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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Urtange (Archephyceen oder Archephyten).
welche im Beginne der antelaurentischen Periode durch Urzeugung
entstanden sind. Ferner müssen wir dahin alle jene Pflanzenformen
einfachster Organisation rechnen, welche aus jenen sich zunächst in
antelaurentischer Zeit entwickelt haben, und welche den Formwerth
einer einzigen Plastide besaßen. Zunächst waren dies solche Urpflänz-
chen, deren ganzer Körper eine einfachste Cytode (eine kernlose Pla-
stide) bildete, und weiterhin solche, die bereits durch Sonderung eines
Kernes im Plasma den höheren Formwerth einer einfachen Zelle er-
reicht hatten (Vergl. oben S. 285). Noch in der Gegenwart leben
verschiedene einfachste Tangarten, welche von diesen ursprünglichen
Urpflanzenformen sich nur wenig entfernt haben. Dahin gehört eine
große Anzahl von höchst einfachen, meist mikroskopisch kleinen Pflänz-
chen, deren ganzer Körper noch heutzutage in vollkommen ausgebil-
detem Zustande nur den Formwerth einer einfachen Plastide, ent-
weder einer Cytode oder einer Zelle besitzt; oder bei denen nur eine
geringe Anzahl von einfachen und gleichartigen Zellen zur Bildung des
Thalluskörpers zusammentritt. Die Tangfamilien der Codiolaceen,
Protococcaceen, Desmidiaceen, Palmellaceen und einige andere wür-
den hierher zu rechnen sein. Auch die merkwürdige Gruppe der Phy-
cochromaceen (Chroococcaceen und Oscillarineen) würde man hierher
ziehen können, falls man diese nicht lieber als einen selbstständigen
Stamm des Protistenreiches ansehen will (Vergl. oben S. 328). End-
lich würde man zu den Urtangen auch jene außerordentlich merkwürdi-
gen Schlauchalgen oder Siphoneen rechnen können, deren Körper bei
ansehnlicher Größe und sehr entwickelter äußerer Form dennoch aus
einer einzigen einfachen Plastide besteht. Manche von diesen Siphoneen
erreichen eine Größe von mehreren Fußen und gleichen einem zierlichen
Mose (Bryopsis) oder einem Bärlappe oder gar einer vollkomme-
nen Blüthenpflanze mit Stengel, Wurzel und Blättern (Caulerpa).
Und dennoch besteht dieser ganze große und vielfach äußerlich differen-
zirte Körper innerlich aus einem ganz einfachen Schlauche, der nur den
Formwerth einer einzigen Cytode besitzt. Diese wunderbaren Sipho-
neen, Bryopsen und Caulerpen, zeigen uns, wie weit es die einzelne

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Urtange (Archephyceen oder Archephyten).
welche im Beginne der antelaurentiſchen Periode durch Urzeugung
entſtanden ſind. Ferner muͤſſen wir dahin alle jene Pflanzenformen
einfachſter Organiſation rechnen, welche aus jenen ſich zunaͤchſt in
antelaurentiſcher Zeit entwickelt haben, und welche den Formwerth
einer einzigen Plaſtide beſaßen. Zunaͤchſt waren dies ſolche Urpflaͤnz-
chen, deren ganzer Koͤrper eine einfachſte Cytode (eine kernloſe Pla-
ſtide) bildete, und weiterhin ſolche, die bereits durch Sonderung eines
Kernes im Plasma den hoͤheren Formwerth einer einfachen Zelle er-
reicht hatten (Vergl. oben S. 285). Noch in der Gegenwart leben
verſchiedene einfachſte Tangarten, welche von dieſen urſpruͤnglichen
Urpflanzenformen ſich nur wenig entfernt haben. Dahin gehoͤrt eine
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chen, deren ganzer Koͤrper noch heutzutage in vollkommen ausgebil-
detem Zuſtande nur den Formwerth einer einfachen Plaſtide, ent-
weder einer Cytode oder einer Zelle beſitzt; oder bei denen nur eine
geringe Anzahl von einfachen und gleichartigen Zellen zur Bildung des
Thalluskoͤrpers zuſammentritt. Die Tangfamilien der Codiolaceen,
Protococcaceen, Desmidiaceen, Palmellaceen und einige andere wuͤr-
den hierher zu rechnen ſein. Auch die merkwuͤrdige Gruppe der Phy-
cochromaceen (Chroococcaceen und Oſcillarineen) wuͤrde man hierher
ziehen koͤnnen, falls man dieſe nicht lieber als einen ſelbſtſtaͤndigen
Stamm des Protiſtenreiches anſehen will (Vergl. oben S. 328). End-
lich wuͤrde man zu den Urtangen auch jene außerordentlich merkwuͤrdi-
gen Schlauchalgen oder Siphoneen rechnen koͤnnen, deren Koͤrper bei
anſehnlicher Groͤße und ſehr entwickelter aͤußerer Form dennoch aus
einer einzigen einfachen Plaſtide beſteht. Manche von dieſen Siphoneen
erreichen eine Groͤße von mehreren Fußen und gleichen einem zierlichen
Moſe (Bryopsis) oder einem Baͤrlappe oder gar einer vollkomme-
nen Bluͤthenpflanze mit Stengel, Wurzel und Blaͤttern (Caulerpa).
Und dennoch beſteht dieſer ganze große und vielfach aͤußerlich differen-
zirte Koͤrper innerlich aus einem ganz einfachen Schlauche, der nur den
Formwerth einer einzigen Cytode beſitzt. Dieſe wunderbaren Sipho-
neen, Bryopſen und Caulerpen, zeigen uns, wie weit es die einzelne

