begriffliche Denken und Abstraktions-Vermögen des Menschen hat sich allmählich aus den nicht begrifflichen Vorstufen des Denkens und Vorstellens bei den nächstverwandten Säugethieren entwickelt. Die höchsten Geistesthätigkeiten des Menschen, Vernunft, Sprache und Bewußtsein, sind aus den niederen Vor- stufen derselben in der Reihe der Primaten-Ahnen (Affen und Halbaffen) hervorgegangen. Der Mensch besitzt keine einzige "Geistesthätigkeit", welche ihm ausschließlich eigenthümlich ist; sein ganzes Seelenleben ist von demjenigen der nächstverwandten Säugethiere nur dem Grade, nicht der Art nach, nur quanti- tativ, nicht qualitativ verschieden.
Den Leser meines Buches, welcher sich für diese hochwichtigen "Seelen-Fragen" interessirt, verweise ich auf das grundlegende Werk von Romanes. Ich stimme fast in allen Anschauungen und Ueberzeugungen vollständig mit ihm und mit Darwin überein; wo sich etwa scheinbare Unterschiede zwischen diesen Autoren und zwischen meinen früheren Ausführungen finden, da beruhen sie entweder auf einer unvollkommenen Ausdrucks-Form meinerseits oder auf einem unbedeutenden Unterschiede in der Anwendung der Grundbegriffe. Uebrigens gehört es ja zu den charakteristischen Merkmalen dieser "Begriffs-Wissenschaft", daß über ihre wichtigsten Grundbegriffe die angesehensten Philosophen ganz verschiedene Ansichten haben.
VI. Menſchenſeele und Affenſeele.
begriffliche Denken und Abſtraktions-Vermögen des Menſchen hat ſich allmählich aus den nicht begrifflichen Vorſtufen des Denkens und Vorſtellens bei den nächſtverwandten Säugethieren entwickelt. Die höchſten Geiſtesthätigkeiten des Menſchen, Vernunft, Sprache und Bewußtſein, ſind aus den niederen Vor- ſtufen derſelben in der Reihe der Primaten-Ahnen (Affen und Halbaffen) hervorgegangen. Der Menſch beſitzt keine einzige „Geiſtesthätigkeit“, welche ihm ausſchließlich eigenthümlich iſt; ſein ganzes Seelenleben iſt von demjenigen der nächſtverwandten Säugethiere nur dem Grade, nicht der Art nach, nur quanti- tativ, nicht qualitativ verſchieden.
Den Leſer meines Buches, welcher ſich für dieſe hochwichtigen „Seelen-Fragen“ intereſſirt, verweiſe ich auf das grundlegende Werk von Romanes. Ich ſtimme faſt in allen Anſchauungen und Ueberzeugungen vollſtändig mit ihm und mit Darwin überein; wo ſich etwa ſcheinbare Unterſchiede zwiſchen dieſen Autoren und zwiſchen meinen früheren Ausführungen finden, da beruhen ſie entweder auf einer unvollkommenen Ausdrucks-Form meinerſeits oder auf einem unbedeutenden Unterſchiede in der Anwendung der Grundbegriffe. Uebrigens gehört es ja zu den charakteriſtiſchen Merkmalen dieſer „Begriffs-Wiſſenſchaft“, daß über ihre wichtigſten Grundbegriffe die angeſehenſten Philoſophen ganz verſchiedene Anſichten haben.
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VI. Menſchenſeele und Affenſeele.
begriffliche Denken und Abſtraktions-Vermögen des Menſchen hat
ſich allmählich aus den nicht begrifflichen Vorſtufen des Denkens
und Vorſtellens bei den nächſtverwandten Säugethieren entwickelt.
Die höchſten Geiſtesthätigkeiten des Menſchen, Vernunft,
Sprache und Bewußtſein, ſind aus den niederen Vor-
ſtufen derſelben in der Reihe der Primaten-Ahnen (Affen
und Halbaffen) hervorgegangen. Der Menſch beſitzt keine einzige
„Geiſtesthätigkeit“, welche ihm ausſchließlich eigenthümlich iſt;
ſein ganzes Seelenleben iſt von demjenigen der nächſtverwandten
Säugethiere nur dem Grade, nicht der Art nach, nur quanti-
tativ, nicht qualitativ verſchieden.
Den Leſer meines Buches, welcher ſich für dieſe hochwichtigen
„Seelen-Fragen“ intereſſirt, verweiſe ich auf das grundlegende
Werk von Romanes. Ich ſtimme faſt in allen Anſchauungen
und Ueberzeugungen vollſtändig mit ihm und mit Darwin
überein; wo ſich etwa ſcheinbare Unterſchiede zwiſchen dieſen
Autoren und zwiſchen meinen früheren Ausführungen finden, da
beruhen ſie entweder auf einer unvollkommenen Ausdrucks-Form
meinerſeits oder auf einem unbedeutenden Unterſchiede in der
Anwendung der Grundbegriffe. Uebrigens gehört es ja zu den
charakteriſtiſchen Merkmalen dieſer „Begriffs-Wiſſenſchaft“, daß
über ihre wichtigſten Grundbegriffe die angeſehenſten Philoſophen
ganz verſchiedene Anſichten haben.
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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/139>, abgerufen am 16.07.2024.
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