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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Landraubthiere und Seeraubthiere.
thümliche gürtelförmige Placenta nächst verwandt und offenbar aus
einem Zweige derselben, vermuthlich den Marderartigen (Mustelina)
hervorgegangen. Noch heute bilden unter den letzteren die Fischottern
(Lutra) und noch mehr die Seeottern (Enhydris) eine unmittelbare
Uebergangsform zu den Robben, und zeigen uns deutlich, wie der
Körper der Landraubthiere durch Anpassung an das Leben im Wasser
robbenähnlich umgebildet wird, und wie aus den Gangbeinen der
ersteren die Ruderflossen der Seeraubthiere entstanden sind. Die letz-
teren verhalten sich demnach zu den ersteren ganz ähnlich, wie unter
den Jndeciduen die Walthiere zu den Hufthieren. Jn gleicher Weise
wie das Flußpferd noch heute zwischen den extremen Zweigen der Rin-
der und der Seerinder in der Mitte steht, bildet die Seeotter noch
heute eine übriggebliebene Zwischenstufe zwischen den weit entfernten
Zweigen der Löwen und der Seelöwen. Hier wie dort hat die gänz-
liche Umgestaltung der äußeren Körperform, welche durch Anpassung
an ganz verschiedene Lebensbedingungen bewirkt wurde, die tiefe
Grundlage der erblichen inneren Eigenthümlichkeiten nicht zu vermischen
vermocht.

Von den übrigen Deciduaten (nach Ausschluß der Raubthiere)
betrachte ich als gemeinsame Stammgruppe die Halbaffen (Prosi-
miae).
Diese merkwürdigen Thiere wurden bisher in einer und der-
selben Ordnung, die Blumenbach als Vierhänder (Quadrumana)
bezeichnete, mit den Affen vereinigt. Jndessen trenne ich sie von diesen
gänzlich, nicht allein deßhalb, weil sie von allen Affen viel mehr ab-
weichen, als die verschiedensten Affen von einander, sondern auch,
weil sie die interessantesten Uebergangsformen zu den übrigen Ord-
nungen der Deciduaten enthalten. Jch schließe daraus, daß die we-
nigen jetzt noch lebenden Halbaffen, welche überdies unter sich sehr
verschieden sind, die letzten überlebenden Reste von einer fast ausge-
storbenen, einstmals formenreichen Stammgruppe darstellen, aus wel-
cher sich alle übrigen Deciduaten (vielleicht mit der einzigen Ausnah-
me der Raubthiere und der Scheinhufer) als divergente Zweige ent-
wickelt haben. Die alte Stammgruppe der Halbaffen selbst hat sich

Haeckel, Natürliche Schöpfungsgeschichte. 31

Landraubthiere und Seeraubthiere.
thuͤmliche guͤrtelfoͤrmige Placenta naͤchſt verwandt und offenbar aus
einem Zweige derſelben, vermuthlich den Marderartigen (Mustelina)
hervorgegangen. Noch heute bilden unter den letzteren die Fiſchottern
(Lutra) und noch mehr die Seeottern (Enhydris) eine unmittelbare
Uebergangsform zu den Robben, und zeigen uns deutlich, wie der
Koͤrper der Landraubthiere durch Anpaſſung an das Leben im Waſſer
robbenaͤhnlich umgebildet wird, und wie aus den Gangbeinen der
erſteren die Ruderfloſſen der Seeraubthiere entſtanden ſind. Die letz-
teren verhalten ſich demnach zu den erſteren ganz aͤhnlich, wie unter
den Jndeciduen die Walthiere zu den Hufthieren. Jn gleicher Weiſe
wie das Flußpferd noch heute zwiſchen den extremen Zweigen der Rin-
der und der Seerinder in der Mitte ſteht, bildet die Seeotter noch
heute eine uͤbriggebliebene Zwiſchenſtufe zwiſchen den weit entfernten
Zweigen der Loͤwen und der Seeloͤwen. Hier wie dort hat die gaͤnz-
liche Umgeſtaltung der aͤußeren Koͤrperform, welche durch Anpaſſung
an ganz verſchiedene Lebensbedingungen bewirkt wurde, die tiefe
Grundlage der erblichen inneren Eigenthuͤmlichkeiten nicht zu vermiſchen
vermocht.

