Niedere conservative und höhere progressive Gruppen.
reihe, weil diese selbst wiederum der paläontologischen parallel ist. Wenn zwei Parallelen einer dritten parallel sind, so müssen sie auch unter einander parallel sein.
Die mannichfaltige Differenzirung und der ungleiche Grad von Vervollkommnung, welchen die vergleichende Anatomie in der Ent- wickelungsreihe des Systems nachweist, ist wesentlich bedingt durch die zunehmende Mannichfaltigkeit der Existenzbedingungen, denen sich die verschiedenen Gruppen im Kampf um das Dasein anpaßten, und durch den verschiedenen Grad von Schnelligkeit und Vollständigkeit, mit welchem diese Anpassung geschah. Die conservativen Gruppen, welche die ererbten Eigenthümlichkeiten am zähesten festhielten, blieben in Folge dessen auf der tiefsten und rohesten Entwickelungsstufe stehen. Die am schnellsten und vielseitigsten fortschreitenden Gruppen, welche sich den vervollkommneten Existenzbedingungen am bereitwilligsten an- paßten, erreichten selbst den höchsten Vollkommenheitsgrad. Je weiter sich die organische Welt im Laufe der Erdgeschichte entwickelte, desto mehr mußte diese Divergenz der niederen conservativen und der hö- heren progressiven Gruppen werden, wie das ja eben so auch aus der Völkergeschichte ersichtlich ist. Hieraus erklärt sich auch die histori- sche Thatsache, daß die vollkommensten Thier- und Pflanzengruppen sich verhältnißmäßig in kurzer Zeit zu sehr bedeutender Höhe entwickelt haben, während die niedrigsten, conservativsten Gruppen durch alle Zeiten hindurch auf der ursprünglichen, rohesten Stufe stehen geblieben, oder nur sehr langsam und allmählich etwas fortgeschritten sind. Auch die Ahnenreihe des Menschen zeigt dies Verhältniß deutlich. Die Haifische der Jetztzeit stehen den Urfischen, welche zu den ältesten Wirbelthierahnen des Menschen gehören, noch sehr nahe, ebenso die heutigen niedersten Amphibien (Kiemenmolche und Salamander) den Amphibien, welche sich aus jenen zunächst entwickelten. Und ebenso sind unter den späteren Vorfahren des Menschen die Beutelthiere, die ältesten Säugethiere, zugleich die unvollkommensten Thiere dieser Klasse, die heute noch leben. Die uns bekannten Gesetze der Verer- bung uud Anpassung genügen vollständig, um diese äußerst wichtige
Niedere conſervative und hoͤhere progreſſive Gruppen.
reihe, weil dieſe ſelbſt wiederum der palaͤontologiſchen parallel iſt. Wenn zwei Parallelen einer dritten parallel ſind, ſo muͤſſen ſie auch unter einander parallel ſein.
Die mannichfaltige Differenzirung und der ungleiche Grad von Vervollkommnung, welchen die vergleichende Anatomie in der Ent- wickelungsreihe des Syſtems nachweiſt, iſt weſentlich bedingt durch die zunehmende Mannichfaltigkeit der Exiſtenzbedingungen, denen ſich die verſchiedenen Gruppen im Kampf um das Daſein anpaßten, und durch den verſchiedenen Grad von Schnelligkeit und Vollſtaͤndigkeit, mit welchem dieſe Anpaſſung geſchah. Die conſervativen Gruppen, welche die ererbten Eigenthuͤmlichkeiten am zaͤheſten feſthielten, blieben in Folge deſſen auf der tiefſten und roheſten Entwickelungsſtufe ſtehen. Die am ſchnellſten und vielſeitigſten fortſchreitenden Gruppen, welche ſich den vervollkommneten Exiſtenzbedingungen am bereitwilligſten an- paßten, erreichten ſelbſt den hoͤchſten Vollkommenheitsgrad. Je weiter ſich die organiſche Welt im Laufe der Erdgeſchichte entwickelte, deſto mehr mußte dieſe Divergenz der niederen conſervativen und der hoͤ- heren progreſſiven Gruppen werden, wie