Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.Parallelismus der individuellen und der paläontologischen Entwickelung. verdienen dabei die Gesetze unsere Beachtung, welche wir früher alsdie Gesetze der abgekürzten, der gleichzeitlichen und der gleichörtlichen Vererbung erläutert haben. Jndem sich ein so hochstehender und verwickelter Organismus, wie es der menschliche oder der Organismus jedes anderen Säugethiers ist, von jener einfachen Zellenstufe an aufwärts erhebt, indem er fortschreitet in seiner Differenzirung und Vervollkommnung, durchläuft er die- selbe Reihe von Umbildungen, welche seine thierischen Ahnen vor un- denklichen Zeiten, während ungeheurer Zeiträume durchlaufen haben. Schon früher habe ich auf diesen äußerst wichtigen Parallelismus der individuellen und Stammesentwickelung hingewiesen (S. 9). Gewisse, sehr frühe und tief stehende Entwickelungsstadien des Menschen und der höheren Wirbelthiere überhaupt entsprechen durchaus gewissen Bil- dungen, welche zeitlebens bei niederen Fischen fortdauern. Es folgt dann eine Umbildung des fischähnlichen Körpers zu einem amphibien- artigen. Viel später erst entwickelt sich aus diesem der Säugethier- körper mit seinen bestimmten Charakteren, und man kann hier wie- der in den auf einander folgenden Entwickelungsstadien eine Reihe von Stufen fortschreitender Umbildung erkennen, welche offenbar den Verschiedenheiten verschiedener Säugethierordnungen und Familien entsprechen. Jn derselben Reihenfolge sehen wir aber auch die Vor- fahren des Menschen und der höheren Säugethiere in der Erdge- schichte nach einander auftreten: zuerst Fische, dann Amphibien, spä- ter niedere und zuletzt erst höhere Säugethiere. Hier ist also die embryonale Entwickelung des Jndividuums durchaus parallel der pa- läontologischen Entwickelung des ganzen zugehörigen Stammes; und diese äußerst interessante und wichtige Erscheinung ist einzig und allein durch Darwin's Selectionstheorie, durch die Wechselwirkung der Vererbungs- und Anpassungsgesetze zu erklären. Das zuletzt angeführte Beispiel von dem Parallelismus der pa- Parallelismus der individuellen und der palaͤontologiſchen Entwickelung. verdienen dabei die Geſetze unſere Beachtung, welche wir fruͤher alsdie Geſetze der abgekuͤrzten, der gleichzeitlichen und der gleichoͤrtlichen Vererbung erlaͤutert haben. Jndem ſich ein ſo hochſtehender und verwickelter Organismus, wie es der menſchliche oder der Organismus jedes anderen Saͤugethiers iſt, von jener einfachen Zellenſtufe an aufwaͤrts erhebt, indem er fortſchreitet in ſeiner Differenzirung und Vervollkommnung, durchlaͤuft er die- ſelbe Reihe von Umbildungen, welche ſeine thieriſchen Ahnen vor un- denklichen Zeiten, waͤhrend ungeheurer Zeitraͤume durchlaufen haben. Schon fruͤher habe ich auf dieſen aͤußerſt wichtigen Parallelismus der individuellen und Stammesentwickelung hingewieſen (S. 9). Gewiſſe, ſehr fruͤhe und tief ſtehende Entwickelungsſtadien des Menſchen und der hoͤheren Wirbelthiere uͤberhaupt entſprechen durchaus gewiſſen Bil- dungen, welche zeitlebens bei niederen Fiſchen fortdauern. Es folgt dann eine Umbildung des fiſchaͤhnlichen Koͤrpers zu einem amphibien- artigen. Viel ſpaͤter erſt entwickelt ſich aus dieſem der Saͤugethier- koͤrper mit ſeinen beſtimmten Charakteren, und man kann hier wie- der in den auf einander folgenden Entwickelungsſtadien eine Reihe von Stufen fortſchreitender Umbildung erkennen, welche offenbar den Verſchiedenheiten