gend ist, um die unendliche Mannichfaltigkeit der verschiedenen, schein- bar zweckmäßig nach einem Bauplane organisirten Thiere und Pflan- zen mechanisch zu erzeugen. Jnzwischen wird sich Jhnen schon wie- derholt die Frage aufgedrängt haben: Wie entstanden aber nun die ersten Organismen, oder der eine ursprüngliche Stammorganismus, von welchem wir alle übrigen ableiten?
Diese Frage hat Lamarck2) durch die Hypothese der Urzeu- gung oder Archigonie beantwortet. Darwin dagegen geht über dieselbe hinweg, indem er ausdrücklich hervorhebt, daß er "Nichts mit dem Ursprung der geistigen Grundkräfte, noch mit dem des Lebens selbst zu schaffen habe." Am Schlusse seines Werkes spricht er sich dar- über bestimmter in folgenden Worten aus: "Jch nehme an, daß wahrscheinlich alle organischen Wesen, die jemals auf dieser Erde ge- lebt, von irgend einer urform abstammen, welcher das Leben zuerst vom Schöpfer eingehaucht worden ist." Außerdem beruft sich Dar- win zur Beruhigung derjenigen, welche in der Descendenztheorie den Untergang der ganzen "sittlichen Weltordnung" erblicken, auf einen berühmten Schriftsteller und Geistlichen, welcher ihm geschrieben hatte: "Er habe allmählich einsehen gelernt, daß es eine ebenso er- habene Vorstellung von der Gottheit sei, zu glauben, daß sie nur einige wenige der Selbstentwickelung in andere und nothwendige For- men fähige Urtypen geschaffen, als daß sie immer wieder neue Schö- pfungsacte nöthig gehabt habe, um die Lücken auszufüllen, welche durch die Wirkung ihrer eigenen Gesetze entstanden seien." Diejenigen, denen der Glaube an eine übernatürliche Schöpfung ein Gemüths- bedürfniß ist, können sich bei dieser Vorstellung beruhigen. Sie können jenen Glauben mit der Descendenztheorie vereinbaren; denn sie kön- nen in der Erschaffung eines einzigen ursprünglichen Organismus, der die Fähigkeit besaß, alle übrigen durch Vererbung und Anpassung aus sich zu entwickeln, wirklich weit mehr Erfindungskraft und Weis- heit des Schöpfers bewundern, als in der unabhängigen Erschaffung der verschiedenen Arten.
Entſtehung der erſten Organismen.
gend iſt, um die unendliche Mannichfaltigkeit der verſchiedenen, ſchein- bar zweckmaͤßig nach einem Bauplane organiſirten Thiere und Pflan- zen mechaniſch zu erzeugen. Jnzwiſchen wird ſich Jhnen ſchon wie- derholt die Frage aufgedraͤngt haben: Wie entſtanden aber nun die erſten Organismen, oder der eine urſpruͤngliche Stammorganismus, von welchem wir alle uͤbrigen ableiten?
