Materielle Basis der Psyche. Alle Erscheinungen des Seelenlebens ohne Ausnahme sind verknüpft mit materiellen Vorgängen in der lebendigen Substanz des Körpers, im Plasma oder Protoplasma. Wir haben jenen Theil des letzteren, der als der unentbehrliche Träger der Psyche erscheint, als Psycho- plasma bezeichnet (als "Seelensubstanz" im monistischen Sinne); d. h. wir erblicken darin kein besonderes "Wesen", sondern wir betrachten die Psyche als Kollektiv-Begriff für die gesammten psychischen Funktionen des Plasma. "Seele" ist in diesem Sinne ebenso eine physiologische Ab- straktion wie der Begriff "Stoffwechsel" oder "Zeugung". Beim Menschen und den höheren Thieren ist das Psychoplasma, zufolge der vorgeschrittenen Arbeitstheilung der Organe und Gewebe, ein differenzirter Bestandtheil des Nervensystems, das Neuro- plasma der Ganglienzellen und ihrer leitenden Ausläufer, der Nervenfasern. Bei den niederen Thieren dagegen, die noch keine gesonderten Nerven und Sinnesorgane besitzen, ist das Psycho- plasma noch nicht zur selbstständigen Differenzirung gelangt, ebenso wie bei den Pflanzen. Bei den einzelligen Protisten endlich ist das Psychoplasma entweder identisch mit dem ganzen lebendigen Protoplasma der einfachen Zelle oder mit einem Theile desselben. In allen Fällen, ebenso auf dieser niedersten wie auf jener höchsten Stufe der psychologischen Skala, ist eine gewisse chemische Zusammensetzung des Psychoplasma und eine gewisse physikalische Beschaffenheit desselben unent- behrlich, wenn die "Seele" fungiren oder arbeiten soll. Das gilt ebenso von der elementaren Seelenthätigkeit der plasma- tischen Empfindung und Bewegung bei den Protozoen wie von den zusammengesetzten Funktionen der Sinnesorgane und des Gehirns bei den höheren Thieren und an ihrer Spitze dem Menschen. Die Arbeit des Psychoplasma, die wir "Seele" nennen, ist stets mit Stoffwechsel verknüpft.
Pſychoplasma und Neuroplasma. VII.
Materielle Baſis der Pſyche. Alle Erſcheinungen des Seelenlebens ohne Ausnahme ſind verknüpft mit materiellen Vorgängen in der lebendigen Subſtanz des Körpers, im Plasma oder Protoplasma. Wir haben jenen Theil des letzteren, der als der unentbehrliche Träger der Pſyche erſcheint, als Pſycho- plasma bezeichnet (als „Seelenſubſtanz“ im moniſtiſchen Sinne); d. h. wir erblicken darin kein beſonderes „Weſen“, ſondern wir betrachten die Pſyche als Kollektiv-Begriff für die geſammten pſychiſchen Funktionen des Plasma. „Seele“ iſt in dieſem Sinne ebenſo eine phyſiologiſche Ab- ſtraktion wie der Begriff „Stoffwechſel“ oder „Zeugung“. Beim Menſchen und den höheren Thieren iſt das Pſychoplasma, zufolge der vorgeſchrittenen Arbeitstheilung der Organe und Gewebe, ein differenzirter Beſtandtheil des Nervenſyſtems, das Neuro- plasma der Ganglienzellen und ihrer leitenden Ausläufer, der Nervenfaſern. Bei den niederen Thieren dagegen, die noch keine geſonderten Nerven und Sinnesorgane beſitzen, iſt das Pſycho- plasma noch nicht zur ſelbſtſtändigen Differenzirung gelangt, ebenſo wie bei den Pflanzen. Bei den einzelligen Protiſten endlich iſt das Pſychoplasma entweder identiſch mit dem ganzen lebendigen Protoplasma der einfachen Zelle oder mit einem Theile deſſelben. In allen Fällen, ebenſo auf dieſer niederſten wie auf jener höchſten Stufe der pſychologiſchen Skala, iſt eine gewiſſe chemiſche Zuſammenſetzung des Pſychoplasma und eine gewiſſe phyſikaliſche Beſchaffenheit deſſelben unent- behrlich, wenn die „Seele“ fungiren oder arbeiten ſoll. Das gilt ebenſo von der elementaren Seelenthätigkeit der plasma- tiſchen Empfindung und Bewegung bei den Protozoen wie von den zuſammengeſetzten Funktionen der Sinnesorgane und des Gehirns bei den höheren Thieren und an ihrer Spitze dem Menſchen. Die Arbeit des Pſychoplasma, die wir „Seele“ nennen, iſt ſtets mit Stoffwechſel verknüpft.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0144"n="128"/><fwplace="top"type="header">Pſychoplasma und Neuroplasma. <hirendition="#aq">VII.</hi></fw><lb/><p><hirendition="#b">Materielle Baſis der Pſyche.</hi> Alle Erſcheinungen des<lb/>
Seelenlebens ohne Ausnahme ſind verknüpft mit materiellen<lb/>