das ja eben ſo auch aus der Voͤlkergeſchichte erſichtlich iſt. Hieraus erklaͤrt ſich auch die hiſtori- ſche Thatſache, daß die vollkommenſten Thier- und Pflanzengruppen ſich verhaͤltnißmaͤßig in kurzer Zeit zu ſehr bedeutender Hoͤhe entwickelt haben, waͤhrend die niedrigſten, conſervativſten Gruppen durch alle Zeiten hindurch auf der urſpruͤnglichen, roheſten Stufe ſtehen geblieben, oder nur ſehr langſam und allmaͤhlich etwas fortgeſchritten ſind. Auch die Ahnenreihe des Menſchen zeigt dies Verhaͤltniß deutlich. Die Haifiſche der Jetztzeit ſtehen den Urfiſchen, welche zu den aͤlteſten Wirbelthierahnen des Menſchen gehoͤren, noch ſehr nahe, ebenſo die heutigen niederſten Amphibien (Kiemenmolche und Salamander) den Amphibien, welche ſich aus jenen zunaͤchſt entwickelten. Und ebenſo ſind unter den ſpaͤteren Vorfahren des Menſchen die Beutelthiere, die aͤlteſten Saͤugethiere, zugleich die unvollkommenſten Thiere dieſer Klaſſe, die heute noch leben. Die uns bekannten Geſetze der Verer- bung uud Anpaſſung genuͤgen vollſtaͤndig, um dieſe aͤußerſt wichtige
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Niedere conſervative und hoͤhere progreſſive Gruppen.
reihe, weil dieſe ſelbſt wiederum der palaͤontologiſchen parallel iſt.
Wenn zwei Parallelen einer dritten parallel ſind, ſo muͤſſen ſie auch
unter einander parallel ſein.
Die mannichfaltige Differenzirung und der ungleiche Grad von
Vervollkommnung, welchen die vergleichende Anatomie in der Ent-
wickelungsreihe des Syſtems nachweiſt, iſt weſentlich bedingt durch
die zunehmende Mannichfaltigkeit der Exiſtenzbedingungen, denen ſich
die verſchiedenen Gruppen im Kampf um das Daſein anpaßten, und
durch den verſchiedenen Grad von Schnelligkeit und Vollſtaͤndigkeit,
mit welchem dieſe Anpaſſung geſchah. Die conſervativen Gruppen,
welche die ererbten Eigenthuͤmlichkeiten am zaͤheſten feſthielten, blieben
in Folge deſſen auf der tiefſten und roheſten Entwickelungsſtufe ſtehen.
Die am ſchnellſten und vielſeitigſten fortſchreitenden Gruppen, welche
ſich den vervollkommneten Exiſtenzbedingungen am bereitwilligſten an-
paßten, erreichten ſelbſt den hoͤchſten Vollkommenheitsgrad. Je weiter
ſich die organiſche Welt im Laufe der Erdgeſchichte entwickelte, deſto
mehr mußte dieſe Divergenz der niederen conſervativen und der hoͤ-
heren progreſſiven Gruppen werden, wie das ja eben ſo auch aus
der Voͤlkergeſchichte erſichtlich iſt. Hieraus erklaͤrt ſich auch die hiſtori-
ſche Thatſache, daß die vollkommenſten Thier- und Pflanzengruppen
ſich verhaͤltnißmaͤßig in kurzer Zeit zu ſehr bedeutender Hoͤhe entwickelt
haben, waͤhrend die niedrigſten, conſervativſten Gruppen durch alle
Zeiten hindurch auf der urſpruͤnglichen, roheſten Stufe ſtehen geblieben,
oder nur ſehr langſam und allmaͤhlich etwas fortgeſchritten ſind. Auch
die Ahnenreihe des Menſchen zeigt dies Verhaͤltniß deutlich. Die
Haifiſche der Jetztzeit ſtehen den Urfiſchen, welche zu den aͤlteſten
Wirbelthierahnen des Menſchen gehoͤren, noch ſehr nahe, ebenſo die
heutigen niederſten Amphibien (Kiemenmolche und Salamander) den
Amphibien, welche ſich aus jenen zunaͤchſt entwickelten. Und ebenſo
ſind unter den ſpaͤteren Vorfahren des Menſchen die Beutelthiere, die
aͤlteſten Saͤugethiere, zugleich die unvollkommenſten Thiere dieſer
Klaſſe, die heute noch leben. Die uns bekannten Geſetze der Verer-
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/281>, abgerufen am 24.11.2024.
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