Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.Uebernatürliche Schöpfungsgeschichte und dualistische Weltanschauung. ethnographischer als in culturhistorischer Beziehung, auch wäre, sowürde uns dieselbe doch hier viel zu weit führen. Auch zeigt die über- große Mehrzahl aller dieser Schöpfungssagen zu sehr das Gepräge willkürlicher Dichtung, und den Mangel eingehender Naturbetrach- tung, als daß dieselben für eine naturwissenschaftliche Behandlung der Schöpfungsgeschichte von Jnteresse wären. Jch werde daher von den nicht wissenschaftlich begründeten Schöpfungsgeschichten bloß die mosaische hervorheben, wegen des beispiellosen Einflusses, den sie in der abendländischen Culturwelt gewonnen, und dann werde ich so- gleich zu den wissenschaftlich formulirten Schöpfungshypothesen über- gehen, welche erst nach Beginn des verflossenen Jahrhunderts, mit Linne, ihren Anfang nahmen. Alle verschiedenen Vorstellungen, welche sich die Menschen jemals Diese beiden Gruppen entsprechen im Großen und Ganzen den Uebernatuͤrliche Schoͤpfungsgeſchichte und dualiſtiſche Weltanſchauung. ethnographiſcher als in culturhiſtoriſcher Beziehung, auch waͤre, ſowuͤrde uns dieſelbe doch hier viel zu weit fuͤhren. Auch zeigt die uͤber- große Mehrzahl aller dieſer Schoͤpfungsſagen zu ſehr das Gepraͤge willkuͤrlicher Dichtung, und den Mangel eingehender Naturbetrach- tung, als daß dieſelben fuͤr eine naturwiſſenſchaftliche Behandlung der Schoͤpfungsgeſchichte von Jntereſſe waͤren. Jch werde daher von den nicht wiſſenſchaftlich begruͤndeten Schoͤpfungsgeſchichten bloß die moſaiſche hervorheben, wegen des beiſpielloſen Einfluſſes, den ſie in der abendlaͤndiſchen Culturwelt gewonnen, und dann werde ich ſo- gleich zu den wiſſenſchaftlich formulirten Schoͤpfungshypotheſen uͤber- gehen, welche erſt nach Beginn des verfloſſenen Jahrhunderts, mit Linné, ihren Anfang nahmen. Alle verſchiedenen Vorſtellungen, welche ſich die Menſchen jemals Dieſe beiden Gruppen entſprechen im Großen und Ganzen den <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0049" n="28"/><fw place="top" type="header">Uebernatuͤrliche Schoͤpfungsgeſchichte und dualiſtiſche Weltanſchauung.</fw><lb/> ethnographiſcher als in culturhiſtoriſcher Beziehung, auch waͤre, ſo<lb/> wuͤrde uns dieſelbe doch hier viel zu weit fuͤhren. Auch zeigt die uͤber-<lb/> große Mehrzahl aller dieſer Schoͤpfungsſagen zu ſehr das Gepraͤge<lb/> willkuͤrlicher Dichtung, und den Mangel eingehender Naturbetrach-<lb/> tung, als daß dieſelben fuͤr eine naturwiſſenſchaftliche Behandlung der<lb/> Schoͤpfungsgeſchichte von Jntereſſe waͤren. Jch werde daher von<lb/> den nicht wiſſenſchaftlich begruͤndeten Schoͤpfungsgeſchichten bloß die<lb/> moſaiſche hervorheben, wegen des beiſpielloſen Einfluſſes, den ſie in<lb/> der abendlaͤndiſchen Culturwelt gewonnen, und dann werde ich ſo-<lb/> gleich zu den wiſſenſchaftlich formulirten Schoͤpfungshypotheſen uͤber-<lb/> gehen, welche erſt nach Beginn des verfloſſenen Jahrhunderts, mit<lb/><hi rendition="#g">Linn<hi rendition="#aq">é</hi>,</hi> ihren Anfang nahmen.</p><lb/> <p>Alle verſchiedenen Vorſtellungen, welche ſich die Menſchen jemals<lb/> von der Entſtehung der verſchiedenen Thier- und Pflanzenarten ge-<lb/> macht haben, laſſen ſich fuͤglich in zwei große, entgegengeſetzte Grup-<lb/> pen bringen, in natuͤrliche und uͤbernatuͤrliche Schoͤpfungsgeſchichten.</p><lb/> <p>Dieſe beiden Gruppen entſprechen im Großen und Ganzen den<lb/> beiden verſchiedenen Hauptformen der menſchlichen Weltanſchauung,<lb/> welche wir vorher als moniſtiſche (einheitliche) und dualiſtiſche (zwie-<lb/> ſpaͤltige) Naturauffaſſung gegenuͤber geſtellt haben. Die gewoͤhnliche<lb/><hi rendition="#g">dualiſtiſche</hi> oder <hi rendition="#g">teleologiſche</hi> (vitale) Weltanſchauung muß die<lb/> organiſche Natur als das zweckmaͤßig ausgefuͤhrte Product eines plan-<lb/> voll wirkenden Schoͤpfers anſehen. Sie muß in jeder einzelnen Thier-<lb/> und Pflanzenart einen „verkoͤrperten Schoͤpfungsgedanken“ erblicken,<lb/> den materiellen Ausdruck einer zweckmaͤßig thaͤtigen Endurſache oder<lb/> einer <hi rendition="#g">zweckthaͤtigen Urſache</hi> <hi rendition="#aq">(causa finalis).</hi> Sie muß nothwen-<lb/> dig uͤbernatuͤrliche (nicht mechaniſche) Vorgaͤnge fuͤr die Entſtehung<lb/> der Organismen in Anſpruch nehmen. Wir duͤrfen ſie daher mit<lb/> Recht als <hi rendition="#g">uͤbernatuͤrliche Schoͤpfungsgeſchichte</hi> bezeichnen.<lb/> Von allen hierher gehoͤrigen teleologiſchen Schoͤpfungsgeſchichten ge-<lb/> wann diejenige des <hi rendition="#g">Moſes</hi> ſich den groͤßten Einfluß, da ſie durch ſo<lb/> bedeutende Naturforſcher, wie <hi rendition="#g">Linn<hi rendition="#aq">é</hi>,</hi> ſelbſt in der Naturwiſſenſchaft<lb/> allgemeinen Eingang fand. Auch die Schoͤpfungsanſichten von <hi rendition="#g">Cu-</hi><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [28/0049]
Uebernatuͤrliche Schoͤpfungsgeſchichte und dualiſtiſche Weltanſchauung.
ethnographiſcher als in culturhiſtoriſcher Beziehung, auch waͤre, ſo
wuͤrde uns dieſelbe doch hier viel zu weit fuͤhren. Auch zeigt die uͤber-
große Mehrzahl aller dieſer Schoͤpfungsſagen zu ſehr das Gepraͤge
willkuͤrlicher Dichtung, und den Mangel eingehender Naturbetrach-
tung, als daß dieſelben fuͤr eine naturwiſſenſchaftliche Behandlung der
Schoͤpfungsgeſchichte von Jntereſſe waͤren. Jch werde daher von
den nicht wiſſenſchaftlich begruͤndeten Schoͤpfungsgeſchichten bloß die
moſaiſche hervorheben, wegen des beiſpielloſen Einfluſſes, den ſie in
der abendlaͤndiſchen Culturwelt gewonnen, und dann werde ich ſo-
gleich zu den wiſſenſchaftlich formulirten Schoͤpfungshypotheſen uͤber-
gehen, welche erſt nach Beginn des verfloſſenen Jahrhunderts, mit
Linné, ihren Anfang nahmen.
Alle verſchiedenen Vorſtellungen, welche ſich die Menſchen jemals
von der Entſtehung der verſchiedenen Thier- und Pflanzenarten ge-
macht haben, laſſen ſich fuͤglich in zwei große, entgegengeſetzte Grup-
pen bringen, in natuͤrliche und uͤbernatuͤrliche Schoͤpfungsgeſchichten.
Dieſe beiden Gruppen entſprechen im Großen und Ganzen den
beiden verſchiedenen Hauptformen der menſchlichen Weltanſchauung,
welche wir vorher als moniſtiſche (einheitliche) und dualiſtiſche (zwie-
ſpaͤltige) Naturauffaſſung gegenuͤber geſtellt haben. Die gewoͤhnliche
dualiſtiſche oder teleologiſche (vitale) Weltanſchauung muß die
organiſche Natur als das zweckmaͤßig ausgefuͤhrte Product eines plan-
voll wirkenden Schoͤpfers anſehen. Sie muß in jeder einzelnen Thier-
und Pflanzenart einen „verkoͤrperten Schoͤpfungsgedanken“ erblicken,
den materiellen Ausdruck einer zweckmaͤßig thaͤtigen Endurſache oder
einer zweckthaͤtigen Urſache (causa finalis). Sie muß nothwen-
dig uͤbernatuͤrliche (nicht mechaniſche) Vorgaͤnge fuͤr die Entſtehung
der Organismen in Anſpruch nehmen. Wir duͤrfen ſie daher mit
Recht als uͤbernatuͤrliche Schoͤpfungsgeſchichte bezeichnen.
Von allen hierher gehoͤrigen teleologiſchen Schoͤpfungsgeſchichten ge-
wann diejenige des Moſes ſich den groͤßten Einfluß, da ſie durch ſo
bedeutende Naturforſcher, wie Linné, ſelbſt in der Naturwiſſenſchaft
allgemeinen Eingang fand. Auch die Schoͤpfungsanſichten von Cu-
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