Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweikeimblättrige oder Dicotylen.
Palmen. Jm Ganzen ist die Monocotylenklasse trotz aller Formen-
mannichfaltigkeit, die sie in der Tertiärzeit und in der Gegenwart ent-
wickelt hat, viel einförmiger organisirt, als die Dicotylenklasse, und
auch ihre geschichtliche Entwickelung bietet ein viel geringeres Jnteresse.
Da ihre versteinerten Reste meistens schwer zu erkennen sind, so bleibt
die Frage vorläufig noch offen, in welchem der drei großen secundären
Zeiträume, Trias-, Jura- oder Kreidezeit, die Monocotylen aus den
Cycadeen entstanden sind. Jedenfalls existirten sie in der Kreidezeit
schon eben so sicher wie die Dicotylen.

Viel größeres historisches und anatomisches Jnteresse bietet in der
Entwickelung ihrer untergeordneten Gruppen die zweite Klasse der
Decksamigen, die Zweikeimblättrigen oder Zweisamen-
lappigen
(Dicotylae oder Dicotyledones, auch Exogenae be-
nannt). Die Blumenpflanzen dieser Klasse besitzen, wie ihr Name
sagt, gewöhnlich zwei Samenlappen oder Keimblätter (Cotyledonen).
Die Grundzahl in der Zusammensetzung ihrer Blüthe ist gewöhnlich
nicht drei, wie bei den meisten Monocotylen, sondern vier oder fünf,
oder ein Vielfaches davon. Ferner sind ihre Blätter gewöhnlich höher
differenzirt und mehr zusammengesetzt, als die der Monocotylen, und
von gekrümmten, verästelten Gefäßbündeln oder "Adern" durchzogen.
Zu dieser Klasse gehören die meisten Laubbäume, und da dieselbe in der
Tertiärzeit schon ebenso wie in der Gegenwart das Uebergewicht über
die Gymnospermen und Farne gewann, so konnten wir das ceno-
lithische Zeitalter auch als das der Laubwälder bezeichnen.

Obwohl die Mehrzahl der Dicotylen zu den höchsten und voll-
kommensten Pflanzen gehört, so schließt sich doch die niederste Abthei-
lung derselben unmittelbar an die Monocotylen an und stimmt mit
diesen namentlich darin überein, daß in ihrer Blüthe Kelch und Blu-
menkrone noch nicht gesondert sind. Man nennt sie daher Kelch-
blüthige
(Monochlamydeae oder Apetalae). Diese Unterklasse
hat sich zunächst entweder aus den Monocotylen oder in Zusammen-
hang mit diesen aus den Gymnospermen entwickelt. Es gehören da-
hin die meisten kätzchentragenden Laubbäume, die Birken und Erlen

Zweikeimblaͤttrige oder Dicotylen.
Palmen. Jm Ganzen iſt die Monocotylenklaſſe trotz aller Formen-
mannichfaltigkeit, die ſie in der Tertiaͤrzeit und in der Gegenwart ent-
wickelt hat, viel einfoͤrmiger organiſirt, als die Dicotylenklaſſe, und
auch ihre geſchichtliche Entwickelung bietet ein viel geringeres Jntereſſe.
Da ihre verſteinerten Reſte meiſtens ſchwer zu erkennen ſind, ſo bleibt
die Frage vorlaͤufig noch offen, in welchem der drei großen ſecundaͤren
Zeitraͤume, Trias-, Jura- oder Kreidezeit, die Monocotylen aus den
Cycadeen entſtanden ſind. Jedenfalls exiſtirten ſie in der Kreidezeit
ſchon eben ſo ſicher wie die Dicotylen.

Viel groͤßeres hiſtoriſches und anatomiſches Jntereſſe bietet in der
Entwickelung ihrer untergeordneten Gruppen die zweite Klaſſe der
Deckſamigen, die Zweikeimblaͤttrigen oder Zweiſamen-
lappigen
(Dicotylae oder Dicotyledones, auch Exogenae be-
nannt). Die Blumenpflanzen dieſer Klaſſe beſitzen, wie ihr Name
ſagt, gewoͤhnlich zwei Samenlappen oder Keimblaͤtter (Cotyledonen).
Die Grundzahl in der Zuſammenſetzung ihrer Bluͤthe iſt gewoͤhnlich
nicht drei, wie bei den meiſten Monocotylen, ſondern vier oder fuͤnf,
oder ein Vielfaches davon. Ferner ſind ihre Blaͤtter gewoͤhnlich hoͤher
differenzirt und mehr zuſammengeſetzt, als die der Monocotylen, und
von gekruͤmmten, veraͤſtelten Gefaͤßbuͤndeln oder „Adern“ durchzogen.
Zu dieſer Klaſſe gehoͤren die meiſten Laubbaͤume, und da dieſelbe in der
Tertiaͤrzeit ſchon ebenſo wie in der Gegenwart das Uebergewicht uͤber
die Gymnoſpermen und Farne gewann, ſo konnten wir das ceno-
lithiſche Zeitalter auch als das der Laubwaͤlder bezeichnen.

