Physostomen und Physoklisten. Lurchfische (Dipneusten).
trat aber bei einigen Physostomen eine Verwachsung, ein Verschluß jenes Luftganges ein, und dadurch wurde die Schwimmblase völlig von dem Schlunde abgeschnürt. So entstand die zweite Legion der Knochenfische, die der Physoklisten, welche erst während der Tertiärzeit ihre eigentliche Ausbildung erreichte, und bald an Mannich- faltigkeit bei weitem die Physostomen übertraf. Es gehören hierher die meisten Seefische der Gegenwart, namentlich die umfangreichen Familien der Dorsche, Schollen, Thunfische, Lippfische, Umberfische u. s. w., ferner die Heftkiefer (Kofferfische und Jgelfische) und die Büschelkiemer (Seenadeln und Seepferdchen). Dagegen sind unter unseren Flußfischen nur wenige Physoklisten, z. B. der Barsch und der Stichling; die große Mehrzahl der Flußfische sind Physostomen.
Zwischen den echten Fischen und den Amphibien mitten inne steht die merkwürdige Klasse der Lurchfische oder Molchfische (Di- pneusta oder Protopteri). Davon leben heute nur noch wenige Re- präsentanten, nämlich der amerikanische Molchfisch (Lepidosiren pa- radoxa) im Gebiete des Amazonenstroms, und der afrikanische Molch- fisch (Protopterus annectens) in verschiedenen Gegenden Afrikas. Während der trocknen Jahreszeit, im Sommer, vergraben sich diese seltsamen Thiere in den eintrocknenden Schlamm, in ein Nest von Blättern, und athmen dann Luft durch Lungen, wie die Amphibien. Während der nassen Jahreszeit aber, im Winter, leben sie in Flüssen und Sümpfen, und athmen Wasser durch Kiemen, gleich den Fischen. Aeußerlich gleichen sie aalförmigen Fischen, und sind wie diese mit Schuppen bedeckt; auch in manchen Eigenthümlichkeiten ihres inneren Baues, des Skelets, der Extremitäten etc. gleichen sie mehr den Fischen, als den Amphibien. Jn anderen Merkmalen dagegen stimmen sie mehr mit den letzteren überein, vor allen in der Bildung der Lungen, der Nase und des Herzens. Aus diesen Gründen herrscht unter den Zoologen ein ewiger Streit darüber, ob die Lurchfische eigentlich Fische oder Amphibien seien. Ebenso ausgezeichnete Zoologen haben sich für die eine, wie für die andere Ansicht ausgesprochen. Jn der That sind sie wegen der vollständigen Mischung des Charakters weder das eine
Phyſoſtomen und Phyſokliſten. Lurchfiſche (Dipneuſten).
trat aber bei einigen Phyſoſtomen eine Verwachſung, ein Verſchluß jenes Luftganges ein, und dadurch wurde die Schwimmblaſe voͤllig von dem Schlunde abgeſchnuͤrt. So entſtand die zweite Legion der Knochenfiſche, die der Phyſokliſten, welche erſt waͤhrend der Tertiaͤrzeit ihre eigentliche Ausbildung erreichte, und bald an Mannich- faltigkeit bei weitem die Phyſoſtomen uͤbertraf. Es gehoͤren hierher die meiſten Seefiſche der Gegenwart, namentlich die umfangreichen Familien der Dorſche, Schollen, Thunfiſche, Lippfiſche, Umberfiſche u. ſ. w., ferner die Heftkiefer (Kofferfiſche und Jgelfiſche) und die Buͤſchelkiemer (Seenadeln und Seepferdchen). Dagegen ſind unter unſeren Flußfiſchen nur wenige Phyſokliſten, z. B. der Barſch und der Stichling; die große Mehrzahl der Flußfiſche ſind Phyſoſtomen.