Dieſe Frage hat Lamarck2) durch die Hypotheſe der Urzeu- gung oder Archigonie beantwortet. Darwin dagegen geht uͤber dieſelbe hinweg, indem er ausdruͤcklich hervorhebt, daß er „Nichts mit dem Urſprung der geiſtigen Grundkraͤfte, noch mit dem des Lebens ſelbſt zu ſchaffen habe.“ Am Schluſſe ſeines Werkes ſpricht er ſich dar- uͤber beſtimmter in folgenden Worten aus: „Jch nehme an, daß wahrſcheinlich alle organiſchen Weſen, die jemals auf dieſer Erde ge- lebt, von irgend einer urform abſtammen, welcher das Leben zuerſt vom Schoͤpfer eingehaucht worden iſt.“ Außerdem beruft ſich Dar- win zur Beruhigung derjenigen, welche in der Deſcendenztheorie den Untergang der ganzen „ſittlichen Weltordnung“ erblicken, auf einen beruͤhmten Schriftſteller und Geiſtlichen, welcher ihm geſchrieben hatte: „Er habe allmaͤhlich einſehen gelernt, daß es eine ebenſo er- habene Vorſtellung von der Gottheit ſei, zu glauben, daß ſie nur einige wenige der Selbſtentwickelung in andere und nothwendige For- men faͤhige Urtypen geſchaffen, als daß ſie immer wieder neue Schoͤ- pfungsacte noͤthig gehabt habe, um die Luͤcken auszufuͤllen, welche durch die Wirkung ihrer eigenen Geſetze entſtanden ſeien.“ Diejenigen, denen der Glaube an eine uͤbernatuͤrliche Schoͤpfung ein Gemuͤths- beduͤrfniß iſt, koͤnnen ſich bei dieſer Vorſtellung beruhigen. Sie koͤnnen jenen Glauben mit der Deſcendenztheorie vereinbaren; denn ſie koͤn- nen in der Erſchaffung eines einzigen urſpruͤnglichen Organismus, der die Faͤhigkeit beſaß, alle uͤbrigen durch Vererbung und Anpaſſung aus ſich zu entwickeln, wirklich weit mehr Erfindungskraft und Weis- heit des Schoͤpfers bewundern, als in der unabhaͤngigen Erſchaffung der verſchiedenen Arten.
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Entſtehung der erſten Organismen.
gend iſt, um die unendliche Mannichfaltigkeit der verſchiedenen, ſchein-
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zen mechaniſch zu erzeugen. Jnzwiſchen wird ſich Jhnen ſchon wie-
derholt die Frage aufgedraͤngt haben: Wie entſtanden aber nun die
erſten Organismen, oder der eine urſpruͤngliche Stammorganismus,
von welchem wir alle uͤbrigen ableiten?
Dieſe Frage hat Lamarck 2) durch die Hypotheſe der Urzeu-
gung oder Archigonie beantwortet. Darwin dagegen geht
uͤber dieſelbe hinweg, indem er ausdruͤcklich hervorhebt, daß er „Nichts
mit dem Urſprung der geiſtigen Grundkraͤfte, noch mit dem des Lebens
ſelbſt zu ſchaffen habe.“ Am Schluſſe ſeines Werkes ſpricht er ſich dar-
uͤber beſtimmter in folgenden Worten aus: „Jch nehme an, daß
wahrſcheinlich alle organiſchen Weſen, die jemals auf dieſer Erde ge-
lebt, von irgend einer urform abſtammen, welcher das Leben zuerſt
vom Schoͤpfer eingehaucht worden iſt.“ Außerdem beruft ſich Dar-
win zur Beruhigung derjenigen, welche in der Deſcendenztheorie den
Untergang der ganzen „ſittlichen Weltordnung“ erblicken, auf einen
beruͤhmten Schriftſteller und Geiſtlichen, welcher ihm geſchrieben
hatte: „Er habe allmaͤhlich einſehen gelernt, daß es eine ebenſo er-
habene Vorſtellung von der Gottheit ſei, zu glauben, daß ſie nur
einige wenige der Selbſtentwickelung in andere und nothwendige For-
men faͤhige Urtypen geſchaffen, als daß ſie immer wieder neue Schoͤ-
pfungsacte noͤthig gehabt habe, um die Luͤcken auszufuͤllen, welche
durch die Wirkung ihrer eigenen Geſetze entſtanden ſeien.“ Diejenigen,
denen der Glaube an eine uͤbernatuͤrliche Schoͤpfung ein Gemuͤths-
beduͤrfniß iſt, koͤnnen ſich bei dieſer Vorſtellung beruhigen. Sie koͤnnen
jenen Glauben mit der Deſcendenztheorie vereinbaren; denn ſie koͤn-
nen in der Erſchaffung eines einzigen urſpruͤnglichen Organismus, der
die Faͤhigkeit beſaß, alle uͤbrigen durch Vererbung und Anpaſſung
aus ſich zu entwickeln, wirklich weit mehr Erfindungskraft und Weis-
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/285>, abgerufen am 28.11.2024.
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