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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Vorwort.
schen Genius des Dichters, weit seiner Zeit vorauseilend, ahnte, was
Jean Lamarck bereits, unverstanden von seinen befangenen Zeit-
genossen, zu einer klaren wissenschaftlichen Theorie formte, das ist
durch das epochemachende Werk von Charles Darwin unver-
äußerliches Erbgut der menschlichen Erkenntniß und die erste Grund-
lage geworden, auf der alle wahre Wissenschaft in Zukunft weiter
bauen wird. "Entwickelung" heißt von jetzt an das Zauberwort,
durch das wir alle uns umgebenden Räthsel lösen, oder wenigstens
auf den Weg ihrer Lösung gelangen können. Aber wie Wenige haben
dieses Losungswort wirklich verstanden, und wie Wenigen ist seine
weltumgestaltende Bedeutung klar geworden! Befangen in der mythi-
schen Tradition von Jahrtausenden, und geblendet durch den falschen
Glanz mächtiger Autoritäten, haben selbst hervorragende Männer der
Wissenschaft in dem Siege der Entwickelungstheorie nicht den größten
Fortschritt, sondern einen gefährlichen Rückschritt der Naturwissenschaft
erblickt, und namentlich den biologischen Theil derselben, die Abstam-
mungslehre oder Descendenztheorie, unrichtiger beurtheilt, als der ge-
sunde Menschenverstand des gebildeten Laien.

Diese Wahrnehmung vorzüglich war es, welche mich zur Ver-
öffentlichung dieser gemeinverständlichen wissenschaftlichen Vorträge be-
stimmte. Jch hoffe dadurch der Entwickelungslehre, welche ich für
die größte Eroberung des menschlichen Geistes halte, manchen An-
hänger auch in jenen Kreisen der Gesellschaft zuzuführen, welche zu-
nächst nicht mit dem empirischen Material der Naturwissenschaft, und
der Biologie insbesondere, näher vertraut, aber durch ihr Jnteresse
an dem Naturganzen berechtigt, und durch ihren natürlichen Menschen-
verstand befähigt sind, die Entwickelungstheorie zu begreifen, und als
Schlüssel zum Verständniß der Erscheinungswelt zu benutzen. Die
Form der freien Vorträge, in welcher hier die Grundzüge der allge-
meinen Entwickelungsgeschichte behandelt sind, hat mancherlei Nach-
theile. Aber ihre Vorzüge, namentlich der freie und unmittelbare
Verkehr zwischen dem Vortragenden und dem Zuhörer, überwiegen
in meinen Augen die Nachtheile bedeutend.

Vorwort.
ſchen Genius des Dichters, weit ſeiner Zeit vorauseilend, ahnte, was
Jean Lamarck bereits, unverſtanden von ſeinen befangenen Zeit-
genoſſen, zu einer klaren wiſſenſchaftlichen Theorie formte, das iſt
durch das epochemachende Werk von Charles Darwin unver-
aͤußerliches Erbgut der menſchlichen Erkenntniß und die erſte Grund-
lage geworden, auf der alle wahre Wiſſenſchaft in Zukunft weiter
bauen wird. „Entwickelung“ heißt von jetzt an das Zauberwort,
durch das wir alle uns umgebenden Raͤthſel loͤſen, oder wenigſtens
auf den Weg ihrer Loͤſung gelangen koͤnnen. Aber wie Wenige haben
dieſes Loſungswort wirklich verſtanden, und wie Wenigen iſt ſeine
weltumgeſtaltende Bedeutung klar geworden! Befangen in der mythi-
ſchen Tradition von Jahrtauſenden, und geblendet durch den falſchen
Glanz maͤchtiger Autoritaͤten, haben ſelbſt hervorragende Maͤnner der
Wiſſenſchaft in dem Siege der Entwickelungstheorie nicht den groͤßten
Fortſchritt, ſondern einen gefaͤhrlichen Ruͤckſchritt der Naturwiſſenſchaft
erblickt, und namentlich den biologiſchen Theil derſelben, die Abſtam-
mungslehre oder Deſcendenztheorie, unrichtiger beurtheilt, als der ge-
ſunde Menſchenverſtand des gebildeten Laien.

Dieſe Wahrnehmung vorzuͤglich war es, welche mich zur Ver-
oͤffentlichung dieſer gemeinverſtaͤndlichen wiſſenſchaftlichen Vortraͤge be-
ſtimmte. Jch hoffe dadurch der Entwickelungslehre, welche ich fuͤr
die groͤßte Eroberung des menſchlichen Geiſtes halte, manchen An-
haͤnger auch in jenen Kreiſen der Geſellſchaft zuzufuͤhren, welche zu-
naͤchſt nicht mit dem empiriſchen Material der Naturwiſſenſchaft, und
der Biologie insbeſondere, naͤher vertraut, aber durch ihr Jntereſſe
an dem Naturganzen berechtigt, und durch ihren natuͤrlichen Menſchen-
verſtand befaͤhigt ſind, die Entwickelungstheorie zu begreifen, und als
Schluͤſſel zum Verſtaͤndniß der Erſcheinungswelt zu benutzen. Die
Form der freien Vortraͤge, in welcher hier die Grundzuͤge der allge-
meinen Entwickelungsgeſchichte behandelt ſind, hat mancherlei Nach-
theile. Aber ihre Vorzuͤge, namentlich der freie und unmittelbare
Verkehr zwiſchen dem Vortragenden und dem Zuhoͤrer, uͤberwiegen
in meinen Augen die Nachtheile bedeutend.

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. IV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/9>, abgerufen am 24.11.2024.