Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.Entwickelung der Sprache. VII. und Heerden vereinigt leben; sie ist ihnen nothwendig zur Ver-ständigung, zur Mittheilung ihrer Vorstellungen. Diese kann nun entweder durch Berührung oder durch Zeichengebung geschehen, oder durch Töne, welche bestimmte Begriffe bezeichnen. Auch der Gesang der Singvögel und der singenden Menschenaffen (Hylo- bates) gehört zur Lautsprache, ebenso wie das Bellen der Hunde und das Wiehern der Pferde; ferner das Zirpen der Grillen und das Geschrei der Cikaden. Aber nur beim Menschen hat sich jene artikulirte Begriffssprache entwickelt, welche seine Vernunft zu so viel höheren Leistungen befähigt. Die vergleichende Sprachforschung, eine der interessantesten in unserem Jahrhundert entstandenen Wissenschaften, hat gezeigt, wie die zahlreichen hochentwickelten Sprachen der verschiedenen Völker sich aus wenigen einfachen Ursprachen langsam und allmählich entwickelt haben (Wilhelm Humboldt, Bopp, Schleicher, Steinthal u. A.). Insbesondere hat August Schleicher *) in Jena gezeigt, daß die historische Entwickelung der Sprachen nach denselben phylogenetischen Gesetzen erfolgt, wie diejenige anderer physiologischer Thätigkeiten und ihrer Organe. Romanes hat (1893) diesen Nachweis weiter aus- geführt und überzeugend dargethan, daß auch die Sprache des Menschen nur dem Grade der Entwickelung nach, nicht dem Wesen und der Art nach von derjenigen der höheren Thiere verschieden ist. Skala der Gemüthsbewegungen oder Affekte. Die wichtige *) August Schleicher, Die Darwin'sche Theorie und die Sprach-
wissenschaft (Weimar 1863); Über die Bedeutung der Sprache für die Naturgeschichte des Menschen (Weimar 1865). Entwickelung der Sprache. VII. und Heerden vereinigt leben; ſie iſt ihnen nothwendig zur Ver-ſtändigung, zur Mittheilung ihrer Vorſtellungen. Dieſe kann nun entweder durch Berührung oder durch Zeichengebung geſchehen, oder durch Töne, welche beſtimmte Begriffe bezeichnen. Auch der Geſang der Singvögel und der ſingenden Menſchenaffen (Hylo- bateſ) gehört zur Lautſprache, ebenſo wie das Bellen der Hunde und das Wiehern der Pferde; ferner das Zirpen der Grillen und das Geſchrei der Cikaden. Aber nur beim Menſchen hat ſich jene artikulirte Begriffsſprache entwickelt, welche ſeine Vernunft zu ſo viel höheren Leiſtungen befähigt. Die vergleichende Sprachforſchung, eine der intereſſanteſten in unſerem Jahrhundert entſtandenen Wiſſenſchaften, hat gezeigt, wie die zahlreichen hochentwickelten Sprachen der verſchiedenen Völker ſich aus wenigen einfachen Urſprachen langſam und allmählich entwickelt haben (Wilhelm Humboldt, Bopp, Schleicher, Steinthal u. A.). Insbeſondere hat Auguſt Schleicher *) in Jena gezeigt, daß die hiſtoriſche Entwickelung der Sprachen nach denſelben phylogenetiſchen Geſetzen erfolgt, wie diejenige anderer phyſiologiſcher Thätigkeiten und ihrer Organe. Romanes hat (1893) dieſen Nachweis weiter aus- geführt und überzeugend dargethan, daß auch die Sprache des Menſchen nur dem Grade der Entwickelung nach, nicht dem Weſen und der Art nach von derjenigen der höheren Thiere verſchieden iſt. Skala der Gemüthsbewegungen oder Affekte. Die wichtige *) Auguſt Schleicher, Die Darwin'ſche Theorie und die Sprach-
wiſſenſchaft (Weimar 1863); Über die Bedeutung der Sprache für die Naturgeſchichte des Menſchen (Weimar 1865). <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0162" n="146"/><fw place="top" type="header">Entwickelung der Sprache. <hi rendition="#aq">VII.