Metamorphischer Zustand der ältesten neptunischen Schichten.
Zu den sehr bedeutenden und empfindlichen Lücken der paläonto- logischen Schöpfungsurkunde, welche durch die Anteperioden bedingt werden, kommen nun leider noch viele andere Umstände hinzu, welche den hohen Werth derselben außerordentlich verringern. Dahin gehört vor Allen der metamorphische Zustand der ältesten Schich- tengruppen, grade derjenigen, welche die Reste der ältesten Flora und Fauna, der Stammformen aller folgenden Organismen enthalten, und dadurch von ganz besonderem Jnteresse sein würden. Grade diese Gesteine, und zwar der größere Theil der primordialen oder ar- cholithischen Schichten, fast das ganze laurentische und ein großer Theil des cambrischen Systems enthalten gar keine kenntlichen Reste mehr, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil diese Schichten durch den Einfluß des feuerflüssigen Erdinnern nachträglich wieder verändert oder metamorphosirt worden sind. Durch die Hitze des glühenden Erdkerns sind diese tiefsten neptunischen Rindenschichten in ihrer ur- sprünglichen Schichtenstructur gänzlich verändert und in einen kry- stallinischen Zustand übergeführt worden. Dabei ging aber die Form der darin eingeschlossenen organischen Reste ganz verloren. Nur hie und da wurde sie durch einen glücklichen Zufall erhalten, wie es bei dem äl- testen bekannten Petrefacten, bei dem Eozoon canadense aus den un- tersten laurentischen Schichten der Fall ist. Jedoch können wir aus den Lagern von krystallinischer Kohle (Graphit) und krystallinischem Kalk (Marmor), welche sich in den metamorphischen Primordialgesteinen eingelagert finden, mit Sicherheit auf die frühere Anwesenheit von versteinerten Pflanzen- und Thierresten in denselben schließen.
Außerordentlich unvollständig wird unsere Schöpfungsurkunde durch den Umstand, daß erst ein sehr kleiner Theil der Erdoberfläche genauer geologisch untersucht ist, vorzugsweise England, Deutschland und Frankreich. Dagegen wissen wir nur sehr Wenig von den übri- gen Theilen Europas, von Rußland, Spanien, Jtalien, der Türkei. Hier sind uns nur einzelne Stellen der Erdrinde aufgeschlossen; der bei weitem größte Theil derselben ist uns unbekannt. Dasselbe gilt von Nordamerika und von Ostindien. Hier sind wenigstens einzelne
Metamorphiſcher Zuſtand der aͤlteſten neptuniſchen Schichten.
Zu den ſehr bedeutenden und empfindlichen Luͤcken der palaͤonto- logiſchen Schoͤpfungsurkunde, welche durch die Anteperioden bedingt werden, kommen nun leider noch viele andere Umſtaͤnde hinzu, welche den hohen Werth derſelben außerordentlich verringern. Dahin gehoͤrt vor Allen der metamorphiſche Zuſtand der aͤlteſten Schich- tengruppen, grade derjenigen, welche die Reſte der aͤlteſten Flora und Fauna, der Stammformen aller folgenden Organismen enthalten, und dadurch von ganz beſonderem Jntereſſe ſein wuͤrden. Grade dieſe Geſteine, und zwar der groͤßere Theil der primordialen oder ar- cholithiſchen Schichten, faſt das ganze laurentiſche und ein großer Theil des cambriſchen Syſtems enthalten gar keine kenntlichen Reſte mehr, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil dieſe Schichten durch den Einfluß des feuerfluͤſſigen Erdinnern nachtraͤglich wieder veraͤndert oder metamorphoſirt worden ſind. Durch die Hitze des gluͤhenden Erdkerns ſind dieſe tiefſten neptuniſchen Rindenſchichten in ihrer ur- ſpruͤnglichen Schichtenſtructur gaͤnzlich veraͤndert und in einen kry- ſtalliniſchen Zuſtand uͤbergefuͤhrt worden. Dabei ging aber die Form der darin eingeſchloſſenen organiſchen Reſte ganz verloren. Nur hie und da wurde ſie durch einen gluͤcklichen Zufall erhalten, wie es bei dem aͤl- teſten bekannten Petrefacten, bei dem Eozoon canadense aus den un- terſten laurentiſchen Schichten der Fall iſt. Jedoch koͤnnen wir aus den Lagern von kryſtalliniſcher Kohle (Graphit) und kryſtalliniſchem Kalk (Marmor), welche ſich in den metamorphiſchen Primordialgeſteinen eingelagert finden, mit Sicherheit auf die fruͤhere Anweſenheit von verſteinerten Pflanzen- und Thierreſten in denſelben ſchließen.