Von den uͤbrigen Deciduaten (nach Ausſchluß der Raubthiere)
betrachte ich als gemeinſame Stammgruppe die Halbaffen (Prosi-
miae).
Dieſe merkwuͤrdigen Thiere wurden bisher in einer und der-
ſelben Ordnung, die Blumenbach als Vierhaͤnder (Quadrumana)
bezeichnete, mit den Affen vereinigt. Jndeſſen trenne ich ſie von dieſen
gaͤnzlich, nicht allein deßhalb, weil ſie von allen Affen viel mehr ab-
weichen, als die verſchiedenſten Affen von einander, ſondern auch,
weil ſie die intereſſanteſten Uebergangsformen zu den uͤbrigen Ord-
nungen der Deciduaten enthalten. Jch ſchließe daraus, daß die we-
nigen jetzt noch lebenden Halbaffen, welche uͤberdies unter ſich ſehr
verſchieden ſind, die letzten uͤberlebenden Reſte von einer faſt ausge-
ſtorbenen, einſtmals formenreichen Stammgruppe darſtellen, aus wel-
cher ſich alle uͤbrigen Deciduaten (vielleicht mit der einzigen Ausnah-
me der Raubthiere und der Scheinhufer) als divergente Zweige ent-
wickelt haben. Die alte Stammgruppe der Halbaffen ſelbſt hat ſich

Haeckel, Natuͤrliche Schoͤpfungsgeſchichte. 31
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[481/0506] Landraubthiere und Seeraubthiere. thuͤmliche guͤrtelfoͤrmige Placenta naͤchſt verwandt und offenbar aus einem Zweige derſelben, vermuthlich den Marderartigen (Mustelina) hervorgegangen. Noch heute bilden unter den letzteren die Fiſchottern (Lutra) und noch mehr die Seeottern (Enhydris) eine unmittelbare Uebergangsform zu den Robben, und zeigen uns deutlich, wie der Koͤrper der Landraubthiere durch Anpaſſung an das Leben im Waſſer robbenaͤhnlich umgebildet wird, und wie aus den Gangbeinen der erſteren die Ruderfloſſen der Seeraubthiere entſtanden ſind. Die letz- teren verhalten ſich demnach zu den erſteren ganz aͤhnlich, wie unter den Jndeciduen die Walthiere zu den Hufthieren. Jn gleicher Weiſe wie das Flußpferd noch heute zwiſchen den extremen Zweigen der Rin- der und der Seerinder in der Mitte ſteht, bildet die Seeotter noch heute eine uͤbriggebliebene Zwiſchenſtufe zwiſchen den weit entfernten Zweigen der Loͤwen und der Seeloͤwen. Hier wie dort hat die gaͤnz- liche Umgeſtaltung der aͤußeren Koͤrperform, welche durch Anpaſſung an ganz verſchiedene Lebensbedingungen bewirkt wurde, die tiefe Grundlage der erblichen inneren Eigenthuͤmlichkeiten nicht zu vermiſchen vermocht. Von den uͤbrigen Deciduaten (nach Ausſchluß der Raubthiere) betrachte ich als gemeinſame Stammgruppe die Halbaffen (Prosi- miae). Dieſe merkwuͤrdigen Thiere wurden bisher in einer und der- ſelben Ordnung, die Blumenbach als Vierhaͤnder (Quadrumana) bezeichnete, mit den Affen vereinigt. Jndeſſen trenne ich ſie von dieſen gaͤnzlich, nicht allein deßhalb, weil ſie von allen Affen viel mehr ab- weichen, als die verſchiedenſten Affen von einander, ſondern auch, weil ſie die intereſſanteſten Uebergangsformen zu den uͤbrigen Ord- nungen der Deciduaten enthalten. Jch ſchließe daraus, daß die we- nigen jetzt noch lebenden Halbaffen, welche uͤberdies unter ſich ſehr verſchieden ſind, die letzten uͤberlebenden Reſte von einer faſt ausge- ſtorbenen, einſtmals formenreichen Stammgruppe darſtellen, aus wel- cher ſich alle uͤbrigen Deciduaten (vielleicht mit der einzigen Ausnah- me der Raubthiere und der Scheinhufer) als divergente Zweige ent- wickelt haben. Die alte Stammgruppe der Halbaffen ſelbſt hat ſich Haeckel, Natuͤrliche Schoͤpfungsgeſchichte. 31

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 481. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/506>, abgerufen am 22.11.2024.