</hi></fw><lb/> und Heerden vereinigt leben; ſie iſt ihnen nothwendig zur Ver-<lb/> ſtändigung, zur Mittheilung ihrer Vorſtellungen. Dieſe kann nun<lb/> entweder durch Berührung oder durch Zeichengebung geſchehen,<lb/> oder durch Töne, welche beſtimmte Begriffe bezeichnen. Auch der<lb/> Geſang der Singvögel und der ſingenden Menſchenaffen <hi rendition="#aq">(Hylo-<lb/> bateſ)</hi> gehört zur Lautſprache, ebenſo wie das Bellen der Hunde<lb/> und das Wiehern der Pferde; ferner das Zirpen der Grillen<lb/> und das Geſchrei der Cikaden. Aber nur beim Menſchen hat<lb/> ſich jene <hi rendition="#g">artikulirte Begriffsſprache</hi> entwickelt, welche<lb/> ſeine Vernunft zu ſo viel höheren Leiſtungen befähigt. Die<lb/><hi rendition="#g">vergleichende Sprachforſchung</hi>, eine der intereſſanteſten<lb/> in unſerem Jahrhundert entſtandenen Wiſſenſchaften, hat gezeigt,<lb/> wie die zahlreichen hochentwickelten Sprachen der verſchiedenen<lb/> Völker ſich aus wenigen einfachen Urſprachen langſam und<lb/> allmählich entwickelt haben (<hi rendition="#g">Wilhelm Humboldt, Bopp,<lb/> Schleicher, Steinthal u. A.)</hi>. Insbeſondere hat <hi rendition="#g">Auguſt<lb/> Schleicher</hi> <note place="foot" n="*)"><hi rendition="#g">Auguſt Schleicher</hi>, Die Darwin'ſche Theorie und die Sprach-<lb/> wiſſenſchaft (Weimar 1863); Über die Bedeutung der Sprache für die<lb/> Naturgeſchichte des Menſchen (Weimar 1865).</note> in Jena gezeigt, daß die hiſtoriſche Entwickelung<lb/> der Sprachen nach denſelben phylogenetiſchen Geſetzen erfolgt,<lb/> wie diejenige anderer phyſiologiſcher Thätigkeiten und ihrer<lb/> Organe. <hi rendition="#g">Romanes</hi> hat (1893) dieſen Nachweis weiter aus-<lb/> geführt und überzeugend dargethan, daß auch die Sprache des<lb/> Menſchen nur dem <hi rendition="#g">Grade</hi> der Entwickelung nach, nicht dem<lb/> Weſen und der <hi rendition="#g">Art</hi> nach von derjenigen der höheren Thiere<lb/> verſchieden iſt.</p><lb/> <p><hi rendition="#b">Skala der Gemüthsbewegungen</hi> oder Affekte. Die wichtige<lb/> Gruppe von Seelenthätigkeiten, welche wir unter dem Begriffe<lb/> „<hi rendition="#g">Gemüth</hi>“ zuſammenfaſſen, ſpielt eine große Rolle ebenſo in<lb/> der theoretiſchen wie in der praktiſchen Vernunftlehre. Für<lb/> unſere Betrachtungsweiſe ſind ſie deßhalb beſonders wichtig, weil<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [146/0162]
Entwickelung der Sprache. VII.
und Heerden vereinigt leben; ſie iſt ihnen nothwendig zur Ver-
ſtändigung, zur Mittheilung ihrer Vorſtellungen. Dieſe kann nun
entweder durch Berührung oder durch Zeichengebung geſchehen,
oder durch Töne, welche beſtimmte Begriffe bezeichnen. Auch der
Geſang der Singvögel und der ſingenden Menſchenaffen (Hylo-
bateſ) gehört zur Lautſprache, ebenſo wie das Bellen der Hunde
und das Wiehern der Pferde; ferner das Zirpen der Grillen
und das Geſchrei der Cikaden. Aber nur beim Menſchen hat
ſich jene artikulirte Begriffsſprache entwickelt, welche
ſeine Vernunft zu ſo viel höheren Leiſtungen befähigt. Die
vergleichende Sprachforſchung, eine der intereſſanteſten
in unſerem Jahrhundert entſtandenen Wiſſenſchaften, hat gezeigt,
wie die zahlreichen hochentwickelten Sprachen der verſchiedenen
Völker ſich aus wenigen einfachen Urſprachen langſam und
allmählich entwickelt haben (Wilhelm Humboldt, Bopp,
Schleicher, Steinthal u. A.). Insbeſondere hat Auguſt
Schleicher *) in Jena gezeigt, daß die hiſtoriſche Entwickelung
der Sprachen nach denſelben phylogenetiſchen Geſetzen erfolgt,
wie diejenige anderer phyſiologiſcher Thätigkeiten und ihrer
Organe. Romanes hat (1893) dieſen Nachweis weiter aus-
geführt und überzeugend dargethan, daß auch die Sprache des
Menſchen nur dem Grade der Entwickelung nach, nicht dem
Weſen und der Art nach von derjenigen der höheren Thiere
verſchieden iſt.
Skala der Gemüthsbewegungen oder Affekte. Die wichtige
Gruppe von Seelenthätigkeiten, welche wir unter dem Begriffe
„Gemüth“ zuſammenfaſſen, ſpielt eine große Rolle ebenſo in
der theoretiſchen wie in der praktiſchen Vernunftlehre. Für
unſere Betrachtungsweiſe ſind ſie deßhalb beſonders wichtig, weil
*) Auguſt Schleicher, Die Darwin'ſche Theorie und die Sprach-
wiſſenſchaft (Weimar 1863); Über die Bedeutung der Sprache für die
Naturgeſchichte des Menſchen (Weimar 1865).
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