Vorgängen in der lebendigen Subſtanz des Körpers, im <hirendition="#g">Plasma</hi><lb/>
oder <hirendition="#g">Protoplasma</hi>. Wir haben jenen Theil des letzteren, der<lb/>
als der unentbehrliche Träger der Pſyche erſcheint, als <hirendition="#g">Pſycho-<lb/>
plasma</hi> bezeichnet (als „Seelenſubſtanz“ im moniſtiſchen<lb/>
Sinne); d. h. wir erblicken darin kein beſonderes „Weſen“, ſondern<lb/>
wir betrachten die <hirendition="#g">Pſyche als Kollektiv-Begriff für<lb/>
die geſammten pſychiſchen Funktionen des Plasma</hi>.<lb/>„Seele“ iſt in dieſem Sinne ebenſo eine phyſiologiſche Ab-<lb/>ſtraktion wie der Begriff „Stoffwechſel“ oder „Zeugung“. Beim<lb/>
Menſchen und den höheren Thieren iſt das Pſychoplasma, zufolge<lb/>
der vorgeſchrittenen Arbeitstheilung der Organe und Gewebe,<lb/>
ein differenzirter Beſtandtheil des Nervenſyſtems, das <hirendition="#g">Neuro-<lb/>
plasma</hi> der Ganglienzellen und ihrer leitenden Ausläufer, der<lb/>
Nervenfaſern. Bei den niederen Thieren dagegen, die noch keine<lb/>
geſonderten Nerven und Sinnesorgane beſitzen, iſt das Pſycho-<lb/>
plasma noch nicht zur ſelbſtſtändigen Differenzirung gelangt,<lb/>
ebenſo wie bei den Pflanzen. Bei den einzelligen Protiſten<lb/>
endlich iſt das Pſychoplasma entweder identiſch mit dem ganzen<lb/>
lebendigen <hirendition="#g">Protoplasma</hi> der einfachen Zelle oder mit einem<lb/>
Theile deſſelben. In allen Fällen, ebenſo auf dieſer niederſten<lb/>
wie auf jener höchſten Stufe der pſychologiſchen Skala, iſt eine<lb/>
gewiſſe <hirendition="#g">chemiſche</hi> Zuſammenſetzung des Pſychoplasma und<lb/>
eine gewiſſe <hirendition="#g">phyſikaliſche</hi> Beſchaffenheit deſſelben unent-<lb/>
behrlich, wenn die „Seele“ fungiren oder arbeiten ſoll. Das<lb/>
gilt ebenſo von der elementaren Seelenthätigkeit der plasma-<lb/>
tiſchen Empfindung und Bewegung bei den Protozoen wie von<lb/>
den zuſammengeſetzten Funktionen der Sinnesorgane und des<lb/>
Gehirns bei den höheren Thieren und an ihrer Spitze dem<lb/>
Menſchen. Die Arbeit des Pſychoplasma, die wir „Seele“<lb/>
nennen, iſt ſtets mit Stoffwechſel verknüpft.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[128/0144]
Pſychoplasma und Neuroplasma. VII.
Materielle Baſis der Pſyche. Alle Erſcheinungen des
Seelenlebens ohne Ausnahme ſind verknüpft mit materiellen
Vorgängen in der lebendigen Subſtanz des Körpers, im Plasma
oder Protoplasma. Wir haben jenen Theil des letzteren, der
als der unentbehrliche Träger der Pſyche erſcheint, als Pſycho-
plasma bezeichnet (als „Seelenſubſtanz“ im moniſtiſchen
Sinne); d. h. wir erblicken darin kein beſonderes „Weſen“, ſondern
wir betrachten die Pſyche als Kollektiv-Begriff für
die geſammten pſychiſchen Funktionen des Plasma.
„Seele“ iſt in dieſem Sinne ebenſo eine phyſiologiſche Ab-
ſtraktion wie der Begriff „Stoffwechſel“ oder „Zeugung“. Beim
Menſchen und den höheren Thieren iſt das Pſychoplasma, zufolge
der vorgeſchrittenen Arbeitstheilung der Organe und Gewebe,
ein differenzirter Beſtandtheil des Nervenſyſtems, das Neuro-
plasma der Ganglienzellen und ihrer leitenden Ausläufer, der
Nervenfaſern. Bei den niederen Thieren dagegen, die noch keine
geſonderten Nerven und Sinnesorgane beſitzen, iſt das Pſycho-
plasma noch nicht zur ſelbſtſtändigen Differenzirung gelangt,
ebenſo wie bei den Pflanzen. Bei den einzelligen Protiſten
endlich iſt das Pſychoplasma entweder identiſch mit dem ganzen
lebendigen Protoplasma der einfachen Zelle oder mit einem
Theile deſſelben. In allen Fällen, ebenſo auf dieſer niederſten
wie auf jener höchſten Stufe der pſychologiſchen Skala, iſt eine
gewiſſe chemiſche Zuſammenſetzung des Pſychoplasma und
eine gewiſſe phyſikaliſche Beſchaffenheit deſſelben unent-
behrlich, wenn die „Seele“ fungiren oder arbeiten ſoll. Das
gilt ebenſo von der elementaren Seelenthätigkeit der plasma-
tiſchen Empfindung und Bewegung bei den Protozoen wie von
den zuſammengeſetzten Funktionen der Sinnesorgane und des
Gehirns bei den höheren Thieren und an ihrer Spitze dem
Menſchen. Die Arbeit des Pſychoplasma, die wir „Seele“
nennen, iſt ſtets mit Stoffwechſel verknüpft.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/144>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.