Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.Mythologie der Seele. VIII. über die mannigfaltigen Mythen-Bildungen der älteren Kultur-Völker sowohl als der heutigen Natur-Völker gewonnen haben, sind auch für die Psychogenie von großem Interesse; indessen würde es hier viel zu weit führen, wenn wir darauf eingehen wollten; wir verweisen darüber auf das treffliche Werk von Adalbert Svoboda: "Gestalten des Glaubens" (1897). Betreffs ihres wissenschaftlichen oder poetischen Gehaltes können die betreffenden psychogenetischen Mythen etwa folgender- maßen in fünf Gruppen geordnet werden: I. Mythus der Seelen-Wanderung; die Seele lebte früher im Körper eines anderen Thieres und ist erst aus diesem in den menschlichen Körper übergetreten; die ägyptischen Priester z. B. behaupteten, daß die menschliche Seele nach dem Tode des Leibes durch alle Thier[-]Gattungen hindurchwandere, nach 3000 Jahren aber wieder in einen Menschenleib zurückkehre. II. Mythus der Seelen- Einpflanzung; die Seele existirte selbstständig an einem an- deren Orte, in einer psychogenetischen Vorrathskammer (etwa in einer Art von Keimschlaf oder latentem Leben); sie wird von einem Vogel (bisweilen als Adler, gewöhnlich als "Klapper- storch" gedacht) geholt und in den menschlichen Körper eingesetzt. III. Mythus der Seelen-Schöpfung; der göttliche Schöpfer, als persönlicher "Gott-Vater" gedacht, erschafft die Seelen, hält sie vorräthig -- bald in einem Seelenteich (als "Plankton" lebend), bald an einem Seelenbaum (als Früchte einer phanero- gamen Pflanze gedacht); der Schöpfer nimmt dieselben heraus und setzt sie (während des Zeugungs-Aktes) dem menschlichen Keime ein. IV. Mythus der Seelen-Einschachtelung (von Leibniz, vorher erwähnt). V. Mythus der Seelen- Theilung (von Rudolf Wagner, 1855, auch von anderen Physiologen angenommen) *); im Zeugungs-Akte spaltet sich ein *) Vergl. Carl Vogt, Köhlerglaube und Wissenschaft. 1855.
Mythologie der Seele. VIII. über die mannigfaltigen Mythen-Bildungen der älteren Kultur-Völker ſowohl als der heutigen Natur-Völker gewonnen haben, ſind auch für die Pſychogenie von großem Intereſſe; indeſſen würde es hier viel zu weit führen, wenn wir darauf eingehen wollten; wir verweiſen darüber auf das treffliche Werk von Adalbert Svoboda: „Geſtalten des Glaubens“ (1897). Betreffs ihres wiſſenſchaftlichen oder poetiſchen Gehaltes können die betreffenden pſychogenetiſchen Mythen etwa folgender- maßen in fünf Gruppen geordnet werden: I. Mythus der Seelen-Wanderung; die Seele lebte früher im Körper eines anderen Thieres und iſt erſt aus dieſem in den menſchlichen Körper übergetreten; die ägyptiſchen Prieſter z. B. behaupteten, daß die menſchliche Seele nach dem Tode des Leibes durch alle Thier[-]Gattungen hindurchwandere, nach 3000 Jahren aber wieder in einen Menſchenleib zurückkehre. II. Mythus der Seelen- Einpflanzung; die Seele exiſtirte ſelbſtſtändig an einem an- deren Orte, in einer pſychogenetiſchen Vorrathskammer (etwa in einer Art von Keimſchlaf oder latentem Leben); ſie wird von einem Vogel (bisweilen als Adler, gewöhnlich als „Klapper- ſtorch“ gedacht) geholt und in den menſchlichen Körper eingeſetzt. III. Mythus der Seelen-Schöpfung; der göttliche Schöpfer, als perſönlicher „Gott-Vater“ gedacht, erſchafft die Seelen, hält ſie vorräthig — bald in einem Seelenteich (als „Plankton“ lebend), bald an einem Seelenbaum (als Früchte einer phanero- gamen Pflanze gedacht); der Schöpfer nimmt dieſelben heraus und ſetzt ſie (während des Zeugungs-Aktes) dem menſchlichen Keime ein. IV. Mythus der Seelen-Einſchachtelung (von Leibniz, vorher erwähnt). V. Mythus der Seelen- Theilung (von Rudolf Wagner, 1855, auch von anderen Phyſiologen angenommen) *); im Zeugungs-Akte ſpaltet ſich ein *) Vergl. Carl Vogt, Köhlerglaube und Wiſſenſchaft. 1855.
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Mythologie der Seele. VIII.
über die mannigfaltigen Mythen-Bildungen der älteren Kultur-
Völker ſowohl als der heutigen Natur-Völker gewonnen haben,
ſind auch für die Pſychogenie von großem Intereſſe; indeſſen
würde es hier viel zu weit führen, wenn wir darauf eingehen
wollten; wir verweiſen darüber auf das treffliche Werk von
Adalbert Svoboda: „Geſtalten des Glaubens“ (1897).
Betreffs ihres wiſſenſchaftlichen oder poetiſchen Gehaltes können
die betreffenden pſychogenetiſchen Mythen etwa folgender-
maßen in fünf Gruppen geordnet werden: I. Mythus der
Seelen-Wanderung; die Seele lebte früher im Körper eines
anderen Thieres und iſt erſt aus dieſem in den menſchlichen
Körper übergetreten; die ägyptiſchen Prieſter z. B. behaupteten,
daß die menſchliche Seele nach dem Tode des Leibes durch alle
Thier-Gattungen hindurchwandere, nach 3000 Jahren aber wieder
in einen Menſchenleib zurückkehre. II. Mythus der Seelen-
Einpflanzung; die Seele exiſtirte ſelbſtſtändig an einem an-
deren Orte, in einer pſychogenetiſchen Vorrathskammer (etwa in
einer Art von Keimſchlaf oder latentem Leben); ſie wird von
einem Vogel (bisweilen als Adler, gewöhnlich als „Klapper-
ſtorch“ gedacht) geholt und in den menſchlichen Körper eingeſetzt.
III. Mythus der Seelen-Schöpfung; der göttliche Schöpfer,
als perſönlicher „Gott-Vater“ gedacht, erſchafft die Seelen, hält
ſie vorräthig — bald in einem Seelenteich (als „Plankton“
lebend), bald an einem Seelenbaum (als Früchte einer phanero-
gamen Pflanze gedacht); der Schöpfer nimmt dieſelben heraus
und ſetzt ſie (während des Zeugungs-Aktes) dem menſchlichen
Keime ein. IV. Mythus der Seelen-Einſchachtelung
(von Leibniz, vorher erwähnt). V. Mythus der Seelen-
Theilung (von Rudolf Wagner, 1855, auch von anderen
Phyſiologen angenommen) *); im Zeugungs-Akte ſpaltet ſich ein
*) Vergl. Carl Vogt, Köhlerglaube und Wiſſenſchaft. 1855.
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