Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.VI. Menschenseele und Affenseele. begriffliche Denken und Abstraktions-Vermögen des Menschen hatsich allmählich aus den nicht begrifflichen Vorstufen des Denkens und Vorstellens bei den nächstverwandten Säugethieren entwickelt. Die höchsten Geistesthätigkeiten des Menschen, Vernunft, Sprache und Bewußtsein, sind aus den niederen Vor- stufen derselben in der Reihe der Primaten-Ahnen (Affen und Halbaffen) hervorgegangen. Der Mensch besitzt keine einzige "Geistesthätigkeit", welche ihm ausschließlich eigenthümlich ist; sein ganzes Seelenleben ist von demjenigen der nächstverwandten Säugethiere nur dem Grade, nicht der Art nach, nur quanti- tativ, nicht qualitativ verschieden. Den Leser meines Buches, welcher sich für diese hochwichtigen VI. Menſchenſeele und Affenſeele. begriffliche Denken und Abſtraktions-Vermögen des Menſchen hatſich allmählich aus den nicht begrifflichen Vorſtufen des Denkens und Vorſtellens bei den nächſtverwandten Säugethieren entwickelt. Die höchſten Geiſtesthätigkeiten des Menſchen, Vernunft, Sprache und Bewußtſein, ſind aus den niederen Vor- ſtufen derſelben in der Reihe der Primaten-Ahnen (Affen und Halbaffen) hervorgegangen. Der Menſch beſitzt keine einzige „Geiſtesthätigkeit“, welche ihm ausſchließlich eigenthümlich iſt; ſein ganzes Seelenleben iſt von demjenigen der nächſtverwandten Säugethiere nur dem Grade, nicht der Art nach, nur quanti- tativ, nicht qualitativ verſchieden. Den Leſer meines Buches, welcher ſich für dieſe hochwichtigen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0139" n="123"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">VI.</hi> Menſchenſeele und Affenſeele.</fw><lb/> begriffliche Denken und Abſtraktions-Vermögen des Menſchen hat<lb/> ſich allmählich aus den nicht begrifflichen Vorſtufen des Denkens<lb/> und Vorſtellens bei den nächſtverwandten Säugethieren entwickelt.<lb/> Die höchſten Geiſtesthätigkeiten des Menſchen, <hi rendition="#g">Vernunft,<lb/> Sprache und Bewußtſein,</hi> ſind aus den niederen Vor-<lb/> ſtufen derſelben in der Reihe der <hi rendition="#g">Primaten-Ahnen</hi> (Affen<lb/> und Halbaffen) hervorgegangen. Der Menſch beſitzt keine einzige<lb/> „Geiſtesthätigkeit“, welche ihm ausſchließlich eigenthümlich iſt;<lb/> ſein ganzes Seelenleben iſt von demjenigen der nächſtverwandten<lb/> Säugethiere nur dem <hi rendition="#g">Grade,</hi> nicht der <hi rendition="#g">Art</hi> nach, nur quanti-<lb/> tativ, nicht qualitativ verſchieden.</p><lb/> <p>Den Leſer meines Buches, welcher ſich für dieſe hochwichtigen<lb/> „Seelen-Fragen“ intereſſirt, verweiſe ich auf das grundlegende<lb/> Werk von <hi rendition="#g">Romanes</hi>. Ich ſtimme faſt in allen Anſchauungen<lb/> und Ueberzeugungen vollſtändig mit ihm und mit <hi rendition="#g">Darwin</hi><lb/> überein; wo ſich etwa ſcheinbare Unterſchiede zwiſchen dieſen<lb/> Autoren und zwiſchen meinen früheren Ausführungen finden, da<lb/> beruhen ſie entweder auf einer unvollkommenen Ausdrucks-Form<lb/> meinerſeits oder auf einem unbedeutenden Unterſchiede in der<lb/> Anwendung der Grundbegriffe. Uebrigens gehört es ja zu den<lb/> charakteriſtiſchen Merkmalen dieſer „Begriffs-Wiſſenſchaft“, daß<lb/> über ihre wichtigſten Grundbegriffe die angeſehenſten Philoſophen<lb/> ganz verſchiedene Anſichten haben.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [123/0139]
VI. Menſchenſeele und Affenſeele.
begriffliche Denken und Abſtraktions-Vermögen des Menſchen hat
ſich allmählich aus den nicht begrifflichen Vorſtufen des Denkens
und Vorſtellens bei den nächſtverwandten Säugethieren entwickelt.
Die höchſten Geiſtesthätigkeiten des Menſchen, Vernunft,
Sprache und Bewußtſein, ſind aus den niederen Vor-
ſtufen derſelben in der Reihe der Primaten-Ahnen (Affen
und Halbaffen) hervorgegangen. Der Menſch beſitzt keine einzige
„Geiſtesthätigkeit“, welche ihm ausſchließlich eigenthümlich iſt;
ſein ganzes Seelenleben iſt von demjenigen der nächſtverwandten
Säugethiere nur dem Grade, nicht der Art nach, nur quanti-
tativ, nicht qualitativ verſchieden.
Den Leſer meines Buches, welcher ſich für dieſe hochwichtigen
„Seelen-Fragen“ intereſſirt, verweiſe ich auf das grundlegende
Werk von Romanes. Ich ſtimme faſt in allen Anſchauungen
und Ueberzeugungen vollſtändig mit ihm und mit Darwin
überein; wo ſich etwa ſcheinbare Unterſchiede zwiſchen dieſen
Autoren und zwiſchen meinen früheren Ausführungen finden, da
beruhen ſie entweder auf einer unvollkommenen Ausdrucks-Form
meinerſeits oder auf einem unbedeutenden Unterſchiede in der
Anwendung der Grundbegriffe. Uebrigens gehört es ja zu den
charakteriſtiſchen Merkmalen dieſer „Begriffs-Wiſſenſchaft“, daß
über ihre wichtigſten Grundbegriffe die angeſehenſten Philoſophen
ganz verſchiedene Anſichten haben.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |