Zeitraums nur wasserbewohnenden Thieren angehören, so schließen wir daraus, daß landbewohnende Organismen damals noch gar nicht existirten.
Schon aus diesen Gründen muß die erste und unvollkommenste Hauptklasse des Pflanzenreichs, die Abtheilung der Tange oder Algen für uns von ganz besonderer Bedeutung sein. Dazu kommt noch das hohe Jnteresse, welches uns diese Hauptklasse, auch an sich betrachtet, gewährt. Trotz ihrer höchst einfachen Zusammensetzung aus gleichartigen oder nur wenig differenzirten Zellen zeigen die Tange dennoch eine außerordentliche Mannichfaltigkeit verschiedener Formen. Einerseits gehören dazu die einfachsten und unvollkommensten aller Gewächse, andrerseits sehr entwickelte und eigenthümliche Gestalten. Ebenso wie in der Vollkommenheit und Mannichfaltigkeit ihrer äuße- ren Formbildung unterscheiden sich die verschiedenen Algengruppen auch in der Körpergröße. Auf der tiefsten Stufe finden wir die win- zig kleinen Protococcus-Arten, von denen mehrere Hunderttausend auf den Raum eines Stecknadelknopfs gehen. Auf der höchsten Stufe bewundern wir in den riesenmäßigen Makrocysten, welche eine Länge von 300--400 Fuß erreichen, die längsten von allen Gestalten des Pflanzenreichs. Und wenn nicht aus diesen Gründen, so müßten die Algen schon deßhalb unsere besondere Aufmerksamkeit erregen, weil sie die Anfänge des Pflanzenlebens bilden und die Stammformen aller übrigen Pflanzengruppen enthalten, vorausgesetzt daß unsere Hypo- these von einem gemeinsamen Ursprung aller Pflanzengruppen richtig ist (Taf. II).
Leider werden die Meisten von Jhnen sich nur eine sehr unvoll- kommene Vorstellung von dieser höchst interessanten Hauptklasse des Pflanzenreichs machen können, weil Sie davon nur die verhältniß- mäßig kleinen und einfachen Vertreter kennen werden, welche das süße Wasser bewohnen. Die schleimigen grünen Wasserfäden und Wasser- flocken in unseren Teichen und Brunnentrogen, die hellgrünen Schleim- überzüge auf allerlei Holzwerk, welches längere Zeit mit Wasser in Berührung war, die gelbgrünen schaumigen Schleimdecken auf den
Haeckel, Natürliche Schöpfungsgeschichte. 23
Hauptklaſſe der Tange oder Algen.
Zeitraums nur waſſerbewohnenden Thieren angehoͤren, ſo ſchließen wir daraus, daß landbewohnende Organismen damals noch gar nicht exiſtirten.
Schon aus dieſen Gruͤnden muß die erſte und unvollkommenſte Hauptklaſſe des Pflanzenreichs, die Abtheilung der Tange oder Algen fuͤr uns von ganz beſonderer Bedeutung ſein. Dazu kommt noch das hohe Jntereſſe, welches uns dieſe Hauptklaſſe, auch an ſich betrachtet, gewaͤhrt. Trotz ihrer hoͤchſt einfachen Zuſammenſetzung aus gleichartigen oder nur wenig differenzirten Zellen zeigen die Tange dennoch eine außerordentliche Mannichfaltigkeit verſchiedener Formen. Einerſeits gehoͤren dazu die einfachſten und unvollkommenſten aller Gewaͤchſe, andrerſeits ſehr entwickelte und eigenthuͤmliche Geſtalten. Ebenſo wie in der Vollkommenheit und Mannichfaltigkeit ihrer aͤuße- ren Formbildung unterſcheiden ſich die verſchiedenen Algengruppen auch in der Koͤrpergroͤße. Auf der tiefſten Stufe finden wir die win- zig kleinen Protococcus-Arten, von denen mehrere Hunderttauſend auf den Raum eines Stecknadelknopfs gehen. Auf der hoͤchſten Stufe bewundern wir in den rieſenmaͤßigen Makrocyſten, welche eine Laͤnge von 300—400 Fuß erreichen, die laͤngſten von allen Geſtalten des Pflanzenreichs. Und wenn nicht aus dieſen Gruͤnden, ſo muͤßten die Algen ſchon deßhalb unſere beſondere Aufmerkſamkeit erregen, weil ſie die Anfaͤnge des Pflanzenlebens bilden und die Stammformen aller uͤbrigen Pflanzengruppen enthalten, vorausgeſetzt daß unſere Hypo- theſe von einem gemeinſamen Urſprung aller Pflanzengruppen richtig iſt (Taf. II).
