Bedeutung der Abstammungslehre für die Anthropologie.
nismen (Zoologie und Botanik), und die Anorganologie oder Wissenschaft von den Anorganen (Mineralogie und Meteorologie).
Der unschätzbare Werth der Abstammungslehre für die Biologie liegt also, wie bemerkt, darin, daß sie uns die Entstehung der organi- schen Formen auf mechanischem Wege erklärt, und deren wirkende Ur- sachen nachweist. So hoch man aber auch mit Recht dieses Verdienst der Descendenztheorie anschlagen mag, so tritt dasselbe doch fast zurück vor der unermeßlichen Bedeutung, welche eine einzige nothwendige Folgerung derselben für sich allein in Anspruch nimmt. Diese noth- wendige und unvermeidliche Folgerung ist die Lehre von der thierischen Abstammung des Menschengeschlechts.
Die Bestimmung der Stellung des Menschen in der Natur und seiner Beziehungen zur Gesammtheit der Dinge, diese Frage aller Fragen für die Menschheit, wie sie Huxley mit Recht nennt, wird durch jene Erkenntniß der thierischen Abstammung des Menschenge- schlechts endgültig gelöst. Wir gelangen also in Folge der von Dar- win reformirten Descendenztheorie zum ersten Male in die Lage, eine natürliche Entwickelungsgeschichte des Menschenge- schlechts wissenschaftlich begründen zu können. Sowohl alle Ver- theidiger, als alle denkenden Gegner Darwins haben anerkannt, daß die Abstammung des Menschengeschlechts zunächst von affenartigen Säugethieren, weiterhin aber von niederen Wirbelthieren, mit Noth- wendigkeit aus seiner Theorie folgt.
Allerdings hat Darwin diese wichtigste von allen Folgerungen seiner Lehre nicht selbst ausgesprochen. Jn seinem ganzen Buche fin- det sich kein Wort von der thierischen Abstammung des Menschen. Offenbar ging der eben so vorsichtige als kühne Naturforscher absicht- lich mit Stillschweigen darüber hinweg, weil er voraussah, daß dieser bedeutendste von allen Folgeschlüssen der Abstammungslehre zugleich das bedeutendste Hinderniß für die Verbreitung und Anerkennung derselben sein werde. Gewiß hätte Darwins Buch von Anfang an noch weit mehr Widerspruch und Aergerniß erregt, wenn sogleich diese wichtigste Konsequenz darin klar ausgesprochen worden wäre.
Bedeutung der Abſtammungslehre fuͤr die Anthropologie.
nismen (Zoologie und Botanik), und die Anorganologie oder Wiſſenſchaft von den Anorganen (Mineralogie und Meteorologie).
Der unſchaͤtzbare Werth der Abſtammungslehre fuͤr die Biologie liegt alſo, wie bemerkt, darin, daß ſie uns die Entſtehung der organi- ſchen Formen auf mechaniſchem Wege erklaͤrt, und deren wirkende Ur- ſachen nachweiſt. So hoch man aber auch mit Recht dieſes Verdienſt der Deſcendenztheorie anſchlagen mag, ſo tritt daſſelbe doch faſt zuruͤck vor der unermeßlichen Bedeutung, welche eine einzige nothwendige Folgerung derſelben fuͤr ſich allein in Anſpruch nimmt. Dieſe noth- wendige und unvermeidliche Folgerung iſt die Lehre von der thieriſchen Abſtammung des Menſchengeſchlechts.
Die Beſtimmung der Stellung des Menſchen in der Natur und ſeiner Beziehungen zur Geſammtheit der Dinge, dieſe Frage aller Fragen fuͤr die Menſchheit, wie ſie Huxley mit Recht nennt, wird durch jene Erkenntniß der thieriſchen Abſtammung des Menſchenge- ſchlechts endguͤltig geloͤſt. Wir gelangen alſo in Folge der von Dar- win reformirten Deſcendenztheorie zum erſten Male in die Lage, eine natuͤrliche Entwickelungsgeſchichte des Menſchenge- ſchlechts wiſſenſchaftlich begruͤnden zu koͤnnen. Sowohl alle Ver- theidiger, als alle denkenden Gegner Darwins haben anerkannt, daß die Abſtammung des Menſchengeſchlechts zunaͤchſt von affenartigen Saͤugethieren, weiterhin aber von niederen Wirbelthieren, mit Noth- wendigkeit aus ſeiner Theorie folgt.
