Unpaarnasen oder Rundmäuler (Jnger und Lampreten).
Wir konnten deshalb diese letzteren (Anamnien und Amnioten) auch als Paarnasen(Amphirrhina) zusammenfassen.
Auch abgesehen von der eigenthümlichen Nasenbildung unterschei- den sich die Unpaarnasen von den Paarnasen noch durch viele andere Eigenthümlichkeiten. So fehlt ihnen namentlich ganz das wichtige sympathische Nervennetz der letzteren. Ebenso wenig besitzen sie die Milz und die Bauchspeicheldrüse der Paarnasen. Von der Schwimm- blase und den beiden Beinpaaren, welche bei allen Paarnasen we- nigstens in der ersten Anlage vorhanden sind, fehlt den Unpaarnasen (ebenso wie den Schädellosen) noch jede Spur. Es ist daher gewiß ganz gerechtfertigt, wenn wir sowohl die Monorrhinen als die Schä- dellosen gänzlich von den Fischen trennen, mit denen sie bis jetzt in herkömmlicher, aber irrthümlicher Weise vereinigt waren.
Die erste genauere Kenntniß der Monorrhinen oder Cyclostomen verdanken wir dem großen Berliner Zoologen Johannes Müller, dessen klassisches Werk über die "vergleichende Anatomie der Myxi- noiden" die Grundlage unserer neueren Ansichten über den Bau der Wirbelthiere bildet. Er unterschied unter den Cyclostomen zwei ver- schiedene Gruppen, welchen wir den Werth von Unterklassen geben können. Die erste Unterklasse sind die Jnger oder Schleimfische (Hyperotreta oder Myxinoida). Sie leben im Meere schmarotzend auf anderen Fischen, in deren Haut sie sich einbohren (Myxine, Bdel- lostoma). Jm Gehörorgan besitzen sie nur einen Ringcanal, und ihr unpaares Nasenrohr durchbohrt den Gaumen. Höher entwickelt ist die zweite Unterklasse, die Lampreten oder Pricken (Hyperoartia oder Petromyzontia). Hierher gehören die allbekannten Flußpricken oder Neunaugen unserer Flüsse (Petromyzon fluviatilis), deren Bekannt- schaft Sie wohl Alle im marinirten Zustande schon gemacht haben. Jm Meere werden dieselben durch die mehrmals größeren Seepricken oder die eigentlichen Lampreten (Petromyzon marinus) vertreten. Bei diesen Unpaarnasen durchbohrt das Nasenrohr den Gaumen nicht, und im Gehörorgan finden sich zwei Ringcanäle.
Unpaarnaſen oder Rundmaͤuler (Jnger und Lampreten).
Wir konnten deshalb dieſe letzteren (Anamnien und Amnioten) auch als Paarnaſen(Amphirrhina) zuſammenfaſſen.
Auch abgeſehen von der eigenthuͤmlichen Naſenbildung unterſchei- den ſich die Unpaarnaſen von den Paarnaſen noch durch viele andere Eigenthuͤmlichkeiten. So fehlt ihnen namentlich ganz das wichtige ſympathiſche Nervennetz der letzteren. Ebenſo wenig beſitzen ſie die Milz und die Bauchſpeicheldruͤſe der Paarnaſen. Von der Schwimm- blaſe und den beiden Beinpaaren, welche bei allen Paarnaſen we- nigſtens in der erſten Anlage vorhanden ſind, fehlt den Unpaarnaſen (ebenſo wie den Schaͤdelloſen) noch jede Spur. Es iſt daher gewiß ganz gerechtfertigt, wenn wir ſowohl die Monorrhinen als die Schaͤ- delloſen gaͤnzlich von den Fiſchen trennen, mit denen ſie bis jetzt in herkoͤmmlicher, aber irrthuͤmlicher Weiſe vereinigt waren.