Obwohl die Mehrzahl der Dicotylen zu den hoͤchſten und voll-
kommenſten Pflanzen gehoͤrt, ſo ſchließt ſich doch die niederſte Abthei-
lung derſelben unmittelbar an die Monocotylen an und ſtimmt mit
dieſen namentlich darin uͤberein, daß in ihrer Bluͤthe Kelch und Blu-
menkrone noch nicht geſondert ſind. Man nennt ſie daher Kelch-
bluͤthige
(Monochlamydeae oder Apetalae). Dieſe Unterklaſſe
hat ſich zunaͤchſt entweder aus den Monocotylen oder in Zuſammen-
hang mit dieſen aus den Gymnoſpermen entwickelt. Es gehoͤren da-
hin die meiſten kaͤtzchentragenden Laubbaͤume, die Birken und Erlen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0402" n="377"/><fw place="top" type="header">Zweikeimbla&#x0364;ttrige oder Dicotylen.</fw><lb/>
Palmen. Jm Ganzen i&#x017F;t die Monocotylenkla&#x017F;&#x017F;e trotz aller Formen-<lb/>
mannichfaltigkeit, die &#x017F;ie in der Tertia&#x0364;rzeit und in der Gegenwart ent-<lb/>
wickelt hat, viel einfo&#x0364;rmiger organi&#x017F;irt, als die Dicotylenkla&#x017F;&#x017F;e, und<lb/>
auch ihre ge&#x017F;chichtliche Entwickelung bietet ein viel geringeres Jntere&#x017F;&#x017F;e.<lb/>
Da ihre ver&#x017F;teinerten Re&#x017F;te mei&#x017F;tens &#x017F;chwer zu erkennen &#x017F;ind, &#x017F;o bleibt<lb/>
die Frage vorla&#x0364;ufig noch offen, in welchem der drei großen &#x017F;ecunda&#x0364;ren<lb/>
Zeitra&#x0364;ume, Trias-, Jura- oder Kreidezeit, die Monocotylen aus den<lb/>
Cycadeen ent&#x017F;tanden &#x017F;ind. Jedenfalls exi&#x017F;tirten &#x017F;ie in der Kreidezeit<lb/>
&#x017F;chon eben &#x017F;o &#x017F;icher wie die Dicotylen.</p><lb/>
        <p>Viel gro&#x0364;ßeres hi&#x017F;tori&#x017F;ches und anatomi&#x017F;ches Jntere&#x017F;&#x017F;e bietet in der<lb/>
Entwickelung ihrer untergeordneten Gruppen die zweite Kla&#x017F;&#x017F;e der<lb/>
Deck&#x017F;amigen, die <hi rendition="#g">Zweikeimbla&#x0364;ttrigen oder Zwei&#x017F;amen-<lb/>
lappigen</hi> (<hi rendition="#aq">Dicotylae</hi> oder <hi rendition="#aq">Dicotyledones,</hi> auch <hi rendition="#aq">Exogenae</hi> be-<lb/>
nannt). Die Blumenpflanzen die&#x017F;er Kla&#x017F;&#x017F;e be&#x017F;itzen, wie ihr Name<lb/>
&#x017F;agt, gewo&#x0364;hnlich zwei Samenlappen oder Keimbla&#x0364;tter (Cotyledonen).<lb/>
Die Grundzahl in der Zu&#x017F;ammen&#x017F;etzung ihrer Blu&#x0364;the i&#x017F;t gewo&#x0364;hnlich<lb/>
nicht drei, wie bei den mei&#x017F;ten Monocotylen, &#x017F;ondern vier oder fu&#x0364;nf,<lb/>
oder ein Vielfaches davon. Ferner &#x017F;ind ihre Bla&#x0364;tter gewo&#x0364;hnlich ho&#x0364;her<lb/>
differenzirt und mehr zu&#x017F;ammenge&#x017F;etzt, als die der Monocotylen, und<lb/>
von gekru&#x0364;mmten, vera&#x0364;&#x017F;telten Gefa&#x0364;ßbu&#x0364;ndeln oder &#x201E;Adern&#x201C; durchzogen.<lb/>
Zu die&#x017F;er Kla&#x017F;&#x017F;e geho&#x0364;ren die mei&#x017F;ten Laubba&#x0364;ume, und da die&#x017F;elbe in der<lb/>
Tertia&#x0364;rzeit &#x017F;chon eben&#x017F;o wie in der Gegenwart das Uebergewicht u&#x0364;ber<lb/>
die Gymno&#x017F;permen und Farne gewann, &#x017F;o konnten wir das ceno-<lb/>
lithi&#x017F;che Zeitalter auch als das der Laubwa&#x0364;lder bezeichnen.</p><lb/>
        <p>Obwohl die Mehrzahl der Dicotylen zu den ho&#x0364;ch&#x017F;ten und voll-<lb/>