Allerdings hat Darwin dieſe wichtigſte von allen Folgerungen ſeiner Lehre nicht ſelbſt ausgeſprochen. Jn ſeinem ganzen Buche fin- det ſich kein Wort von der thieriſchen Abſtammung des Menſchen. Offenbar ging der eben ſo vorſichtige als kuͤhne Naturforſcher abſicht- lich mit Stillſchweigen daruͤber hinweg, weil er vorausſah, daß dieſer bedeutendſte von allen Folgeſchluͤſſen der Abſtammungslehre zugleich das bedeutendſte Hinderniß fuͤr die Verbreitung und Anerkennung derſelben ſein werde. Gewiß haͤtte Darwins Buch von Anfang an noch weit mehr Widerſpruch und Aergerniß erregt, wenn ſogleich dieſe wichtigſte Konſequenz darin klar ausgeſprochen worden waͤre.
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Bedeutung der Abſtammungslehre fuͤr die Anthropologie.
nismen (Zoologie und Botanik), und die Anorganologie oder
Wiſſenſchaft von den Anorganen (Mineralogie und Meteorologie).
Der unſchaͤtzbare Werth der Abſtammungslehre fuͤr die Biologie
liegt alſo, wie bemerkt, darin, daß ſie uns die Entſtehung der organi-
ſchen Formen auf mechaniſchem Wege erklaͤrt, und deren wirkende Ur-
ſachen nachweiſt. So hoch man aber auch mit Recht dieſes Verdienſt
der Deſcendenztheorie anſchlagen mag, ſo tritt daſſelbe doch faſt zuruͤck
vor der unermeßlichen Bedeutung, welche eine einzige nothwendige
Folgerung derſelben fuͤr ſich allein in Anſpruch nimmt. Dieſe noth-
wendige und unvermeidliche Folgerung iſt die Lehre von der
thieriſchen Abſtammung des Menſchengeſchlechts.
Die Beſtimmung der Stellung des Menſchen in der Natur und
ſeiner Beziehungen zur Geſammtheit der Dinge, dieſe Frage aller
Fragen fuͤr die Menſchheit, wie ſie Huxley mit Recht nennt, wird
durch jene Erkenntniß der thieriſchen Abſtammung des Menſchenge-
ſchlechts endguͤltig geloͤſt. Wir gelangen alſo in Folge der von Dar-
win reformirten Deſcendenztheorie zum erſten Male in die Lage, eine
natuͤrliche Entwickelungsgeſchichte des Menſchenge-
ſchlechts wiſſenſchaftlich begruͤnden zu koͤnnen. Sowohl alle Ver-
theidiger, als alle denkenden Gegner Darwins haben anerkannt, daß
die Abſtammung des Menſchengeſchlechts zunaͤchſt von affenartigen
Saͤugethieren, weiterhin aber von niederen Wirbelthieren, mit Noth-
wendigkeit aus ſeiner Theorie folgt.
Allerdings hat Darwin dieſe wichtigſte von allen Folgerungen
ſeiner Lehre nicht ſelbſt ausgeſprochen. Jn ſeinem ganzen Buche fin-
det ſich kein Wort von der thieriſchen Abſtammung des Menſchen.
Offenbar ging der eben ſo vorſichtige als kuͤhne Naturforſcher abſicht-
lich mit Stillſchweigen daruͤber hinweg, weil er vorausſah, daß dieſer
bedeutendſte von allen Folgeſchluͤſſen der Abſtammungslehre zugleich
das bedeutendſte Hinderniß fuͤr die Verbreitung und Anerkennung
derſelben ſein werde. Gewiß haͤtte Darwins Buch von Anfang
an noch weit mehr Widerſpruch und Aergerniß erregt, wenn ſogleich
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/26>, abgerufen am 22.11.2024.
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