Leider werden die Meiſten von Jhnen ſich nur eine ſehr unvoll- kommene Vorſtellung von dieſer hoͤchſt intereſſanten Hauptklaſſe des Pflanzenreichs machen koͤnnen, weil Sie davon nur die verhaͤltniß- maͤßig kleinen und einfachen Vertreter kennen werden, welche das ſuͤße Waſſer bewohnen. Die ſchleimigen gruͤnen Waſſerfaͤden und Waſſer- flocken in unſeren Teichen und Brunnentrogen, die hellgruͤnen Schleim- uͤberzuͤge auf allerlei Holzwerk, welches laͤngere Zeit mit Waſſer in Beruͤhrung war, die gelbgruͤnen ſchaumigen Schleimdecken auf den
Haeckel, Natuͤrliche Schoͤpfungsgeſchichte. 23
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0378"n="353"/><fwplace="top"type="header">Hauptklaſſe der Tange oder Algen.</fw><lb/><p>Zeitraums nur waſſerbewohnenden Thieren angehoͤren, ſo ſchließen<lb/>
wir daraus, daß landbewohnende Organismen damals noch gar nicht<lb/>
exiſtirten.</p><lb/><p>Schon aus dieſen Gruͤnden muß die erſte und unvollkommenſte<lb/>
Hauptklaſſe des Pflanzenreichs, die Abtheilung <hirendition="#g">der Tange oder<lb/>
Algen</hi> fuͤr uns von ganz beſonderer Bedeutung ſein. Dazu kommt<lb/>
noch das hohe Jntereſſe, welches uns dieſe Hauptklaſſe, auch an ſich<lb/>
betrachtet, gewaͤhrt. Trotz ihrer hoͤchſt einfachen Zuſammenſetzung<lb/>
aus gleichartigen oder nur wenig differenzirten Zellen zeigen die Tange<lb/>
dennoch eine außerordentliche Mannichfaltigkeit verſchiedener Formen.<lb/>
Einerſeits gehoͤren dazu die einfachſten und unvollkommenſten aller<lb/>
Gewaͤchſe, andrerſeits ſehr entwickelte und eigenthuͤmliche Geſtalten.<lb/>
Ebenſo wie in der Vollkommenheit und Mannichfaltigkeit ihrer aͤuße-<lb/>
ren Formbildung unterſcheiden ſich die verſchiedenen Algengruppen<lb/>
auch in der Koͤrpergroͤße. Auf der tiefſten Stufe finden wir die win-<lb/>
zig kleinen Protococcus-Arten, von denen mehrere Hunderttauſend auf<lb/>
den Raum eines Stecknadelknopfs gehen. Auf der hoͤchſten Stufe<lb/>
bewundern wir in den rieſenmaͤßigen Makrocyſten, welche eine Laͤnge<lb/>
von 300—400 Fuß erreichen, die laͤngſten von allen Geſtalten des<lb/>
Pflanzenreichs. Und wenn nicht aus dieſen Gruͤnden, ſo muͤßten die<lb/>
Algen ſchon deßhalb unſere beſondere Aufmerkſamkeit erregen, weil<lb/>ſie die Anfaͤnge des Pflanzenlebens bilden und die Stammformen aller<lb/>
uͤbrigen Pflanzengruppen enthalten, vorausgeſetzt daß unſere Hypo-<lb/>
theſe von einem gemeinſamen Urſprung aller Pflanzengruppen richtig<lb/>
iſt (Taf. <hirendition="#aq">II</hi>).</p><lb/><p>Leider werden die Meiſten von Jhnen ſich nur eine ſehr unvoll-<lb/>
kommene Vorſtellung von dieſer hoͤchſt intereſſanten Hauptklaſſe des<lb/>
Pflanzenreichs machen koͤnnen, weil Sie davon nur die verhaͤltniß-<lb/>
maͤßig kleinen und einfachen Vertreter kennen werden, welche das ſuͤße<lb/>
Waſſer bewohnen. Die ſchleimigen gruͤnen Waſſerfaͤden und Waſſer-<lb/>
flocken in unſeren Teichen und Brunnentrogen, die hellgruͤnen Schleim-<lb/>
uͤberzuͤge auf allerlei Holzwerk, welches laͤngere Zeit mit Waſſer in<lb/>
Beruͤhrung war, die gelbgruͤnen ſchaumigen Schleimdecken auf den<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Haeckel, Natuͤrliche Schoͤpfungsgeſchichte. 23</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[353/0378]
Hauptklaſſe der Tange oder Algen.
