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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Thierische Ahnenreihe des Menschen.
ende und durch Verlust des Wimperkleides. Der Formwerth dieser Stufe
wird in der weiten Lücke zwischen Strudelwürmern und Mantelthieren durch
verschiedene Zwischenstufen vertreten gewesen sein.

Achte Stufe: Sackwürmer (Himatega),

welche von allen heute
uns bekannten Würmern den Mantelthieren (Tunicata) am nächsten
standen, und zwar den frei umherschwimmenden Jugendformen oder Larven
der eigentlichen Seescheiden (Ascidia, Phallusia) (Vergl. S. 409 und 438).
Entstanden aus den Würmern der siebenten Stufe durch Umbildung des
einfachen Nervenknotens zur Anlage eines Rückenmarks (Medullarrohrs) und
eines darunter gelegenen Rückenstrangs (Chorda dorsalis). Der Formwerth
dieser Stufe entspricht ungefähr demjenigen, welchen die genannten Larven der
einfachen Seescheiden zu der Zeit besitzen, wo sie die Anlage des Rückenmarks
und des Rückenstranges zeigen.

Zweite Hälfte der menschlichen Ahnenreihe:
Wirbelthier-Ahnen des Menschen.
Neunte Stufe: Schädellose oder Rohrherzen (Acrania oder
Leptocardia),

von entfernter Aehnlichkeit mit dem heute noch lebenden
Lanzetthiere (Amphioxus lanceolatus, vergl. S. 437). Körper noch ohne
Kopf, ohne Schädel und Gehirn, vorn und hinten gleichmäßig zugespitzt.
Entstanden während der Primordialzeit aus den Sackwürmern der achten
Stufe durch weitere Differenzirung aller Organe, namentlich vollständigere
Entwickelung des Rückenmarks und des darunter gelegenen Rückenstrangs.
Wahrscheinlich begann mit dieser Stufe auch die Trennung der beiden Ge-
schlechter (Gonochorismus), während alle vorher genannten wirbellosen Ahnen
(abgesehen von den 3 -- 4 ersten geschlechtslosen Stufen) noch Zwitterbildung
(Hermaphroditismus) zeigten (Vergl. S. 152).

Zehnte Stufe: Unpaarnasen (Monorrhina),

von entfernter
Aehnlichkeit mit den heute noch lebenden Jngern (Myxinoiden) und Lampreten
(Petromyzonten). Entstanden während der Primordialzeit aus den Schä-
dellosen dadurch, daß das vordere Ende des Rückenmarks sich zum Gehirn und
dasjenige des Wirbelstrangs zum Schädel entwickelte. Die Menschenahnen
dieser Stufe werden in ihrer wesentlichen inneren Organisation ungefähr
den heutigen Rundmäulern oder Cyclostomen (Jngern und Lampreten) ent-
sprochen haben. Jedoch sind die Beutelkiemen und das runde Saugmaul der
letzteren wohl als reine Anpassungscharaktere zu betrachten, welche bei der
entsprechenden Ahnenstufe nicht vorhanden waren (Vergl. S. 440).

Elfte Stufe: Urfische (Selachii),

von allen bekannten Wirbel-
thieren wahrscheinlich am meisten den heute noch lebenden Haifischen (Squa-

Thieriſche Ahnenreihe des Menſchen.
ende und durch Verluſt des Wimperkleides. Der Formwerth dieſer Stufe
wird in der weiten Luͤcke zwiſchen Strudelwuͤrmern und Mantelthieren durch
verſchiedene Zwiſchenſtufen vertreten geweſen ſein.

Achte Stufe: Sackwuͤrmer (Himatega),

welche von allen heute
uns bekannten Wuͤrmern den Mantelthieren (Tunicata) am naͤchſten
ſtanden, und zwar den frei umherſchwimmenden Jugendformen oder Larven
der eigentlichen Seeſcheiden (Ascidia, Phallusia) (Vergl. S. 409 und 438).
Entſtanden aus den Wuͤrmern der ſiebenten Stufe durch Umbildung des
einfachen Nervenknotens zur Anlage eines Ruͤckenmarks (Medullarrohrs) und
eines darunter gelegenen Ruͤckenſtrangs (Chorda dorſalis). Der Formwerth
dieſer Stufe entſpricht ungefaͤhr demjenigen, welchen die genannten Larven der
einfachen Seeſcheiden zu der Zeit beſitzen, wo ſie die Anlage des Ruͤckenmarks
und des Ruͤckenſtranges zeigen.

Zweite Haͤlfte der menſchlichen Ahnenreihe:
Wirbelthier-Ahnen des Menſchen.
Neunte Stufe: Schaͤdelloſe oder Rohrherzen (Acrania oder
Leptocardia),

von entfernter Aehnlichkeit mit dem heute noch lebenden
Lanzetthiere (Amphioxus lanceolatus, vergl. S. 437). Koͤrper noch ohne
Kopf, ohne Schaͤdel und Gehirn, vorn und hinten gleichmaͤßig zugeſpitzt.
Entſtanden waͤhrend der Primordialzeit aus den Sackwuͤrmern der achten
Stufe durch weitere Differenzirung aller Organe, namentlich vollſtaͤndigere
Entwickelung des Ruͤckenmarks und des darunter gelegenen Ruͤckenſtrangs.
Wahrſcheinlich begann mit dieſer Stufe auch die Trennung der beiden Ge-
ſchlechter (Gonochorismus), waͤhrend alle vorher genannten wirbelloſen Ahnen
(abgeſehen von den 3 — 4 erſten geſchlechtsloſen Stufen) noch Zwitterbildung
(Hermaphroditismus) zeigten (Vergl. S. 152).

