Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.Indem wir uns von der genetischen Betrachtung der Seele Athanismus und Thanatismus. Um einen kurzen und Indem wir uns von der genetiſchen Betrachtung der Seele Athanismus und Thanatismus. Um einen kurzen und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0235" n="[219]"/> <div n="2"> <p><hi rendition="#in">I</hi>ndem wir uns von der genetiſchen Betrachtung der Seele<lb/> zu der großen Frage ihrer „Unſterblichkeit“ wenden, betreten wir<lb/> jenes höchſte Gebiet des Aberglaubens, welches gewiſſermaßen<lb/> die unzerſtörbare Citadelle aller myſtiſchen und dualiſtiſchen Vor-<lb/> ſtellungs-Kreiſe bildet. Denn bei dieſer Kardinal-Frage knüpft<lb/> ſich an die rein philoſophiſchen Vorſtellungen mehr als bei jedem<lb/> anderen Problem das egoiſtiſche Intereſſe der menſchlichen Perſon,<lb/> welche um jeden Preis ihre individuelle Fortdauer über den Tod<lb/> hinaus garantirt haben will. Dieſes „höhere Gemüths-Bedürfniß“<lb/> iſt ſo mächtig, daß es alle logiſchen Schlüſſe der kritiſchen Ver-<lb/> nunft über den Haufen wirft. Bewußt oder unbewußt werden<lb/> bei den meiſten Menſchen alle übrigen allgemeinen Anſichten, alſo<lb/> auch die ganze Weltanſchauung, von dem Dogma der perſönlichen<lb/> Unſterblichkeit beeinflußt, und an dieſen theoretiſchen Irrthum<lb/> knüpfen ſich praktiſche Folgerungen von weitreichendſter Wirkung.<lb/> Es wird daher unſere Aufgabe ſein, alle Seiten dieſes wichtigen<lb/> Dogmas kritiſch zu prüfen und ſeine Unhaltbarkeit gegenüber den<lb/> empiriſchen Erkenntniſſen der modernen Biologie nachzuweiſen.</p><lb/> <p><hi rendition="#b">Athanismus und Thanatismus.</hi> Um einen kurzen und<lb/> bequemen Ausdruck für die beiden entgegengeſetzten Grund-<lb/> anſchauungen über die Unſterblichkeits-Frage zu haben, bezeichnen<lb/> wir den Glauben an die „perſönliche Unſterblichkeit des Menſchen“<lb/> als <hi rendition="#g">Athanismus</hi> (abgeleitet von <hi rendition="#aq">Athaneſ</hi> oder <hi rendition="#aq">Athanatoſ</hi> =<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [[219]/0235]
Indem wir uns von der genetiſchen Betrachtung der Seele
zu der großen Frage ihrer „Unſterblichkeit“ wenden, betreten wir
jenes höchſte Gebiet des Aberglaubens, welches gewiſſermaßen
die unzerſtörbare Citadelle aller myſtiſchen und dualiſtiſchen Vor-
ſtellungs-Kreiſe bildet. Denn bei dieſer Kardinal-Frage knüpft
ſich an die rein philoſophiſchen Vorſtellungen mehr als bei jedem
anderen Problem das egoiſtiſche Intereſſe der menſchlichen Perſon,
welche um jeden Preis ihre individuelle Fortdauer über den Tod
hinaus garantirt haben will. Dieſes „höhere Gemüths-Bedürfniß“
iſt ſo mächtig, daß es alle logiſchen Schlüſſe der kritiſchen Ver-
nunft über den Haufen wirft. Bewußt oder unbewußt werden
bei den meiſten Menſchen alle übrigen allgemeinen Anſichten, alſo
auch die ganze Weltanſchauung, von dem Dogma der perſönlichen
Unſterblichkeit beeinflußt, und an dieſen theoretiſchen Irrthum
knüpfen ſich praktiſche Folgerungen von weitreichendſter Wirkung.
Es wird daher unſere Aufgabe ſein, alle Seiten dieſes wichtigen
Dogmas kritiſch zu prüfen und ſeine Unhaltbarkeit gegenüber den
empiriſchen Erkenntniſſen der modernen Biologie nachzuweiſen.
Athanismus und Thanatismus. Um einen kurzen und
bequemen Ausdruck für die beiden entgegengeſetzten Grund-
anſchauungen über die Unſterblichkeits-Frage zu haben, bezeichnen
wir den Glauben an die „perſönliche Unſterblichkeit des Menſchen“
als Athanismus (abgeleitet von Athaneſ oder Athanatoſ =
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