Zwiſchen den echten Fiſchen und den Amphibien mitten inne ſteht die merkwuͤrdige Klaſſe der Lurchfiſche oder Molchfiſche (Di- pneusta oder Protopteri). Davon leben heute nur noch wenige Re- praͤſentanten, naͤmlich der amerikaniſche Molchfiſch (Lepidosiren pa- radoxa) im Gebiete des Amazonenſtroms, und der afrikaniſche Molch- fiſch (Protopterus annectens) in verſchiedenen Gegenden Afrikas. Waͤhrend der trocknen Jahreszeit, im Sommer, vergraben ſich dieſe ſeltſamen Thiere in den eintrocknenden Schlamm, in ein Neſt von Blaͤttern, und athmen dann Luft durch Lungen, wie die Amphibien. Waͤhrend der naſſen Jahreszeit aber, im Winter, leben ſie in Fluͤſſen und Suͤmpfen, und athmen Waſſer durch Kiemen, gleich den Fiſchen. Aeußerlich gleichen ſie aalfoͤrmigen Fiſchen, und ſind wie dieſe mit Schuppen bedeckt; auch in manchen Eigenthuͤmlichkeiten ihres inneren Baues, des Skelets, der Extremitaͤten ꝛc. gleichen ſie mehr den Fiſchen, als den Amphibien. Jn anderen Merkmalen dagegen ſtimmen ſie mehr mit den letzteren uͤberein, vor allen in der Bildung der Lungen, der Naſe und des Herzens. Aus dieſen Gruͤnden herrſcht unter den Zoologen ein ewiger Streit daruͤber, ob die Lurchfiſche eigentlich Fiſche oder Amphibien ſeien. Ebenſo ausgezeichnete Zoologen haben ſich fuͤr die eine, wie fuͤr die andere Anſicht ausgeſprochen. Jn der That ſind ſie wegen der vollſtaͤndigen Miſchung des Charakters weder das eine
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Phyſoſtomen und Phyſokliſten. Lurchfiſche (Dipneuſten).
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von dem Schlunde abgeſchnuͤrt. So entſtand die zweite Legion der
Knochenfiſche, die der Phyſokliſten, welche erſt waͤhrend der
Tertiaͤrzeit ihre eigentliche Ausbildung erreichte, und bald an Mannich-
faltigkeit bei weitem die Phyſoſtomen uͤbertraf. Es gehoͤren hierher
die meiſten Seefiſche der Gegenwart, namentlich die umfangreichen
Familien der Dorſche, Schollen, Thunfiſche, Lippfiſche, Umberfiſche
u. ſ. w., ferner die Heftkiefer (Kofferfiſche und Jgelfiſche) und die
Buͤſchelkiemer (Seenadeln und Seepferdchen). Dagegen ſind unter
unſeren Flußfiſchen nur wenige Phyſokliſten, z. B. der Barſch und der
Stichling; die große Mehrzahl der Flußfiſche ſind Phyſoſtomen.
Zwiſchen den echten Fiſchen und den Amphibien mitten inne ſteht
die merkwuͤrdige Klaſſe der Lurchfiſche oder Molchfiſche (Di-
pneusta oder Protopteri). Davon leben heute nur noch wenige Re-
praͤſentanten, naͤmlich der amerikaniſche Molchfiſch (Lepidosiren pa-
radoxa) im Gebiete des Amazonenſtroms, und der afrikaniſche Molch-
fiſch (Protopterus annectens) in verſchiedenen Gegenden Afrikas.
Waͤhrend der trocknen Jahreszeit, im Sommer, vergraben ſich dieſe
ſeltſamen Thiere in den eintrocknenden Schlamm, in ein Neſt von
Blaͤttern, und athmen dann Luft durch Lungen, wie die Amphibien.
Waͤhrend der naſſen Jahreszeit aber, im Winter, leben ſie in Fluͤſſen
und Suͤmpfen, und athmen Waſſer durch Kiemen, gleich den Fiſchen.
Aeußerlich gleichen ſie aalfoͤrmigen Fiſchen, und ſind wie dieſe mit
Schuppen bedeckt; auch in manchen Eigenthuͤmlichkeiten ihres inneren
Baues, des Skelets, der Extremitaͤten ꝛc. gleichen ſie mehr den Fiſchen,
als den Amphibien. Jn anderen Merkmalen dagegen ſtimmen ſie
mehr mit den letzteren uͤberein, vor allen in der Bildung der Lungen,
der Naſe und des Herzens. Aus dieſen Gruͤnden herrſcht unter den
Zoologen ein ewiger Streit daruͤber, ob die Lurchfiſche eigentlich Fiſche
oder Amphibien ſeien. Ebenſo ausgezeichnete Zoologen haben ſich fuͤr
die eine, wie fuͤr die andere Anſicht ausgeſprochen. Jn der That ſind
ſie wegen der vollſtaͤndigen Miſchung des Charakters weder das eine
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 447. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/472>, abgerufen am 04.07.2024.
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