verſchiedener Saͤugethierordnungen und Familien entſprechen. Jn derſelben Reihenfolge ſehen wir aber auch die Vor- fahren des Menſchen und der hoͤheren Saͤugethiere in der Erdge- ſchichte nach einander auftreten: zuerſt Fiſche, dann Amphibien, ſpaͤ- ter niedere und zuletzt erſt hoͤhere Saͤugethiere. Hier iſt alſo die embryonale Entwickelung des Jndividuums durchaus parallel der pa- laͤontologiſchen Entwickelung des ganzen zugehoͤrigen Stammes; und dieſe aͤußerſt intereſſante und wichtige Erſcheinung iſt einzig und allein durch Darwin’s Selectionstheorie, durch die Wechſelwirkung der Vererbungs- und Anpaſſungsgeſetze zu erklaͤren. Das zuletzt angefuͤhrte Beiſpiel von dem Parallelismus der pa- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0279" n="254"/><fw place="top" type="header">Parallelismus der individuellen und der palaͤontologiſchen Entwickelung.</fw><lb/> verdienen dabei die Geſetze unſere Beachtung, welche wir fruͤher als<lb/><hi rendition="#g">die Geſetze der abgekuͤrzten, der gleichzeitlichen und<lb/> der gleichoͤrtlichen Vererbung</hi> erlaͤutert haben. 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Parallelismus der individuellen und der palaͤontologiſchen Entwickelung.
verdienen dabei die Geſetze unſere Beachtung, welche wir fruͤher als
die Geſetze der abgekuͤrzten, der gleichzeitlichen und
der gleichoͤrtlichen Vererbung erlaͤutert haben. Jndem ſich
ein ſo hochſtehender und verwickelter Organismus, wie es der
menſchliche oder der Organismus jedes anderen Saͤugethiers iſt, von
jener einfachen Zellenſtufe an aufwaͤrts erhebt, indem er fortſchreitet
in ſeiner Differenzirung und Vervollkommnung, durchlaͤuft er die-
ſelbe Reihe von Umbildungen, welche ſeine thieriſchen Ahnen vor un-
denklichen Zeiten, waͤhrend ungeheurer Zeitraͤume durchlaufen haben.
Schon fruͤher habe ich auf dieſen aͤußerſt wichtigen Parallelismus der
individuellen und Stammesentwickelung hingewieſen (S. 9). Gewiſſe,
ſehr fruͤhe und tief ſtehende Entwickelungsſtadien des Menſchen und
der hoͤheren Wirbelthiere uͤberhaupt entſprechen durchaus gewiſſen Bil-
dungen, welche zeitlebens bei niederen Fiſchen fortdauern. Es folgt
dann eine Umbildung des fiſchaͤhnlichen Koͤrpers zu einem amphibien-
artigen. Viel ſpaͤter erſt entwickelt ſich aus dieſem der Saͤugethier-
koͤrper mit ſeinen beſtimmten Charakteren, und man kann hier wie-
der in den auf einander folgenden Entwickelungsſtadien eine Reihe
von Stufen fortſchreitender Umbildung erkennen, welche offenbar den
Verſchiedenheiten verſchiedener Saͤugethierordnungen und Familien
entſprechen. Jn derſelben Reihenfolge ſehen wir aber auch die Vor-
fahren des Menſchen und der hoͤheren Saͤugethiere in der Erdge-
ſchichte nach einander auftreten: zuerſt Fiſche, dann Amphibien, ſpaͤ-
ter niedere und zuletzt erſt hoͤhere Saͤugethiere. Hier iſt alſo die
embryonale Entwickelung des Jndividuums durchaus parallel der pa-
laͤontologiſchen Entwickelung des ganzen zugehoͤrigen Stammes; und
dieſe aͤußerſt intereſſante und wichtige Erſcheinung iſt einzig und allein
durch Darwin’s Selectionstheorie, durch die Wechſelwirkung der
Vererbungs- und Anpaſſungsgeſetze zu erklaͤren.
Das zuletzt angefuͤhrte Beiſpiel von dem Parallelismus der pa-
laͤontologiſchen und der individuellen Entwickelungsreihe lenkt nun
unſere Aufmerkſamkeit noch auf eine dritte Entwickelungsreihe, welche
zu dieſen beiden in den innigſten Beziehungen ſteht und denſelben
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