Begründung der Paläontologie oder Versteinerungskunde.
wirklich nichts Anderes seien, als das, was schon der einfache Au- genschein lehrt: die unverweslichen Ueberbleibsel von gestorbenen Or- ganismen. Zwar wagte der berühmte Maler Leonardo da Vinci schon im fünfzehnten Jahrhundert zu behaupten, daß der aus dem Wasser beständig sich absetzende Schlamm die Ursache der Versteine- rungen sei, indem er die auf dem Boden der Gewässer liegenden un- verweslichen Kalkschalen der Muscheln und Schnecken umschließe, und allmählich zu festem Gestein erhärte. Das Gleiche behauptete auch im sechszehnten Jahrhundert ein Pariser Töpfer, Palissy, welcher sich durch seine Porzellanerfindung berühmt machte. Allein die soge- nannten "Gelehrten von Fach" waren weit entfernt, diese wichtigen Aussprüche des einfachen gesunden Menschenverstandes zu würdigen, und erst gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts, während der Begründung der neptunistischen Geologie durch Werner, gewannen dieselben allgemeine Geltung.
Die Begründung der strengeren wissenschaftlichen Paläontologie fällt jedoch erst in den Anfang unseres Jahrhunderts, als Cuvier seine klassischen Untersuchungen über die versteinerten Wirbelthiere, und sein großer Gegner Lamarck seine bahnbrechenden Forschungen über die fossilen wirbellosen Thiere, namentlich die versteinerten Schne- cken und Muscheln, veröffentlichte. Jn seinem unsterblichen Werke "über die fossilen Knochen" der Wirbelthiere, insbesondere der Säu- gethiere und Reptilien, gelangte Cuvier bereits zur Erkenntniß eini- ger sehr wichtigen und allgemeinen paläontologischen Gesetze, welche für die Schöpfungsgeschichte große Bedeutung gewannen. Dahin ge- hört vor Allen der Satz, daß die ausgestorbenen Thierarten, deren Ueberbleibsel wir in den verschiedenen, über einander liegenden Schich- ten der Erdrinde versteinert vorfinden, sich um so auffallender von den jetzt noch lebenden, verwandten Thierarten unterscheiden, je tiefer jene Erdschichten liegen, d. h. je früher die Thiere in der Vorzeit lebten. Jn der That findet man bei jedem senkrechten Durchschnitt der geschich- teten Erdrinde, daß die verschiedenen, aus dem Wasser in bestimm- ter historischer Reihenfolge abgesetzten Erdschichten durch verschiedene
Begruͤndung der Palaͤontologie oder Verſteinerungskunde.
wirklich nichts Anderes ſeien, als das, was ſchon der einfache Au- genſchein lehrt: die unverweslichen Ueberbleibſel von geſtorbenen Or- ganismen. Zwar wagte der beruͤhmte Maler Leonardo da Vinci ſchon im fuͤnfzehnten Jahrhundert zu behaupten, daß der aus dem Waſſer beſtaͤndig ſich abſetzende Schlamm die Urſache der Verſteine- rungen ſei, indem er die auf dem Boden der Gewaͤſſer liegenden un- verweslichen Kalkſchalen der Muſcheln und Schnecken umſchließe, und allmaͤhlich zu feſtem Geſtein erhaͤrte. Das Gleiche behauptete auch im ſechszehnten Jahrhundert ein Pariſer Toͤpfer, Paliſſy, welcher ſich durch ſeine Porzellanerfindung beruͤhmt machte. Allein die ſoge- nannten „Gelehrten von Fach“ waren weit entfernt, dieſe wichtigen Ausſpruͤche des einfachen geſunden Menſchenverſtandes zu wuͤrdigen, und erſt gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts, waͤhrend der Begruͤndung der neptuniſtiſchen Geologie durch Werner, gewannen dieſelben allgemeine Geltung.