Zehnte Stufe: Unpaarnaſen (Monorrhina),

von entfernter
Aehnlichkeit mit den heute noch lebenden Jngern (Myxinoiden) und Lampreten
(Petromyzonten). Entſtanden waͤhrend der Primordialzeit aus den Schaͤ-
delloſen dadurch, daß das vordere Ende des Ruͤckenmarks ſich zum Gehirn und
dasjenige des Wirbelſtrangs zum Schaͤdel entwickelte. Die Menſchenahnen
dieſer Stufe werden in ihrer weſentlichen inneren Organiſation ungefaͤhr
den heutigen Rundmaͤulern oder Cycloſtomen (Jngern und Lampreten) ent-
ſprochen haben. Jedoch ſind die Beutelkiemen und das runde Saugmaul der
letzteren wohl als reine Anpaſſungscharaktere zu betrachten, welche bei der
entſprechenden Ahnenſtufe nicht vorhanden waren (Vergl. S. 440).

Elfte Stufe: Urfiſche (Selachii),

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thieren wahrſcheinlich am meiſten den heute noch lebenden Haifiſchen (Squa-

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[504/0529] Thieriſche Ahnenreihe des Menſchen. ende und durch Verluſt des Wimperkleides. Der Formwerth dieſer Stufe wird in der weiten Luͤcke zwiſchen Strudelwuͤrmern und Mantelthieren durch verſchiedene Zwiſchenſtufen vertreten geweſen ſein. Achte Stufe: Sackwuͤrmer (Himatega), welche von allen heute uns bekannten Wuͤrmern den Mantelthieren (Tunicata) am naͤchſten ſtanden, und zwar den frei umherſchwimmenden Jugendformen oder Larven der eigentlichen Seeſcheiden (Ascidia, Phallusia) (Vergl. S. 409 und 438). Entſtanden aus den Wuͤrmern der ſiebenten Stufe durch Umbildung des einfachen Nervenknotens zur Anlage eines Ruͤckenmarks (Medullarrohrs) und eines darunter gelegenen Ruͤckenſtrangs (Chorda dorſalis). Der Formwerth dieſer Stufe entſpricht ungefaͤhr demjenigen, welchen die genannten Larven der einfachen Seeſcheiden zu der Zeit beſitzen, wo ſie die Anlage des Ruͤckenmarks und des Ruͤckenſtranges zeigen. Zweite Haͤlfte der menſchlichen Ahnenreihe: Wirbelthier-Ahnen des Menſchen. Neunte Stufe: Schaͤdelloſe oder Rohrherzen (Acrania oder Leptocardia), von entfernter Aehnlichkeit mit dem heute noch lebenden Lanzetthiere (Amphioxus lanceolatus, vergl. S. 437). Koͤrper noch ohne Kopf, ohne Schaͤdel und Gehirn, vorn und hinten gleichmaͤßig zugeſpitzt. Entſtanden waͤhrend der Primordialzeit aus den Sackwuͤrmern der achten Stufe durch weitere Differenzirung aller Organe, namentlich vollſtaͤndigere Entwickelung des Ruͤckenmarks und des darunter gelegenen Ruͤckenſtrangs. Wahrſcheinlich begann mit dieſer Stufe auch die Trennung der beiden Ge- ſchlechter (Gonochorismus), waͤhrend alle vorher genannten wirbelloſen Ahnen (abgeſehen von den 3 — 4 erſten geſchlechtsloſen Stufen) noch Zwitterbildung (Hermaphroditismus) zeigten (Vergl. S. 152). Zehnte Stufe: Unpaarnaſen (Monorrhina), von entfernter Aehnlichkeit mit den heute noch lebenden Jngern (Myxinoiden) und Lampreten (Petromyzonten). Entſtanden waͤhrend der Primordialzeit aus den Schaͤ- delloſen dadurch, daß das vordere Ende des Ruͤckenmarks ſich zum Gehirn und dasjenige des Wirbelſtrangs zum Schaͤdel entwickelte. Die Menſchenahnen dieſer Stufe werden in ihrer weſentlichen inneren Organiſation ungefaͤhr den heutigen Rundmaͤulern oder Cycloſtomen (Jngern und Lampreten) ent- ſprochen haben. Jedoch ſind die Beutelkiemen und das runde Saugmaul der letzteren wohl als reine Anpaſſungscharaktere zu betrachten, welche bei der entſprechenden Ahnenſtufe nicht vorhanden waren (Vergl. S. 440). Elfte Stufe: Urfiſche (Selachii), von allen bekannten Wirbel- thieren wahrſcheinlich am meiſten den heute noch lebenden Haifiſchen (Squa-

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 504. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/529>, abgerufen am 22.11.2024.