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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Monistische Anorganologie und dualistische Biologie.
schen Anschauung, welche in jener teleologischen Weltauffassung noth-
wendig enthalten ist. Die mechanische Naturbetrachtung ist seit Jahr-
zehnten auf gewissen Gebieten der Naturwissenschaft so sehr eingebür-
gert, daß hier über die entgegengesetzte kein Wort mehr verloren wird.
Es fällt keinem Physiker oder Chemiker, keinem Mineralogen oder
Astronomen mehr ein, in den Erscheinungen, welche ihm auf seinem wis-
senschaftlichen Gebiete fortwährend vor Augen kommen, die Wirksam-
keit eines zweckmäßig thätigen Schöpfers vorzufinden oder aufzusuchen.
Man betrachtet die Erscheinungen, welche auf jenen Gebieten zu Tage
treten, allgemein und ohne Widerspruch als die nothwendigen und un-
abänderlichen Wirkungen der physikalischen und chemischen Kräfte,
welche an dem Stoffe oder der Materie haften und insofern ist diese
Anschauung rein materialistisch, in einem gewissen Sinne dieses viel-
deutigen Wortes. Wenn der Physiker die Bewegungserscheinungen
der Elektricität oder des Magnetismus, den Fall eines schweren Körpers
oder die Schwingungen der Lichtwellen verfolgt, so ist er bei dieser
Arbeit durchaus davon entfernt, das Eingreifen einer übernatürlichen
schöpferischen Kraft anzunehmen. Jn dieser Beziehung befand sich
bisher die Biologie als die Wissenschaft von den sogenannten "beleb-
ten
" Naturkörpern, in großem Gegensatz zu jenen vorher genannten
anorganischen Naturwissenschaften (der Anorganologie). Zwar hat die
neuere Physiologie, die Lehre von den Bewegungserscheinungen der
Thier- und Pflanzenkörper, den mechanischen Standpunkt der letzteren
vollkommen angenommen; allein die Morphologie, die Wissenschaft
von den Formen der Thiere und der Pflanzen, schien dadurch gar
nicht berührt zu werden. Die Morphologen behandelten nach wie vor,
und größtentheils noch heutzutage, im Gegensatz zu jener mechani-
schen Betrachtung der Leistungen, die Formen der Thiere und Pflan-
zen als etwas, was durchaus nicht mechanisch erklärbar sei, was noth-
wendig einer höheren, übernatürlichen, zweckmäßig thätigen Schöpfer-
kraft seinen Ursprung verdanken müsse. Dabei war es ganz gleichgül-
tig, ob man diese Schöpferkraft als persönlichen Gott anbetete, oder

Haeckel, Natürliche Schöpfungsgeschichte. 2

Moniſtiſche Anorganologie und dualiſtiſche Biologie.
ſchen Anſchauung, welche in jener teleologiſchen Weltauffaſſung noth-
wendig enthalten iſt. Die mechaniſche Naturbetrachtung iſt ſeit Jahr-
zehnten auf gewiſſen Gebieten der Naturwiſſenſchaft ſo ſehr eingebuͤr-
gert, daß hier uͤber die entgegengeſetzte kein Wort mehr verloren wird.
Es faͤllt keinem Phyſiker oder Chemiker, keinem Mineralogen oder
Aſtronomen mehr ein, in den Erſcheinungen, welche ihm auf ſeinem wiſ-
ſenſchaftlichen Gebiete fortwaͤhrend vor Augen kommen, die Wirkſam-
keit eines zweckmaͤßig thaͤtigen Schoͤpfers vorzufinden oder aufzuſuchen.
Man betrachtet die Erſcheinungen, welche auf jenen Gebieten zu Tage
treten, allgemein und ohne Widerſpruch als die nothwendigen und un-
abaͤnderlichen Wirkungen der phyſikaliſchen und chemiſchen Kraͤfte,
welche an dem Stoffe oder der Materie haften und inſofern iſt dieſe
Anſchauung rein materialiſtiſch, in einem gewiſſen Sinne dieſes viel-
deutigen Wortes. Wenn der Phyſiker die Bewegungserſcheinungen
der Elektricitaͤt oder des Magnetismus, den Fall eines ſchweren Koͤrpers
oder die Schwingungen der Lichtwellen verfolgt, ſo iſt er bei dieſer
Arbeit durchaus davon entfernt, das Eingreifen einer uͤbernatuͤrlichen
ſchoͤpferiſchen Kraft anzunehmen. Jn dieſer Beziehung befand ſich
bisher die Biologie als die Wiſſenſchaft von den ſogenannten „beleb-
ten
“ Naturkoͤrpern, in großem Gegenſatz zu jenen vorher genannten
anorganiſchen Naturwiſſenſchaften (der Anorganologie). Zwar hat die
neuere Phyſiologie, die Lehre von den Bewegungserſcheinungen der
Thier- und Pflanzenkoͤrper, den mechaniſchen Standpunkt der letzteren
vollkommen angenommen; allein die Morphologie, die Wiſſenſchaft
von den Formen der Thiere und der Pflanzen, ſchien dadurch gar
nicht beruͤhrt zu werden. Die Morphologen behandelten nach wie vor,
und groͤßtentheils noch heutzutage, im Gegenſatz zu jener mechani-
ſchen Betrachtung der Leiſtungen, die Formen der Thiere und Pflan-
zen als etwas, was durchaus nicht mechaniſch erklaͤrbar ſei, was noth-
wendig einer hoͤheren, uͤbernatuͤrlichen, zweckmaͤßig thaͤtigen Schoͤpfer-
kraft ſeinen Urſprung verdanken muͤſſe. Dabei war es ganz gleichguͤl-
tig, ob man dieſe Schoͤpferkraft als perſoͤnlichen Gott anbetete, oder

