Aehnlichkeit in der inneren Organisation, in den anatomischen Struk- turverhältnissen, und die noch merkwürdigere Uebereinstimmung in der embryonalen Entwickelung bei allen Thieren, welche zu einem und demselben Typus, z. B. zu dem Zweige der Wirbelthiere, gehören, erklärt sich in der einfachsten Weise durch die Annahme einer gemein- samen Abstammung derselben von einer einzigen Stammform. Alle Wirbelthiere müssen von einer einzigen ursprünglichen Wirbelthierform nothwendig abstammen. Entschließt man sich nicht zu dieser Annah- me, so bleibt jene typische und durchgreifende Uebereinstimmung der verschiedensten Wirbelthiere im inneren Bau und in der Entwicke- lungsweise vollkommen unerklärlich. Sie kann nur durch die Ver- erbung erklärt werden.
Nächst der vergleichenden Anatomie der Thiere, und der durch diese neu begründeten systematischen Zoologie, war es besonders die Versteinerungskunde oder Paläontologie, um welche sich Cuvier die größten Verdienste erwarb. Wir müssen dieser um so mehr gedenken, als gerade die paläontologischen und die damit ver- bundenen geologischen Ansichten Cuviers in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts sich fast allgemein im höchsten Ansehen erhielten, und der Entwickelung der natürlichen Schöpfungsgeschichte die größten Hindernisse entgegenstellten.
Die Versteinerungen oder Petrefakten, deren wissen- schaftliche Kenntniß Cuvier im Anfange unseres Jahrhunderts im umfassendsten Maße förderte und für die Wirbelthiere ganz neu be- gründete, spielen in der "natürlichen Schöpfungsgeschichte" eine der wichtigsten Rollen. Denn diese in versteinertem Zustande uns erhal- tenen Reste und Abdrücke von ausgestorbenen Thieren und Pflanzen sind die wahren "Denkmünzen der Schöpfung", die untrügli- chen und unanfechtbaren Urkunden, welche unsere wahrhaftige Ge- schichte der Organismen auf unerschütterlicher Grundlage feststellen. Alle versteinerten oder fossilen Reste und Abdrücke berichten uns von der Gestalt und dem Bau solcher Thiere und Pflanzen, welche ent- weder die Urahnen und die Voreltern der jetzt lebenden Organismen
Cuviers Verdienſte um die Palaͤontologie.
Aehnlichkeit in der inneren Organiſation, in den anatomiſchen Struk- turverhaͤltniſſen, und die noch merkwuͤrdigere Uebereinſtimmung in der embryonalen Entwickelung bei allen Thieren, welche zu einem und demſelben Typus, z. B. zu dem Zweige der Wirbelthiere, gehoͤren, erklaͤrt ſich in der einfachſten Weiſe durch die Annahme einer gemein- ſamen Abſtammung derſelben von einer einzigen Stammform. Alle Wirbelthiere muͤſſen von einer einzigen urſpruͤnglichen Wirbelthierform nothwendig abſtammen. Entſchließt man ſich nicht zu dieſer Annah- me, ſo bleibt jene typiſche und durchgreifende Uebereinſtimmung der verſchiedenſten Wirbelthiere im inneren Bau und in der Entwicke- lungsweiſe vollkommen unerklaͤrlich. Sie kann nur durch die Ver- erbung erklaͤrt werden.
Naͤchſt der vergleichenden Anatomie der Thiere, und der durch dieſe neu begruͤndeten ſyſtematiſchen Zoologie, war es beſonders die Verſteinerungskunde oder Palaͤontologie, um welche ſich Cuvier die groͤßten Verdienſte erwarb. Wir muͤſſen dieſer um ſo mehr gedenken, als gerade die palaͤontologiſchen und die damit ver- bundenen geologiſchen Anſichten Cuviers in der erſten Haͤlfte unſeres Jahrhunderts ſich faſt allgemein im hoͤchſten Anſehen erhielten, und der Entwickelung der natuͤrlichen Schoͤpfungsgeſchichte die groͤßten Hinderniſſe entgegenſtellten.
