Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.Polyphyletischer Stammbaum des Thierreichs. längst ausgestorbenen Würmern vermuthen, aus denen sich in alters-grauer primordialer Vorzeit die fünf Stammformen der fünf übrigen Phylen entwickelten. So gleichen namentlich einige Jnfusionsthiere den ersten Jugendzuständen der Pflanzenthiere. Einige Weichwür- mer und die Mosthiere schließen sich an die Weichthiere an. Die Sternwürmer und einige Ringelwürmer führen uns zu den Stern- thieren hinüber, andere Ringelwürmer dagegen und die Räderthiere zu den Gliedfüßern. Die Mantelthiere endlich schließen sich zunächst an die Wirbelthiere an, indem die Jugendzustände von den niedersten Formen beider Gruppen nahe verwandt sind. Erwägen wir nun einerseits diese unleugbare anatomische und Die polyphyletische Hypothese vom Ursprung des Thierreichs kann Polyphyletiſcher Stammbaum des Thierreichs. laͤngſt ausgeſtorbenen Wuͤrmern vermuthen, aus denen ſich in alters-grauer primordialer Vorzeit die fuͤnf Stammformen der fuͤnf uͤbrigen Phylen entwickelten. So gleichen namentlich einige Jnfuſionsthiere den erſten Jugendzuſtaͤnden der Pflanzenthiere. Einige Weichwuͤr- mer und die Mosthiere ſchließen ſich an die Weichthiere an. Die Sternwuͤrmer und einige Ringelwuͤrmer fuͤhren uns zu den Stern- thieren hinuͤber, andere Ringelwuͤrmer dagegen und die Raͤderthiere zu den Gliedfuͤßern. Die Mantelthiere endlich ſchließen ſich zunaͤchſt an die Wirbelthiere an, indem die Jugendzuſtaͤnde von den niederſten Formen beider Gruppen nahe verwandt ſind. Erwaͤgen wir nun einerſeits dieſe unleugbare anatomiſche und Die polyphyletiſche Hypotheſe vom Urſprung des Thierreichs kann <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0415" n="390"/><fw place="top" type="header">Polyphyletiſcher Stammbaum des Thierreichs.</fw><lb/> laͤngſt ausgeſtorbenen Wuͤrmern vermuthen, aus denen ſich in alters-<lb/> grauer primordialer Vorzeit die fuͤnf Stammformen der fuͤnf uͤbrigen<lb/> Phylen entwickelten. So gleichen namentlich einige Jnfuſionsthiere<lb/> den erſten Jugendzuſtaͤnden der Pflanzenthiere. Einige Weichwuͤr-<lb/> mer und die Mosthiere ſchließen ſich an die Weichthiere an. Die<lb/> Sternwuͤrmer und einige Ringelwuͤrmer fuͤhren uns zu den Stern-<lb/> thieren hinuͤber, andere Ringelwuͤrmer dagegen und die Raͤderthiere<lb/> zu den Gliedfuͤßern. Die Mantelthiere endlich ſchließen ſich zunaͤchſt<lb/> an die Wirbelthiere an, indem die Jugendzuſtaͤnde von den niederſten<lb/> Formen beider Gruppen nahe verwandt ſind.</p><lb/> <p>Erwaͤgen wir nun einerſeits dieſe unleugbare anatomiſche und<lb/> embryologiſche Verwandtſchaft einzelner Wuͤrmergruppen mit den nie-<lb/> derſten und tiefſtſtehenden Ausgangsformen der fuͤnf uͤbrigen Staͤmme,<lb/> andrerſeits die vielfache verwandtſchaftliche Verkettung, durch welche<lb/> auch die verſchiedenen Gruppen des Wuͤrmerſtammes trotz aller Ver-<lb/> ſchiedenheiten unter ſich innig verbunden ſind, ſo gelangen wir ſchließ-<lb/> lich zu der Anſchauung, daß <hi rendition="#g">auch fuͤr das geſammte Thier-<lb/> reich ein gemeinſamer Urſprung aus einer einzigen<lb/> Wurzel</hi> oder Stammform das Wahrſcheinlichſte iſt. Auch hier, wie<lb/> im Pflanzenreich, gewinnt bei naͤherer nnd eingehenderer Betrachtung<lb/> die einſtaͤmmige oder <hi rendition="#g">monophyletiſche</hi> Deſcendenzhypotheſe, wie ſie<lb/> auf Taf. <hi rendition="#aq">III.