Haeckel, Natuͤrliche Schoͤpfungsgeſchichte. 2
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[17/0038] Moniſtiſche Anorganologie und dualiſtiſche Biologie. ſchen Anſchauung, welche in jener teleologiſchen Weltauffaſſung noth- wendig enthalten iſt. Die mechaniſche Naturbetrachtung iſt ſeit Jahr- zehnten auf gewiſſen Gebieten der Naturwiſſenſchaft ſo ſehr eingebuͤr- gert, daß hier uͤber die entgegengeſetzte kein Wort mehr verloren wird. Es faͤllt keinem Phyſiker oder Chemiker, keinem Mineralogen oder Aſtronomen mehr ein, in den Erſcheinungen, welche ihm auf ſeinem wiſ- ſenſchaftlichen Gebiete fortwaͤhrend vor Augen kommen, die Wirkſam- keit eines zweckmaͤßig thaͤtigen Schoͤpfers vorzufinden oder aufzuſuchen. Man betrachtet die Erſcheinungen, welche auf jenen Gebieten zu Tage treten, allgemein und ohne Widerſpruch als die nothwendigen und un- abaͤnderlichen Wirkungen der phyſikaliſchen und chemiſchen Kraͤfte, welche an dem Stoffe oder der Materie haften und inſofern iſt dieſe Anſchauung rein materialiſtiſch, in einem gewiſſen Sinne dieſes viel- deutigen Wortes. Wenn der Phyſiker die Bewegungserſcheinungen der Elektricitaͤt oder des Magnetismus, den Fall eines ſchweren Koͤrpers oder die Schwingungen der Lichtwellen verfolgt, ſo iſt er bei dieſer Arbeit durchaus davon entfernt, das Eingreifen einer uͤbernatuͤrlichen ſchoͤpferiſchen Kraft anzunehmen. Jn dieſer Beziehung befand ſich bisher die Biologie als die Wiſſenſchaft von den ſogenannten „beleb- ten“ Naturkoͤrpern, in großem Gegenſatz zu jenen vorher genannten anorganiſchen Naturwiſſenſchaften (der Anorganologie). Zwar hat die neuere Phyſiologie, die Lehre von den Bewegungserſcheinungen der Thier- und Pflanzenkoͤrper, den mechaniſchen Standpunkt der letzteren vollkommen angenommen; allein die Morphologie, die Wiſſenſchaft von den Formen der Thiere und der Pflanzen, ſchien dadurch gar nicht beruͤhrt zu werden. Die Morphologen behandelten nach wie vor, und groͤßtentheils noch heutzutage, im Gegenſatz zu jener mechani- ſchen Betrachtung der Leiſtungen, die Formen der Thiere und Pflan- zen als etwas, was durchaus nicht mechaniſch erklaͤrbar ſei, was noth- wendig einer hoͤheren, uͤbernatuͤrlichen, zweckmaͤßig thaͤtigen Schoͤpfer- kraft ſeinen Urſprung verdanken muͤſſe. Dabei war es ganz gleichguͤl- tig, ob man dieſe Schoͤpferkraft als perſoͤnlichen Gott anbetete, oder Haeckel, Natuͤrliche Schoͤpfungsgeſchichte. 2

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/38>, abgerufen am 24.11.2024.