Die erſte genauere Kenntniß der Monorrhinen oder Cycloſtomen verdanken wir dem großen Berliner Zoologen Johannes Muͤller, deſſen klaſſiſches Werk uͤber die „vergleichende Anatomie der Myxi- noiden“ die Grundlage unſerer neueren Anſichten uͤber den Bau der Wirbelthiere bildet. Er unterſchied unter den Cycloſtomen zwei ver- ſchiedene Gruppen, welchen wir den Werth von Unterklaſſen geben koͤnnen. Die erſte Unterklaſſe ſind die Jnger oder Schleimfiſche (Hyperotreta oder Myxinoida). Sie leben im Meere ſchmarotzend auf anderen Fiſchen, in deren Haut ſie ſich einbohren (Myxine, Bdel- lostoma). Jm Gehoͤrorgan beſitzen ſie nur einen Ringcanal, und ihr unpaares Naſenrohr durchbohrt den Gaumen. Hoͤher entwickelt iſt die zweite Unterklaſſe, die Lampreten oder Pricken (Hyperoartia oder Petromyzontia). Hierher gehoͤren die allbekannten Flußpricken oder Neunaugen unſerer Fluͤſſe (Petromyzon fluviatilis), deren Bekannt- ſchaft Sie wohl Alle im marinirten Zuſtande ſchon gemacht haben. Jm Meere werden dieſelben durch die mehrmals groͤßeren Seepricken oder die eigentlichen Lampreten (Petromyzon marinus) vertreten. Bei dieſen Unpaarnaſen durchbohrt das Naſenrohr den Gaumen nicht, und im Gehoͤrorgan finden ſich zwei Ringcanaͤle.
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Unpaarnaſen oder Rundmaͤuler (Jnger und Lampreten).
Wir konnten deshalb dieſe letzteren (Anamnien und Amnioten) auch
als Paarnaſen (Amphirrhina) zuſammenfaſſen.
Auch abgeſehen von der eigenthuͤmlichen Naſenbildung unterſchei-
den ſich die Unpaarnaſen von den Paarnaſen noch durch viele andere
Eigenthuͤmlichkeiten. So fehlt ihnen namentlich ganz das wichtige
ſympathiſche Nervennetz der letzteren. Ebenſo wenig beſitzen ſie die
Milz und die Bauchſpeicheldruͤſe der Paarnaſen. Von der Schwimm-
blaſe und den beiden Beinpaaren, welche bei allen Paarnaſen we-
nigſtens in der erſten Anlage vorhanden ſind, fehlt den Unpaarnaſen
(ebenſo wie den Schaͤdelloſen) noch jede Spur. Es iſt daher gewiß
ganz gerechtfertigt, wenn wir ſowohl die Monorrhinen als die Schaͤ-
delloſen gaͤnzlich von den Fiſchen trennen, mit denen ſie bis jetzt in
herkoͤmmlicher, aber irrthuͤmlicher Weiſe vereinigt waren.
Die erſte genauere Kenntniß der Monorrhinen oder Cycloſtomen
verdanken wir dem großen Berliner Zoologen Johannes Muͤller,
deſſen klaſſiſches Werk uͤber die „vergleichende Anatomie der Myxi-
noiden“ die Grundlage unſerer neueren Anſichten uͤber den Bau der
Wirbelthiere bildet. Er unterſchied unter den Cycloſtomen zwei ver-
ſchiedene Gruppen, welchen wir den Werth von Unterklaſſen geben
koͤnnen. Die erſte Unterklaſſe ſind die Jnger oder Schleimfiſche
(Hyperotreta oder Myxinoida). Sie leben im Meere ſchmarotzend
auf anderen Fiſchen, in deren Haut ſie ſich einbohren (Myxine, Bdel-
lostoma). Jm Gehoͤrorgan beſitzen ſie nur einen Ringcanal, und ihr
unpaares Naſenrohr durchbohrt den Gaumen. Hoͤher entwickelt iſt die
zweite Unterklaſſe, die Lampreten oder Pricken (Hyperoartia oder
Petromyzontia). Hierher gehoͤren die allbekannten Flußpricken oder
Neunaugen unſerer Fluͤſſe (Petromyzon fluviatilis), deren Bekannt-
ſchaft Sie wohl Alle im marinirten Zuſtande ſchon gemacht haben.
Jm Meere werden dieſelben durch die mehrmals groͤßeren Seepricken
oder die eigentlichen Lampreten (Petromyzon marinus) vertreten.
Bei dieſen Unpaarnaſen durchbohrt das Naſenrohr den Gaumen nicht,
und im Gehoͤrorgan finden ſich zwei Ringcanaͤle.
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 440. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/465>, abgerufen am 24.11.2024.
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