrem "persönlichen Gott" bilden, über- tragen sie auf ihre "unsterbliche Seele". Das gilt vor Allem von der herrschenden Weltreligion der modernen Kulturvölker, vom Christenthum.
Christlicher Unsterblichkeits-Glaube. Wie allgemein be- kannt, hat das Dogma von der Unsterblichkeit der Seele in der christlichen Religion schon lange diejenige feste Form angenommen, welche sich in dem Glaubens-Artikel ausspricht: "Ich glaube an die Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben." Wie am Osterfest Christus selbst von den Todten auferstanden ist und nun in Ewigkeit als "Gottes Sohn, sitzend zur rechten Hand Gottes", gedacht wird, versinnlichen uns unzählige Bilder und Legenden. In gleicher Weise wird auch der Mensch "am jüngsten Tage auferstehen" und seinen Lohn für die Führung seines einstigen Erdenlebens empfangen. Dieser ganze christliche Vor- stellungskreis ist durch und durch materialistisch und anthro- pistisch; er erhebt sich nicht viel über die entsprechenden rohen Vorstellungen vieler niederer Naturvölker. Daß die "Auferstehung des Fleisches" unmöglich ist, weiß eigentlich Jeder, der einige Kenntnisse in Anatomie und Physiologie besitzt. Die Auferstehung Christi, welche von Millionen gläubiger Christen an jedem Oster- feste gefeiert wird, ist ebenso ein reiner Mythus wie die "Auf- erweckung von den Todten", welche derselbe mehrfach ausgeführt haben soll. Für die reine Vernunft sind diese mystischen Glaubens-
*) Vergl. Adalbert Svoboda, Gestalten des Glaubens. 1897.
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XI. Chriſtlicher Athanismus.
dings eine große Anzahl von ſehr verſchiedenen derartigen Glaubens-Dichtungen kennen gelehrt*); großentheils hängen dieſelben eng zuſammen mit den älteſten Formen des Gottes- glaubens und der Religion überhaupt. In den meiſten modernen Religionen iſt der Athanismus eng verknüpft mit dem Theismus, und die materialiſtiſche Vorſtellung, welche ſich die meiſten Gläubigen von ihrem „perſönlichen Gott“ bilden, über- tragen ſie auf ihre „unſterbliche Seele“. Das gilt vor Allem von der herrſchenden Weltreligion der modernen Kulturvölker, vom Chriſtenthum.
Chriſtlicher Unſterblichkeits-Glaube. Wie allgemein be- kannt, hat das Dogma von der Unſterblichkeit der Seele in der chriſtlichen Religion ſchon lange diejenige feſte Form angenommen, welche ſich in dem Glaubens-Artikel ausſpricht: „Ich glaube an die Auferſtehung des Fleiſches und ein ewiges Leben.“ Wie am Oſterfeſt Chriſtus ſelbſt von den Todten auferſtanden iſt und nun in Ewigkeit als „Gottes Sohn, ſitzend zur rechten Hand Gottes“, gedacht wird, verſinnlichen uns unzählige Bilder und Legenden. In gleicher Weiſe wird auch der Menſch „am jüngſten Tage auferſtehen“ und ſeinen Lohn für die Führung ſeines einſtigen Erdenlebens empfangen. Dieſer ganze chriſtliche Vor- ſtellungskreis iſt durch und durch materialiſtiſch und anthro- piſtiſch; er erhebt ſich nicht viel über die entſprechenden rohen Vorſtellungen vieler niederer Naturvölker. Daß die „Auferſtehung des Fleiſches“ unmöglich iſt, weiß eigentlich Jeder, der einige Kenntniſſe in Anatomie und Phyſiologie beſitzt. Die Auferſtehung Chriſti, welche von Millionen gläubiger Chriſten an jedem Oſter- feſte gefeiert wird, iſt ebenſo ein reiner Mythus wie die „Auf- erweckung von den Todten“, welche derſelbe mehrfach ausgeführt haben ſoll. Für die reine Vernunft ſind dieſe myſtiſchen Glaubens-
*) Vergl. Adalbert Svoboda, Geſtalten des Glaubens. 1897.
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XI. Chriſtlicher Athanismus.
dings eine große Anzahl von ſehr verſchiedenen derartigen
Glaubens-Dichtungen kennen gelehrt *); großentheils hängen
dieſelben eng zuſammen mit den älteſten Formen des Gottes-
glaubens und der Religion überhaupt. In den meiſten modernen
Religionen iſt der Athanismus eng verknüpft mit dem
Theismus, und die materialiſtiſche Vorſtellung, welche ſich die
meiſten Gläubigen von ihrem „perſönlichen Gott“ bilden, über-
tragen ſie auf ihre „unſterbliche Seele“. Das gilt vor Allem
von der herrſchenden Weltreligion der modernen Kulturvölker,
vom Chriſtenthum.
Chriſtlicher Unſterblichkeits-Glaube. Wie allgemein be-
kannt, hat das Dogma von der Unſterblichkeit der Seele in der
chriſtlichen Religion ſchon lange diejenige feſte Form angenommen,
welche ſich in dem Glaubens-Artikel ausſpricht: „Ich glaube an
die Auferſtehung des Fleiſches und ein ewiges Leben.“ Wie am
Oſterfeſt Chriſtus ſelbſt von den Todten auferſtanden iſt und
nun in Ewigkeit als „Gottes Sohn, ſitzend zur rechten Hand
Gottes“, gedacht wird, verſinnlichen uns unzählige Bilder und
Legenden. In gleicher Weiſe wird auch der Menſch „am jüngſten
Tage auferſtehen“ und ſeinen Lohn für die Führung ſeines
einſtigen Erdenlebens empfangen. Dieſer ganze chriſtliche Vor-
ſtellungskreis iſt durch und durch materialiſtiſch und anthro-
piſtiſch; er erhebt ſich nicht viel über die entſprechenden rohen
Vorſtellungen vieler niederer Naturvölker. Daß die „Auferſtehung
des Fleiſches“ unmöglich iſt, weiß eigentlich Jeder, der einige
Kenntniſſe in Anatomie und Phyſiologie beſitzt. Die Auferſtehung
Chriſti, welche von Millionen gläubiger Chriſten an jedem Oſter-
feſte gefeiert wird, iſt ebenſo ein reiner Mythus wie die „Auf-
erweckung von den Todten“, welche derſelbe mehrfach ausgeführt
haben ſoll. Für die reine Vernunft ſind dieſe myſtiſchen Glaubens-
*) Vergl. Adalbert Svoboda, Geſtalten des Glaubens. 1897.
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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/243>, abgerufen am 21.07.2024.
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