Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.Primäre und sekundäre Reflexe. VII. es sich bei den höheren Thieren, bei denen ein centralisirtesNervensystem und vollkommene Sinnesorgane entwickelt sind. Hier hat sich aus der psychischen Reflex-Thätigkeit allmählich das Bewußtsein entwickelt, und nunmehr treten die bewußten Willenshandlungen in Gegensatz zu den daneben noch fort- bestehenden Reflex-Handlungen. Wir müssen aber hier, ebenso wie bei den Instinkten, zwei wesentlich verschiedene Erscheinungen trennen, die primären und die sekundären Reflexe. Primäre Reflexe sind solche, die phyletisch niemals bewußt gewesen sind, also die ursprüngliche Natur (durch Vererbung von niederen Thier-Ahnen) beibehalten haben. Sekundäre Reflexe dagegen sind solche, die bei den Voreltern bewußte Willens- handlungen waren, aber später durch Gewohnheit oder Ausfall des Bewußtseins zu unbewußten geworden sind. Eine scharfe Grenze ist hier -- wie überall -- zwischen bewußten und un- bewußten Seelenfunktionen nicht zu ziehen. Skala der Vorstellungen (Dokesen). Aeltere Psychologen Primäre und ſekundäre Reflexe. VII. es ſich bei den höheren Thieren, bei denen ein centraliſirtesNervenſyſtem und vollkommene Sinnesorgane entwickelt ſind. Hier hat ſich aus der pſychiſchen Reflex-Thätigkeit allmählich das Bewußtſein entwickelt, und nunmehr treten die bewußten Willenshandlungen in Gegenſatz zu den daneben noch fort- beſtehenden Reflex-Handlungen. Wir müſſen aber hier, ebenſo wie bei den Inſtinkten, zwei weſentlich verſchiedene Erſcheinungen trennen, die primären und die ſekundären Reflexe. Primäre Reflexe ſind ſolche, die phyletiſch niemals bewußt geweſen ſind, alſo die urſprüngliche Natur (durch Vererbung von niederen Thier-Ahnen) beibehalten haben. Sekundäre Reflexe dagegen ſind ſolche, die bei den Voreltern bewußte Willens- handlungen waren, aber ſpäter durch Gewohnheit oder Ausfall des Bewußtſeins zu unbewußten geworden ſind. Eine ſcharfe Grenze iſt hier — wie überall — zwiſchen bewußten und un- bewußten Seelenfunktionen nicht zu ziehen. Skala der Vorſtellungen (Dokeſen). Aeltere Pſychologen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0152" n="136"/><fw place="top" type="header">Primäre und ſekundäre Reflexe. <hi rendition="#aq">VII.</hi></fw><lb/> es ſich bei den höheren Thieren, bei denen ein centraliſirtes<lb/> Nervenſyſtem und vollkommene Sinnesorgane entwickelt ſind.<lb/> Hier hat ſich aus der pſychiſchen Reflex-Thätigkeit allmählich<lb/> das Bewußtſein entwickelt, und nunmehr treten die bewußten<lb/> Willenshandlungen in Gegenſatz zu den daneben noch fort-<lb/> beſtehenden Reflex-Handlungen. Wir müſſen aber hier, ebenſo<lb/> wie bei den Inſtinkten, zwei weſentlich verſchiedene Erſcheinungen<lb/> trennen, die primären und die ſekundären Reflexe. <hi rendition="#g">Primäre<lb/> Reflexe</hi> ſind ſolche, die phyletiſch niemals bewußt geweſen<lb/> ſind, alſo die urſprüngliche Natur (durch Vererbung von niederen<lb/> Thier-Ahnen) beibehalten haben. <hi rendition="#g">Sekundäre Reflexe</hi><lb/> dagegen ſind ſolche, die bei den Voreltern bewußte Willens-<lb/> handlungen waren, aber ſpäter durch Gewohnheit oder Ausfall<lb/> des Bewußtſeins zu unbewußten geworden ſind. Eine ſcharfe<lb/> Grenze iſt hier — wie überall — zwiſchen bewußten und un-<lb/> bewußten Seelenfunktionen nicht zu ziehen.