Die Verſteinerungen oder Petrefakten, deren wiſſen- ſchaftliche Kenntniß Cuvier im Anfange unſeres Jahrhunderts im umfaſſendſten Maße foͤrderte und fuͤr die Wirbelthiere ganz neu be- gruͤndete, ſpielen in der „natuͤrlichen Schoͤpfungsgeſchichte“ eine der wichtigſten Rollen. Denn dieſe in verſteinertem Zuſtande uns erhal- tenen Reſte und Abdruͤcke von ausgeſtorbenen Thieren und Pflanzen ſind die wahren „Denkmuͤnzen der Schoͤpfung“, die untruͤgli- chen und unanfechtbaren Urkunden, welche unſere wahrhaftige Ge- ſchichte der Organismen auf unerſchuͤtterlicher Grundlage feſtſtellen. Alle verſteinerten oder foſſilen Reſte und Abdruͤcke berichten uns von der Geſtalt und dem Bau ſolcher Thiere und Pflanzen, welche ent- weder die Urahnen und die Voreltern der jetzt lebenden Organismen
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Cuviers Verdienſte um die Palaͤontologie.
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embryonalen Entwickelung bei allen Thieren, welche zu einem und
demſelben Typus, z. B. zu dem Zweige der Wirbelthiere, gehoͤren,
erklaͤrt ſich in der einfachſten Weiſe durch die Annahme einer gemein-
ſamen Abſtammung derſelben von einer einzigen Stammform. Alle
Wirbelthiere muͤſſen von einer einzigen urſpruͤnglichen Wirbelthierform
nothwendig abſtammen. Entſchließt man ſich nicht zu dieſer Annah-
me, ſo bleibt jene typiſche und durchgreifende Uebereinſtimmung der
verſchiedenſten Wirbelthiere im inneren Bau und in der Entwicke-
lungsweiſe vollkommen unerklaͤrlich. Sie kann nur durch die Ver-
erbung erklaͤrt werden.
Naͤchſt der vergleichenden Anatomie der Thiere, und der durch
dieſe neu begruͤndeten ſyſtematiſchen Zoologie, war es beſonders die
Verſteinerungskunde oder Palaͤontologie, um welche ſich
Cuvier die groͤßten Verdienſte erwarb. Wir muͤſſen dieſer um ſo
mehr gedenken, als gerade die palaͤontologiſchen und die damit ver-
bundenen geologiſchen Anſichten Cuviers in der erſten Haͤlfte unſeres
Jahrhunderts ſich faſt allgemein im hoͤchſten Anſehen erhielten, und
der Entwickelung der natuͤrlichen Schoͤpfungsgeſchichte die groͤßten
Hinderniſſe entgegenſtellten.
Die Verſteinerungen oder Petrefakten, deren wiſſen-
ſchaftliche Kenntniß Cuvier im Anfange unſeres Jahrhunderts im
umfaſſendſten Maße foͤrderte und fuͤr die Wirbelthiere ganz neu be-
gruͤndete, ſpielen in der „natuͤrlichen Schoͤpfungsgeſchichte“ eine der
wichtigſten Rollen. Denn dieſe in verſteinertem Zuſtande uns erhal-
tenen Reſte und Abdruͤcke von ausgeſtorbenen Thieren und Pflanzen
ſind die wahren „Denkmuͤnzen der Schoͤpfung“, die untruͤgli-
chen und unanfechtbaren Urkunden, welche unſere wahrhaftige Ge-
ſchichte der Organismen auf unerſchuͤtterlicher Grundlage feſtſtellen.
Alle verſteinerten oder foſſilen Reſte und Abdruͤcke berichten uns von
der Geſtalt und dem Bau ſolcher Thiere und Pflanzen, welche ent-
weder die Urahnen und die Voreltern der jetzt lebenden Organismen
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/65>, abgerufen am 23.07.2024.
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