lich die beiden kleinen Gruppen der puppengebärenden Lausfliegen (Pupipara) und der springenden Flöhe(Aphaniptera) entwickelt.
Die achte und letzte Jnsectenordnung, und zugleich die einzige mit wirklich schlürfenden Mundtheilen sind die Schmetterlinge (Lepidoptera). Diese Ordnung erscheint in mehreren morphologi- schen Beziehungen als die vollkommenste Abtheilung der Jnsecten und hat sich demgemäß auch am spätesten erst entwickelt. Man kennt nämlich von dieser Ordnung Versteinerungen nur aus der Tertiärzeit, während die drei vorhergehenden Ordnungen bis zum Jura, die vier beißenden Ordnungen dagegen sogar bis zur Steinkohle hinaufreichen. Die nahe Verwandtschaft einiger Motten (Tinea) und Eulen (Noctua) mit einigen Schmetterlingsfliegen (Phryganida) macht es wahrschein- lich, daß sich die Schmetterlinge aus dieser Gruppe, also aus der Ord- nung der Netzflügler oder Neuropteren entwickelt haben.
Wie Sie sehen, bestätigt Jhnen die ganze Geschichte der Jnsec- tenklasse und weiterhin auch die Geschichte des ganzen Arthropoden- stammes wesentlich die großen Gesetze der Differenzirung und Ver- vollkommnung, welche wir nach Darwin's Selectionstheorie als die nothwendigen Folgen der natürlichen Züchtung anerkennen müssen. Der ganze formenreiche Stamm beginnt in archolithischer Zeit mit der kiemenathmenden Klasse der Krebse, und zwar mit den niedersten Urkrebsen oder Archicariden. Die Gestalt dieser Urkrebse, die sich jedenfalls aus Gliedwürmern, und zwar wahrscheinlich aus Räder- thieren entwickelten, ist uns noch heute in der gemeinsamen Jugend- form aller niederen oder Gliederkrebse (Entomostraca), in dem merk- würdigen Nauplius, annähernd erhalten. Aus dem Nauplius ent- wickelte sich weiterhin die seltsame Zoea, die gemeinsame Jugendform aller höheren oder Panzerkrebse (Malacostraca) und zugleich des- jenigen, zuerst durch Tracheen luftathmenden Arthropoden, welcher der gemeinsame Stammvater aller Tracheaten wurde. Dieser Stammvater, der zwischen dem Ende der Silurzeit und dem Beginn der Steinkohlenzeit entstanden sein muß, stand wahrscheinlich von allen jetzt noch lebenden Jnsecten den Skorpionsspinnen oder Soli-
Stammbaum und Geſchichte der Jnſecten.
lich die beiden kleinen Gruppen der puppengebaͤrenden Lausfliegen (Pupipara) und der ſpringenden Floͤhe(Aphaniptera) entwickelt.
Die achte und letzte Jnſectenordnung, und zugleich die einzige mit wirklich ſchluͤrfenden Mundtheilen ſind die Schmetterlinge (Lepidoptera). Dieſe Ordnung erſcheint in mehreren morphologi- ſchen Beziehungen als die vollkommenſte Abtheilung der Jnſecten und hat ſich demgemaͤß auch am ſpaͤteſten erſt entwickelt. Man kennt naͤmlich von dieſer Ordnung Verſteinerungen nur aus der Tertiaͤrzeit, waͤhrend die drei vorhergehenden Ordnungen bis zum Jura, die vier beißenden Ordnungen dagegen ſogar bis zur Steinkohle hinaufreichen. Die nahe Verwandtſchaft einiger Motten (Tinea) und Eulen (Noctua) mit einigen Schmetterlingsfliegen (Phryganida) macht es wahrſchein- lich, daß ſich die Schmetterlinge aus dieſer Gruppe, alſo aus der Ord- nung der Netzfluͤgler oder Neuropteren entwickelt haben.