Zeitraums nur waſſerbewohnenden Thieren angehoͤren, ſo ſchließen
wir daraus, daß landbewohnende Organismen damals noch gar nicht
exiſtirten.
Schon aus dieſen Gruͤnden muß die erſte und unvollkommenſte
Hauptklaſſe des Pflanzenreichs, die Abtheilung der Tange oder
Algen fuͤr uns von ganz beſonderer Bedeutung ſein. Dazu kommt
noch das hohe Jntereſſe, welches uns dieſe Hauptklaſſe, auch an ſich
betrachtet, gewaͤhrt. Trotz ihrer hoͤchſt einfachen Zuſammenſetzung
aus gleichartigen oder nur wenig differenzirten Zellen zeigen die Tange
dennoch eine außerordentliche Mannichfaltigkeit verſchiedener Formen.
Einerſeits gehoͤren dazu die einfachſten und unvollkommenſten aller
Gewaͤchſe, andrerſeits ſehr entwickelte und eigenthuͤmliche Geſtalten.
Ebenſo wie in der Vollkommenheit und Mannichfaltigkeit ihrer aͤuße-
ren Formbildung unterſcheiden ſich die verſchiedenen Algengruppen
auch in der Koͤrpergroͤße. Auf der tiefſten Stufe finden wir die win-
zig kleinen Protococcus-Arten, von denen mehrere Hunderttauſend auf
den Raum eines Stecknadelknopfs gehen. Auf der hoͤchſten Stufe
bewundern wir in den rieſenmaͤßigen Makrocyſten, welche eine Laͤnge
von 300—400 Fuß erreichen, die laͤngſten von allen Geſtalten des
Pflanzenreichs. Und wenn nicht aus dieſen Gruͤnden, ſo muͤßten die
Algen ſchon deßhalb unſere beſondere Aufmerkſamkeit erregen, weil
ſie die Anfaͤnge des Pflanzenlebens bilden und die Stammformen aller
uͤbrigen Pflanzengruppen enthalten, vorausgeſetzt daß unſere Hypo-
theſe von einem gemeinſamen Urſprung aller Pflanzengruppen richtig
iſt (Taf. II).
Leider werden die Meiſten von Jhnen ſich nur eine ſehr unvoll-
kommene Vorſtellung von dieſer hoͤchſt intereſſanten Hauptklaſſe des
Pflanzenreichs machen koͤnnen, weil Sie davon nur die verhaͤltniß-
maͤßig kleinen und einfachen Vertreter kennen werden, welche das ſuͤße
Waſſer bewohnen. Die ſchleimigen gruͤnen Waſſerfaͤden und Waſſer-
flocken in unſeren Teichen und Brunnentrogen, die hellgruͤnen Schleim-
uͤberzuͤge auf allerlei Holzwerk, welches laͤngere Zeit mit Waſſer in
Beruͤhrung war, die gelbgruͤnen ſchaumigen Schleimdecken auf den
Haeckel, Natuͤrliche Schoͤpfungsgeſchichte. 23
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/378>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.