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[355/0380] Urtange (Archephyceen oder Archephyten). welche im Beginne der antelaurentiſchen Periode durch Urzeugung entſtanden ſind. Ferner muͤſſen wir dahin alle jene Pflanzenformen einfachſter Organiſation rechnen, welche aus jenen ſich zunaͤchſt in antelaurentiſcher Zeit entwickelt haben, und welche den Formwerth einer einzigen Plaſtide beſaßen. Zunaͤchſt waren dies ſolche Urpflaͤnz- chen, deren ganzer Koͤrper eine einfachſte Cytode (eine kernloſe Pla- ſtide) bildete, und weiterhin ſolche, die bereits durch Sonderung eines Kernes im Plasma den hoͤheren Formwerth einer einfachen Zelle er- reicht hatten (Vergl. oben S. 285). Noch in der Gegenwart leben verſchiedene einfachſte Tangarten, welche von dieſen urſpruͤnglichen Urpflanzenformen ſich nur wenig entfernt haben. Dahin gehoͤrt eine große Anzahl von hoͤchſt einfachen, meiſt mikroſkopiſch kleinen Pflaͤnz- chen, deren ganzer Koͤrper noch heutzutage in vollkommen ausgebil- detem Zuſtande nur den Formwerth einer einfachen Plaſtide, ent- weder einer Cytode oder einer Zelle beſitzt; oder bei denen nur eine geringe Anzahl von einfachen und gleichartigen Zellen zur Bildung des Thalluskoͤrpers zuſammentritt. Die Tangfamilien der Codiolaceen, Protococcaceen, Desmidiaceen, Palmellaceen und einige andere wuͤr- den hierher zu rechnen ſein. Auch die merkwuͤrdige Gruppe der Phy- cochromaceen (Chroococcaceen und Oſcillarineen) wuͤrde man hierher ziehen koͤnnen, falls man dieſe nicht lieber als einen ſelbſtſtaͤndigen Stamm des Protiſtenreiches anſehen will (Vergl. oben S. 328). End- lich wuͤrde man zu den Urtangen auch jene außerordentlich merkwuͤrdi- gen Schlauchalgen oder Siphoneen rechnen koͤnnen, deren Koͤrper bei anſehnlicher Groͤße und ſehr entwickelter aͤußerer Form dennoch aus einer einzigen einfachen Plaſtide beſteht. Manche von dieſen Siphoneen erreichen eine Groͤße von mehreren Fußen und gleichen einem zierlichen Moſe (Bryopsis) oder einem Baͤrlappe oder gar einer vollkomme- nen Bluͤthenpflanze mit Stengel, Wurzel und Blaͤttern (Caulerpa). Und dennoch beſteht dieſer ganze große und vielfach aͤußerlich differen- zirte Koͤrper innerlich aus einem ganz einfachen Schlauche, der nur den Formwerth einer einzigen Cytode beſitzt. Dieſe wunderbaren Sipho- neen, Bryopſen und Caulerpen, zeigen uns, wie weit es die einzelne 23 *

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/380>, abgerufen am 10.06.2024.