</p><lb/> <p><hi rendition="#b">Skala der Vorſtellungen</hi><hi rendition="#aq">(Dokeſen)</hi>. Aeltere Pſychologen<lb/> (z. B. <hi rendition="#g">Herbart</hi>) haben die „Vorſtellung“ als das ſeeliſche<lb/> Grundphänomen betrachtet, aus dem alle übrigen abzuleiten<lb/> ſeien. Die moderne vergleichende Pſychologie acceptirt dieſe<lb/> Anſchauung, ſoweit es ſich um den Begriff der <hi rendition="#g">unbewußten</hi><lb/> Vorſtellung handelt; dagegen erblickt ſie in der <hi rendition="#g">bewußten</hi><lb/> Vorſtellung eine ſekundäre Erſcheinung des Seelenlebens, welche<lb/> bei den Pflanzen und den niederen Thieren noch ganz fehlt und<lb/> nur bei den höheren Thieren zur Ausbildung gelangt. Unter<lb/> den zahlreichen widerſprechenden Definitionen, welche die<lb/> Pſychologen vom Begriffe der „<hi rendition="#g">Vorſtellung</hi>“ <hi rendition="#aq">(Dokeſiſ)</hi> ge-<lb/> geben haben, halten wir diejenige für die zweckmäßigſte, welche<lb/> darin das <hi rendition="#g">innere Bild</hi> des äußeren Objektes erblickt, welches<lb/> durch die Empfindung uns übermittelt iſt („Idee“ in gewiſſem<lb/> Sinne). Wir unterſcheiden in der aufſteigenden Stufenleiter<lb/> der Vorſtellungs-Funktion die folgenden vier Hauptſtufen:</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [136/0152]
Primäre und ſekundäre Reflexe. VII.
es ſich bei den höheren Thieren, bei denen ein centraliſirtes
Nervenſyſtem und vollkommene Sinnesorgane entwickelt ſind.
Hier hat ſich aus der pſychiſchen Reflex-Thätigkeit allmählich
das Bewußtſein entwickelt, und nunmehr treten die bewußten
Willenshandlungen in Gegenſatz zu den daneben noch fort-
beſtehenden Reflex-Handlungen. Wir müſſen aber hier, ebenſo
wie bei den Inſtinkten, zwei weſentlich verſchiedene Erſcheinungen
trennen, die primären und die ſekundären Reflexe. Primäre
Reflexe ſind ſolche, die phyletiſch niemals bewußt geweſen
ſind, alſo die urſprüngliche Natur (durch Vererbung von niederen
Thier-Ahnen) beibehalten haben. Sekundäre Reflexe
dagegen ſind ſolche, die bei den Voreltern bewußte Willens-
handlungen waren, aber ſpäter durch Gewohnheit oder Ausfall
des Bewußtſeins zu unbewußten geworden ſind. Eine ſcharfe
Grenze iſt hier — wie überall — zwiſchen bewußten und un-
bewußten Seelenfunktionen nicht zu ziehen.
Skala der Vorſtellungen (Dokeſen). Aeltere Pſychologen
(z. B. Herbart) haben die „Vorſtellung“ als das ſeeliſche
Grundphänomen betrachtet, aus dem alle übrigen abzuleiten
ſeien. Die moderne vergleichende Pſychologie acceptirt dieſe
Anſchauung, ſoweit es ſich um den Begriff der unbewußten
Vorſtellung handelt; dagegen erblickt ſie in der bewußten
Vorſtellung eine ſekundäre Erſcheinung des Seelenlebens, welche
bei den Pflanzen und den niederen Thieren noch ganz fehlt und
nur bei den höheren Thieren zur Ausbildung gelangt. Unter
den zahlreichen widerſprechenden Definitionen, welche die
Pſychologen vom Begriffe der „Vorſtellung“ (Dokeſiſ) ge-
geben haben, halten wir diejenige für die zweckmäßigſte, welche
darin das innere Bild des äußeren Objektes erblickt, welches
durch die Empfindung uns übermittelt iſt („Idee“ in gewiſſem
Sinne). Wir unterſcheiden in der aufſteigenden Stufenleiter
der Vorſtellungs-Funktion die folgenden vier Hauptſtufen:
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |