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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Schuppenschleicher (Lepidosaurier). Drachen (Dinosaurier).

der echten Eidechsen (Lacertilia) und der Schlangen (Ophidia),
von denen jede in fünf verschiedene Unterordnungen zerfällt. Unter
den echten Eidechsen stehen die Monitoren oder Warneidechsen (Moni-
tor, Varanus)
den ursprünglichen Stammformen der ganzen Klasse
am nächsten. Die Schlangen, die jüngste von allen neun Reptilien-
ordnungen, scheinen sich erst während der Anteocenzeit, im Beginn
der Tertiärzeit, aus einem Zweige der Eidechsen entwickelt zu haben.
Wenigstens kennt man versteinerte Schlangen bis jetzt bloß aus ter-
tiären Schichten.

Gänzlich ausgestorben, ohne Nachkommen zu hinterlassen, ist die
vierte Unterklasse, diejenige der Drachen oder Lindwürmer (Di-
nosauria
oder Pachypoda). Diese kolossalen Reptilien, welche eine
Länge von mehr als 50 Fuß erreichten, sind die größten Landbewohner,
welche jemals unser Erdball getragen hat. Sie lebten ausschließlich in
der Secundärzeit. Die meisten Reste derselben finden sich in der unteren
Kreide, namentlich in der Wälderformation Englands. Die Mehrzahl
waren furchtbare Raubthiere (Megalosaurus von 20--30, Pelorosau-
rus von 40--60 Fuß Länge). Jguanodon jedoch und einige andere
lebten von Pflanzennahrung und spielten in den Wäldern der Kreidezeit
wahrscheinlich eine ähnliche Rolle, wie die ebenso schwerfälligen, aber
kleineren Elephanten, Flußpferde und Nashörner der Gegenwart.

Jn einer fünften und letzten Unterklasse, Schnabelschleicher
(Rhamphosauria), vereinigen wir alle diejenigen Reptilien, bei denen
die Kiefer sich mehr oder weniger deutlich zu einem Vogelschnabel um-
bilden. Die Zähne gehen dabei ganz oder theilweise verloren, oder
werden eigenthümlich umgebildet. Als gemeinsame Stammgruppe
derselben, die sich aus einem oder mehreren Aesten der Tocosaurier ent-
wickelte, können wir die Schnabeleidechsen (Anomodonta) der
älteren Secundärzeit betrachten, von denen sich viele merkwürdige
Reste in der Trias und im Jura finden. Aus diesen haben sich viel-
leicht als drei divergente Zweige die Flugschleicher, Schildkröten und
Vögel entwickelt. Die merkwürdigen Flugschleicher (Pterosauria),
bei denen der außerordentlich verlängerte fünfte Finger der Hand als

Schuppenſchleicher (Lepidoſaurier). Drachen (Dinoſaurier).

der echten Eidechſen (Lacertilia) und der Schlangen (Ophidia),
von denen jede in fuͤnf verſchiedene Unterordnungen zerfaͤllt. Unter
den echten Eidechſen ſtehen die Monitoren oder Warneidechſen (Moni-
tor, Varanus)
den urſpruͤnglichen Stammformen der ganzen Klaſſe
am naͤchſten. Die Schlangen, die juͤngſte von allen neun Reptilien-
ordnungen, ſcheinen ſich erſt waͤhrend der Anteocenzeit, im Beginn
der Tertiaͤrzeit, aus einem Zweige der Eidechſen entwickelt zu haben.
Wenigſtens kennt man verſteinerte Schlangen bis jetzt bloß aus ter-
tiaͤren Schichten.

Gaͤnzlich ausgeſtorben, ohne Nachkommen zu hinterlaſſen, iſt die
vierte Unterklaſſe, diejenige der Drachen oder Lindwuͤrmer (Di-
nosauria
oder Pachypoda). Dieſe koloſſalen Reptilien, welche eine
Laͤnge von mehr als 50 Fuß erreichten, ſind die groͤßten Landbewohner,
welche jemals unſer Erdball getragen hat. Sie lebten ausſchließlich in
der Secundaͤrzeit. Die meiſten Reſte derſelben finden ſich in der unteren
Kreide, namentlich in der Waͤlderformation Englands. Die Mehrzahl
waren furchtbare Raubthiere (Megaloſaurus von 20—30, Peloroſau-
rus von 40—60 Fuß Laͤnge). Jguanodon jedoch und einige andere
lebten von Pflanzennahrung und ſpielten in den Waͤldern der Kreidezeit
wahrſcheinlich eine aͤhnliche Rolle, wie die ebenſo ſchwerfaͤlligen, aber
kleineren Elephanten, Flußpferde und Nashoͤrner der Gegenwart.

Jn einer fuͤnften und letzten Unterklaſſe, Schnabelſchleicher
(Rhamphosauria), vereinigen wir alle diejenigen Reptilien, bei denen
die Kiefer ſich mehr oder weniger deutlich zu einem Vogelſchnabel um-
bilden. Die Zaͤhne gehen dabei ganz oder theilweiſe verloren, oder
werden eigenthuͤmlich umgebildet. Als gemeinſame Stammgruppe
derſelben, die ſich aus einem oder mehreren Aeſten der Tocoſaurier ent-
wickelte, koͤnnen wir die Schnabeleidechſen (Anomodonta) der
aͤlteren Secundaͤrzeit betrachten, von denen ſich viele merkwuͤrdige
Reſte in der Trias und im Jura finden. Aus dieſen haben ſich viel-
leicht als drei divergente Zweige die Flugſchleicher, Schildkroͤten und
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[456/0481] Schuppenſchleicher (Lepidoſaurier). Drachen (Dinoſaurier). der echten Eidechſen (Lacertilia) und der Schlangen (Ophidia), von denen jede in fuͤnf verſchiedene Unterordnungen zerfaͤllt. Unter den echten Eidechſen ſtehen die Monitoren oder Warneidechſen (Moni- tor, Varanus) den urſpruͤnglichen Stammformen der ganzen Klaſſe am naͤchſten. Die Schlangen, die juͤngſte von allen neun Reptilien- ordnungen, ſcheinen ſich erſt waͤhrend der Anteocenzeit, im Beginn der Tertiaͤrzeit, aus einem Zweige der Eidechſen entwickelt zu haben. Wenigſtens kennt man verſteinerte Schlangen bis jetzt bloß aus ter- tiaͤren Schichten. Gaͤnzlich ausgeſtorben, ohne Nachkommen zu hinterlaſſen, iſt die vierte Unterklaſſe, diejenige der Drachen oder Lindwuͤrmer (Di- nosauria oder Pachypoda). Dieſe koloſſalen Reptilien, welche eine Laͤnge von mehr als 50 Fuß erreichten, ſind die groͤßten Landbewohner, welche jemals unſer Erdball getragen hat. Sie lebten ausſchließlich in der Secundaͤrzeit. Die meiſten Reſte derſelben finden ſich in der unteren Kreide, namentlich in der Waͤlderformation Englands. Die Mehrzahl waren furchtbare Raubthiere (Megaloſaurus von 20—30, Peloroſau- rus von 40—60 Fuß Laͤnge). Jguanodon jedoch und einige andere lebten von Pflanzennahrung und ſpielten in den Waͤldern der Kreidezeit wahrſcheinlich eine aͤhnliche Rolle, wie die ebenſo ſchwerfaͤlligen, aber kleineren Elephanten, Flußpferde und Nashoͤrner der Gegenwart. Jn einer fuͤnften und letzten Unterklaſſe, Schnabelſchleicher (Rhamphosauria), vereinigen wir alle diejenigen Reptilien, bei denen die Kiefer ſich mehr oder weniger deutlich zu einem Vogelſchnabel um- bilden. Die Zaͤhne gehen dabei ganz oder theilweiſe verloren, oder werden eigenthuͤmlich umgebildet. Als gemeinſame Stammgruppe derſelben, die ſich aus einem oder mehreren Aeſten der Tocoſaurier ent- wickelte, koͤnnen wir die Schnabeleidechſen (Anomodonta) der aͤlteren Secundaͤrzeit betrachten, von denen ſich viele merkwuͤrdige Reſte in der Trias und im Jura finden. Aus dieſen haben ſich viel- leicht als drei divergente Zweige die Flugſchleicher, Schildkroͤten und Voͤgel entwickelt. Die merkwuͤrdigen Flugſchleicher (Pterosauria), bei denen der außerordentlich verlaͤngerte fuͤnfte Finger der Hand als

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 456. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/481>, abgerufen am 24.11.2024.