Außerordentlich unvollſtaͤndig wird unſere Schoͤpfungsurkunde durch den Umſtand, daß erſt ein ſehr kleiner Theil der Erdoberflaͤche genauer geologiſch unterſucht iſt, vorzugsweiſe England, Deutſchland und Frankreich. Dagegen wiſſen wir nur ſehr Wenig von den uͤbri- gen Theilen Europas, von Rußland, Spanien, Jtalien, der Tuͤrkei. Hier ſind uns nur einzelne Stellen der Erdrinde aufgeſchloſſen; der bei weitem groͤßte Theil derſelben iſt uns unbekannt. Daſſelbe gilt von Nordamerika und von Oſtindien. Hier ſind wenigſtens einzelne
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Metamorphiſcher Zuſtand der aͤlteſten neptuniſchen Schichten.
Zu den ſehr bedeutenden und empfindlichen Luͤcken der palaͤonto-
logiſchen Schoͤpfungsurkunde, welche durch die Anteperioden bedingt
werden, kommen nun leider noch viele andere Umſtaͤnde hinzu, welche
den hohen Werth derſelben außerordentlich verringern. Dahin gehoͤrt
vor Allen der metamorphiſche Zuſtand der aͤlteſten Schich-
tengruppen, grade derjenigen, welche die Reſte der aͤlteſten Flora
und Fauna, der Stammformen aller folgenden Organismen enthalten,
und dadurch von ganz beſonderem Jntereſſe ſein wuͤrden. Grade
dieſe Geſteine, und zwar der groͤßere Theil der primordialen oder ar-
cholithiſchen Schichten, faſt das ganze laurentiſche und ein großer Theil
des cambriſchen Syſtems enthalten gar keine kenntlichen Reſte mehr,
und zwar aus dem einfachen Grunde, weil dieſe Schichten durch den
Einfluß des feuerfluͤſſigen Erdinnern nachtraͤglich wieder veraͤndert
oder metamorphoſirt worden ſind. Durch die Hitze des gluͤhenden
Erdkerns ſind dieſe tiefſten neptuniſchen Rindenſchichten in ihrer ur-
ſpruͤnglichen Schichtenſtructur gaͤnzlich veraͤndert und in einen kry-
ſtalliniſchen Zuſtand uͤbergefuͤhrt worden. Dabei ging aber die Form
der darin eingeſchloſſenen organiſchen Reſte ganz verloren. Nur hie und
da wurde ſie durch einen gluͤcklichen Zufall erhalten, wie es bei dem aͤl-
teſten bekannten Petrefacten, bei dem Eozoon canadense aus den un-
terſten laurentiſchen Schichten der Fall iſt. Jedoch koͤnnen wir aus
den Lagern von kryſtalliniſcher Kohle (Graphit) und kryſtalliniſchem Kalk
(Marmor), welche ſich in den metamorphiſchen Primordialgeſteinen
eingelagert finden, mit Sicherheit auf die fruͤhere Anweſenheit von
verſteinerten Pflanzen- und Thierreſten in denſelben ſchließen.
Außerordentlich unvollſtaͤndig wird unſere Schoͤpfungsurkunde
durch den Umſtand, daß erſt ein ſehr kleiner Theil der Erdoberflaͤche
genauer geologiſch unterſucht iſt, vorzugsweiſe England, Deutſchland
und Frankreich. Dagegen wiſſen wir nur ſehr Wenig von den uͤbri-
gen Theilen Europas, von Rußland, Spanien, Jtalien, der Tuͤrkei.
Hier ſind uns nur einzelne Stellen der Erdrinde aufgeſchloſſen; der
bei weitem groͤßte Theil derſelben iſt uns unbekannt. Daſſelbe gilt
von Nordamerika und von Oſtindien. Hier ſind wenigſtens einzelne
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/333>, abgerufen am 27.11.2024.
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