</hi> dargeſtellt iſt, das Uebergewicht uͤber die entgegenge-<lb/> ſetzte, vielſtaͤmmige oder <hi rendition="#g">polyphyletiſche</hi> Hypotheſe, von welcher<lb/> Jhnen die nachſtehende Tabelle (S. 392) eine Anſchauung giebt.</p><lb/> <p>Die polyphyletiſche Hypotheſe vom Urſprung des Thierreichs kann<lb/> in ſehr verſchiedener Form gedacht werden. Jm Gegenſatz zu der auf<lb/> S. 392 dargeſtellten Form derſelben koͤnnte man es zunaͤchſt z. B. fuͤr<lb/> das Wahrſcheinlichſte halten, daß jeder der ſechs thieriſchen Staͤmme<lb/> ſelbſtſtaͤndigen Urſprungs iſt und ſich ganz unabhaͤngig von den<lb/> fuͤnf anderen aus einer beſonderen Zellenform entwickelt hat, die<lb/> von einem beſonderen, durch Urzeugung entſtandenen Moner abſtammt.<lb/> Gegen dieſe Vorſtellung ſpricht erſtens die merkwuͤrdige Uebereinſtim-<lb/> mung der fruͤheſten embryonalen Entwickelungszuſtaͤnde bei den ver-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [390/0415]
Polyphyletiſcher Stammbaum des Thierreichs.
laͤngſt ausgeſtorbenen Wuͤrmern vermuthen, aus denen ſich in alters-
grauer primordialer Vorzeit die fuͤnf Stammformen der fuͤnf uͤbrigen
Phylen entwickelten. So gleichen namentlich einige Jnfuſionsthiere
den erſten Jugendzuſtaͤnden der Pflanzenthiere. Einige Weichwuͤr-
mer und die Mosthiere ſchließen ſich an die Weichthiere an. Die
Sternwuͤrmer und einige Ringelwuͤrmer fuͤhren uns zu den Stern-
thieren hinuͤber, andere Ringelwuͤrmer dagegen und die Raͤderthiere
zu den Gliedfuͤßern. Die Mantelthiere endlich ſchließen ſich zunaͤchſt
an die Wirbelthiere an, indem die Jugendzuſtaͤnde von den niederſten
Formen beider Gruppen nahe verwandt ſind.
Erwaͤgen wir nun einerſeits dieſe unleugbare anatomiſche und
embryologiſche Verwandtſchaft einzelner Wuͤrmergruppen mit den nie-
derſten und tiefſtſtehenden Ausgangsformen der fuͤnf uͤbrigen Staͤmme,
andrerſeits die vielfache verwandtſchaftliche Verkettung, durch welche
auch die verſchiedenen Gruppen des Wuͤrmerſtammes trotz aller Ver-
ſchiedenheiten unter ſich innig verbunden ſind, ſo gelangen wir ſchließ-
lich zu der Anſchauung, daß auch fuͤr das geſammte Thier-
reich ein gemeinſamer Urſprung aus einer einzigen
Wurzel oder Stammform das Wahrſcheinlichſte iſt. Auch hier, wie
im Pflanzenreich, gewinnt bei naͤherer nnd eingehenderer Betrachtung
die einſtaͤmmige oder monophyletiſche Deſcendenzhypotheſe, wie ſie
auf Taf. III. dargeſtellt iſt, das Uebergewicht uͤber die entgegenge-
ſetzte, vielſtaͤmmige oder polyphyletiſche Hypotheſe, von welcher
Jhnen die nachſtehende Tabelle (S. 392) eine Anſchauung giebt.
Die polyphyletiſche Hypotheſe vom Urſprung des Thierreichs kann
in ſehr verſchiedener Form gedacht werden. Jm Gegenſatz zu der auf
S. 392 dargeſtellten Form derſelben koͤnnte man es zunaͤchſt z. B. fuͤr
das Wahrſcheinlichſte halten, daß jeder der ſechs thieriſchen Staͤmme
ſelbſtſtaͤndigen Urſprungs iſt und ſich ganz unabhaͤngig von den
fuͤnf anderen aus einer beſonderen Zellenform entwickelt hat, die
von einem beſonderen, durch Urzeugung entſtandenen Moner abſtammt.
Gegen dieſe Vorſtellung ſpricht erſtens die merkwuͤrdige Uebereinſtim-
mung der fruͤheſten embryonalen Entwickelungszuſtaͤnde bei den ver-
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