Wie Sie ſehen, beſtaͤtigt Jhnen die ganze Geſchichte der Jnſec- tenklaſſe und weiterhin auch die Geſchichte des ganzen Arthropoden- ſtammes weſentlich die großen Geſetze der Differenzirung und Ver- vollkommnung, welche wir nach Darwin’s Selectionstheorie als die nothwendigen Folgen der natuͤrlichen Zuͤchtung anerkennen muͤſſen. Der ganze formenreiche Stamm beginnt in archolithiſcher Zeit mit der kiemenathmenden Klaſſe der Krebſe, und zwar mit den niederſten Urkrebſen oder Archicariden. Die Geſtalt dieſer Urkrebſe, die ſich jedenfalls aus Gliedwuͤrmern, und zwar wahrſcheinlich aus Raͤder- thieren entwickelten, iſt uns noch heute in der gemeinſamen Jugend- form aller niederen oder Gliederkrebſe (Entomostraca), in dem merk- wuͤrdigen Nauplius, annaͤhernd erhalten. Aus dem Nauplius ent- wickelte ſich weiterhin die ſeltſame Zoëa, die gemeinſame Jugendform aller hoͤheren oder Panzerkrebſe (Malacostraca) und zugleich des- jenigen, zuerſt durch Tracheen luftathmenden Arthropoden, welcher der gemeinſame Stammvater aller Tracheaten wurde. Dieſer Stammvater, der zwiſchen dem Ende der Silurzeit und dem Beginn der Steinkohlenzeit entſtanden ſein muß, ſtand wahrſcheinlich von allen jetzt noch lebenden Jnſecten den Skorpionsſpinnen oder Soli-
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Stammbaum und Geſchichte der Jnſecten.
lich die beiden kleinen Gruppen der puppengebaͤrenden Lausfliegen
(Pupipara) und der ſpringenden Floͤhe (Aphaniptera) entwickelt.
Die achte und letzte Jnſectenordnung, und zugleich die einzige mit
wirklich ſchluͤrfenden Mundtheilen ſind die Schmetterlinge
(Lepidoptera). Dieſe Ordnung erſcheint in mehreren morphologi-
ſchen Beziehungen als die vollkommenſte Abtheilung der Jnſecten und
hat ſich demgemaͤß auch am ſpaͤteſten erſt entwickelt. Man kennt
naͤmlich von dieſer Ordnung Verſteinerungen nur aus der Tertiaͤrzeit,
waͤhrend die drei vorhergehenden Ordnungen bis zum Jura, die vier
beißenden Ordnungen dagegen ſogar bis zur Steinkohle hinaufreichen.
Die nahe Verwandtſchaft einiger Motten (Tinea) und Eulen (Noctua)
mit einigen Schmetterlingsfliegen (Phryganida) macht es wahrſchein-
lich, daß ſich die Schmetterlinge aus dieſer Gruppe, alſo aus der Ord-
nung der Netzfluͤgler oder Neuropteren entwickelt haben.
Wie Sie ſehen, beſtaͤtigt Jhnen die ganze Geſchichte der Jnſec-
tenklaſſe und weiterhin auch die Geſchichte des ganzen Arthropoden-
ſtammes weſentlich die großen Geſetze der Differenzirung und Ver-
vollkommnung, welche wir nach Darwin’s Selectionstheorie als die
nothwendigen Folgen der natuͤrlichen Zuͤchtung anerkennen muͤſſen.
Der ganze formenreiche Stamm beginnt in archolithiſcher Zeit mit der
kiemenathmenden Klaſſe der Krebſe, und zwar mit den niederſten
Urkrebſen oder Archicariden. Die Geſtalt dieſer Urkrebſe, die ſich
jedenfalls aus Gliedwuͤrmern, und zwar wahrſcheinlich aus Raͤder-
thieren entwickelten, iſt uns noch heute in der gemeinſamen Jugend-
form aller niederen oder Gliederkrebſe (Entomostraca), in dem merk-
wuͤrdigen Nauplius, annaͤhernd erhalten. Aus dem Nauplius ent-
wickelte ſich weiterhin die ſeltſame Zoëa, die gemeinſame Jugendform
aller hoͤheren oder Panzerkrebſe (Malacostraca) und zugleich des-
jenigen, zuerſt durch Tracheen luftathmenden Arthropoden, welcher
der gemeinſame Stammvater aller Tracheaten wurde. Dieſer
Stammvater, der zwiſchen dem Ende der Silurzeit und dem Beginn
der Steinkohlenzeit entſtanden ſein muß, ſtand wahrſcheinlich von
allen jetzt noch lebenden Jnſecten den Skorpionsſpinnen oder Soli-
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 431. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/456>, abgerufen am 24.11.2024.
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