kommen&#x017F;ten Pflanzen geho&#x0364;rt, &#x017F;o &#x017F;chließt &#x017F;ich doch die nieder&#x017F;te Abthei-<lb/>
lung der&#x017F;elben unmittelbar an die Monocotylen an und &#x017F;timmt mit<lb/>
die&#x017F;en namentlich darin u&#x0364;berein, daß in ihrer Blu&#x0364;the Kelch und Blu-<lb/>
menkrone noch nicht ge&#x017F;ondert &#x017F;ind. Man nennt &#x017F;ie daher <hi rendition="#g">Kelch-<lb/>
blu&#x0364;thige</hi> (<hi rendition="#aq">Monochlamydeae</hi> oder <hi rendition="#aq">Apetalae</hi>). Die&#x017F;e Unterkla&#x017F;&#x017F;e<lb/>
hat &#x017F;ich zuna&#x0364;ch&#x017F;t entweder aus den Monocotylen oder in Zu&#x017F;ammen-<lb/>
hang mit die&#x017F;en aus den Gymno&#x017F;permen entwickelt. Es geho&#x0364;ren da-<lb/>
hin die mei&#x017F;ten ka&#x0364;tzchentragenden Laubba&#x0364;ume, die Birken und Erlen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[377/0402] Zweikeimblaͤttrige oder Dicotylen. Palmen. Jm Ganzen iſt die Monocotylenklaſſe trotz aller Formen- mannichfaltigkeit, die ſie in der Tertiaͤrzeit und in der Gegenwart ent- wickelt hat, viel einfoͤrmiger organiſirt, als die Dicotylenklaſſe, und auch ihre geſchichtliche Entwickelung bietet ein viel geringeres Jntereſſe. Da ihre verſteinerten Reſte meiſtens ſchwer zu erkennen ſind, ſo bleibt die Frage vorlaͤufig noch offen, in welchem der drei großen ſecundaͤren Zeitraͤume, Trias-, Jura- oder Kreidezeit, die Monocotylen aus den Cycadeen entſtanden ſind. Jedenfalls exiſtirten ſie in der Kreidezeit ſchon eben ſo ſicher wie die Dicotylen. Viel groͤßeres hiſtoriſches und anatomiſches Jntereſſe bietet in der Entwickelung ihrer untergeordneten Gruppen die zweite Klaſſe der Deckſamigen, die Zweikeimblaͤttrigen oder Zweiſamen- lappigen (Dicotylae oder Dicotyledones, auch Exogenae be- nannt). Die Blumenpflanzen dieſer Klaſſe beſitzen, wie ihr Name ſagt, gewoͤhnlich zwei Samenlappen oder Keimblaͤtter (Cotyledonen). Die Grundzahl in der Zuſammenſetzung ihrer Bluͤthe iſt gewoͤhnlich nicht drei, wie bei den meiſten Monocotylen, ſondern vier oder fuͤnf, oder ein Vielfaches davon. Ferner ſind ihre Blaͤtter gewoͤhnlich hoͤher differenzirt und mehr zuſammengeſetzt, als die der Monocotylen, und von gekruͤmmten, veraͤſtelten Gefaͤßbuͤndeln oder „Adern“ durchzogen. Zu dieſer Klaſſe gehoͤren die meiſten Laubbaͤume, und da dieſelbe in der Tertiaͤrzeit ſchon ebenſo wie in der Gegenwart das Uebergewicht uͤber die Gymnoſpermen und Farne gewann, ſo konnten wir das ceno- lithiſche Zeitalter auch als das der Laubwaͤlder bezeichnen. Obwohl die Mehrzahl der Dicotylen zu den hoͤchſten und voll- kommenſten Pflanzen gehoͤrt, ſo ſchließt ſich doch die niederſte Abthei- lung derſelben unmittelbar an die Monocotylen an und ſtimmt mit dieſen namentlich darin uͤberein, daß in ihrer Bluͤthe Kelch und Blu- menkrone noch nicht geſondert ſind. Man nennt ſie daher Kelch- bluͤthige (Monochlamydeae oder Apetalae). Dieſe Unterklaſſe hat ſich zunaͤchſt entweder aus den Monocotylen oder in Zuſammen- hang mit dieſen aus den Gymnoſpermen entwickelt. Es gehoͤren da- hin die meiſten kaͤtzchentragenden Laubbaͤume, die Birken und Erlen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/402
Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/402>, abgerufen am 10.06.2024.