Die Begruͤndung der ſtrengeren wiſſenſchaftlichen Palaͤontologie faͤllt jedoch erſt in den Anfang unſeres Jahrhunderts, als Cuvier ſeine klaſſiſchen Unterſuchungen uͤber die verſteinerten Wirbelthiere, und ſein großer Gegner Lamarck ſeine bahnbrechenden Forſchungen uͤber die foſſilen wirbelloſen Thiere, namentlich die verſteinerten Schne- cken und Muſcheln, veroͤffentlichte. Jn ſeinem unſterblichen Werke „uͤber die foſſilen Knochen“ der Wirbelthiere, insbeſondere der Saͤu- gethiere und Reptilien, gelangte Cuvier bereits zur Erkenntniß eini- ger ſehr wichtigen und allgemeinen palaͤontologiſchen Geſetze, welche fuͤr die Schoͤpfungsgeſchichte große Bedeutung gewannen. Dahin ge- hoͤrt vor Allen der Satz, daß die ausgeſtorbenen Thierarten, deren Ueberbleibſel wir in den verſchiedenen, uͤber einander liegenden Schich- ten der Erdrinde verſteinert vorfinden, ſich um ſo auffallender von den jetzt noch lebenden, verwandten Thierarten unterſcheiden, je tiefer jene Erdſchichten liegen, d. h. je fruͤher die Thiere in der Vorzeit lebten. Jn der That findet man bei jedem ſenkrechten Durchſchnitt der geſchich- teten Erdrinde, daß die verſchiedenen, aus dem Waſſer in beſtimm- ter hiſtoriſcher Reihenfolge abgeſetzten Erdſchichten durch verſchiedene
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Begruͤndung der Palaͤontologie oder Verſteinerungskunde.
wirklich nichts Anderes ſeien, als das, was ſchon der einfache Au-
genſchein lehrt: die unverweslichen Ueberbleibſel von geſtorbenen Or-
ganismen. Zwar wagte der beruͤhmte Maler Leonardo da Vinci
ſchon im fuͤnfzehnten Jahrhundert zu behaupten, daß der aus dem
Waſſer beſtaͤndig ſich abſetzende Schlamm die Urſache der Verſteine-
rungen ſei, indem er die auf dem Boden der Gewaͤſſer liegenden un-
verweslichen Kalkſchalen der Muſcheln und Schnecken umſchließe, und
allmaͤhlich zu feſtem Geſtein erhaͤrte. Das Gleiche behauptete auch
im ſechszehnten Jahrhundert ein Pariſer Toͤpfer, Paliſſy, welcher
ſich durch ſeine Porzellanerfindung beruͤhmt machte. Allein die ſoge-
nannten „Gelehrten von Fach“ waren weit entfernt, dieſe wichtigen
Ausſpruͤche des einfachen geſunden Menſchenverſtandes zu wuͤrdigen,
und erſt gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts, waͤhrend der
Begruͤndung der neptuniſtiſchen Geologie durch Werner, gewannen
dieſelben allgemeine Geltung.
Die Begruͤndung der ſtrengeren wiſſenſchaftlichen Palaͤontologie
faͤllt jedoch erſt in den Anfang unſeres Jahrhunderts, als Cuvier
ſeine klaſſiſchen Unterſuchungen uͤber die verſteinerten Wirbelthiere,
und ſein großer Gegner Lamarck ſeine bahnbrechenden Forſchungen
uͤber die foſſilen wirbelloſen Thiere, namentlich die verſteinerten Schne-
cken und Muſcheln, veroͤffentlichte. Jn ſeinem unſterblichen Werke
„uͤber die foſſilen Knochen“ der Wirbelthiere, insbeſondere der Saͤu-
gethiere und Reptilien, gelangte Cuvier bereits zur Erkenntniß eini-
ger ſehr wichtigen und allgemeinen palaͤontologiſchen Geſetze, welche
fuͤr die Schoͤpfungsgeſchichte große Bedeutung gewannen. Dahin ge-
hoͤrt vor Allen der Satz, daß die ausgeſtorbenen Thierarten, deren
Ueberbleibſel wir in den verſchiedenen, uͤber einander liegenden Schich-
ten der Erdrinde verſteinert vorfinden, ſich um ſo auffallender von
den jetzt noch lebenden, verwandten Thierarten unterſcheiden, je tiefer
jene Erdſchichten liegen, d. h. je fruͤher die Thiere in der Vorzeit lebten.
Jn der That findet man bei jedem ſenkrechten Durchſchnitt der geſchich-
teten Erdrinde, daß die verſchiedenen, aus dem Waſſer in beſtimm-
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/67>, abgerufen am 23.07.2024.
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