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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Unterbrochene oder latente Vererbung. Generationswechsel.
es körperliche Eigenschaften, z. B. Gesichtszüge, Haarfarbe, Körper-
größe, bald geistige Eigenheiten, z. B. Temperament, Energie,
Verstand, welche in dieser Art sprungweise vererbt werden. Ebenso
wie beim Menschen können Sie diese Thatsache bei den Hausthieren
beobachten. Bei den am meisten veränderlichen Hausthieren, beim
Hund, Pferd, Rind, machen die Thierzüchter sehr häufig die Erfah-
rung, daß ihr Züchtungsproduct mehr dem großelterlichen, als dem
elterlichen Organismus ähnlich ist. Wollen Sie dies Gesetz allgemein
ausdrücken, und die Reihe der Generationen mit den Buchstaben des
Alphabets bezeichnen, so wird A = C = E, ferner B = D = F u. s. f.

Noch viel auffallender, als bei den höheren, tritt Jhnen bei den
niederen Thieren und Pflanzen diese sehr merkwürdige Thatsache ent-
gegen, und zwar in dem berühmten Phänomen des Generations-
wechsels
(Metagenesis). Hier finden Sie sehr häufig z. B. unter
den Plattwürmern, Mantelthieren, Pflanzenthieren (Coelenteraten),
ferner unter den Farrnkräutern und Moosen, daß das organische Jn-
dividuum bei der Fortpflanzung zunächst eine Form erzeugt, die gänz-
lich von der Elternform verschieden ist, und daß erst die Nachkommen
dieser Generation der ersten wieder ähnlich werden. Dieser regelmä-
ßige Generationswechsel wurde 1819 von dem Dichter Chamisso
auf seiner Weltumsegelung bei den Salpen entdeckt, cylindrischen und
glasartig durchsichtigen Mantelthieren, welche an der Oberfläche des
Meeres schwimmen. Hier erzeugt die größere Generation, welche
als Einsiedler lebt und ein hufeisenförmiges Auge besitzt, auf unge-
schlechtlichem Wege (durch Knospenbildung) eine gänzlich verschiedene
kleinere Generation. Die Jndividuen dieser zweiten kleineren Gene-
ration leben in Ketten vereinigt und besitzen ein kegelförmiges Auge.
Jedes Jndividuum einer solchen Kette erzeugt auf geschlechtlichem Wege
(als Zwitter) wiederum einen geschlechtslosen Einsiedler der ersten, grö-
ßeren Generation. Es ist also hier bei den Salpen immer die erste,
dritte, fünfte Generation, und ebenso die zweite, vierte, sechste Ge-
neration einander ganz ähnlich. Nun ist es aber nicht immer bloß
eine Generation, die so überschlagen wird, sondern in andern Fällen

Haeckel, Natürliche Schöpfungsgeschichte. 11

Unterbrochene oder latente Vererbung. Generationswechſel.
es koͤrperliche Eigenſchaften, z. B. Geſichtszuͤge, Haarfarbe, Koͤrper-
groͤße, bald geiſtige Eigenheiten, z. B. Temperament, Energie,
Verſtand, welche in dieſer Art ſprungweiſe vererbt werden. Ebenſo
wie beim Menſchen koͤnnen Sie dieſe Thatſache bei den Hausthieren
beobachten. Bei den am meiſten veraͤnderlichen Hausthieren, beim
Hund, Pferd, Rind, machen die Thierzuͤchter ſehr haͤufig die Erfah-
rung, daß ihr Zuͤchtungsproduct mehr dem großelterlichen, als dem
elterlichen Organismus aͤhnlich iſt. Wollen Sie dies Geſetz allgemein
ausdruͤcken, und die Reihe der Generationen mit den Buchſtaben des
Alphabets bezeichnen, ſo wird A = C = E, ferner B = D = F u. ſ. f.

Noch viel auffallender, als bei den hoͤheren, tritt Jhnen bei den
niederen Thieren und Pflanzen dieſe ſehr merkwuͤrdige Thatſache ent-
gegen, und zwar in dem beruͤhmten Phaͤnomen des Generations-
wechſels
(Metagenesis). Hier finden Sie ſehr haͤufig z. B. unter
den Plattwuͤrmern, Mantelthieren, Pflanzenthieren (Coelenteraten),
ferner unter den Farrnkraͤutern und Mooſen, daß das organiſche Jn-
dividuum bei der Fortpflanzung zunaͤchſt eine Form erzeugt, die gaͤnz-
lich von der Elternform verſchieden iſt, und daß erſt die Nachkommen
dieſer Generation der erſten wieder aͤhnlich werden. Dieſer regelmaͤ-
ßige Generationswechſel wurde 1819 von dem Dichter Chamiſſo
auf ſeiner Weltumſegelung bei den Salpen entdeckt, cylindriſchen und
glasartig durchſichtigen Mantelthieren, welche an der Oberflaͤche des
Meeres ſchwimmen. Hier erzeugt die groͤßere Generation, welche
als Einſiedler lebt und ein hufeiſenfoͤrmiges Auge beſitzt, auf unge-
ſchlechtlichem Wege (durch Knospenbildung) eine gaͤnzlich verſchiedene
kleinere Generation. Die Jndividuen dieſer zweiten kleineren Gene-
ration leben in Ketten vereinigt und beſitzen ein kegelfoͤrmiges Auge.
Jedes Jndividuum einer ſolchen Kette erzeugt auf geſchlechtlichem Wege
(als Zwitter) wiederum einen geſchlechtsloſen Einſiedler der erſten, groͤ-
ßeren Generation. Es iſt alſo hier bei den Salpen immer die erſte,
dritte, fuͤnfte Generation, und ebenſo die zweite, vierte, ſechste Ge-
neration einander ganz aͤhnlich. Nun iſt es aber nicht immer bloß
eine Generation, die ſo uͤberſchlagen wird, ſondern in andern Faͤllen

Haeckel, Natuͤrliche Schoͤpfungsgeſchichte. 11
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[161/0182] Unterbrochene oder latente Vererbung. Generationswechſel. es koͤrperliche Eigenſchaften, z. B. Geſichtszuͤge, Haarfarbe, Koͤrper- groͤße, bald geiſtige Eigenheiten, z. B. Temperament, Energie, Verſtand, welche in dieſer Art ſprungweiſe vererbt werden. Ebenſo wie beim Menſchen koͤnnen Sie dieſe Thatſache bei den Hausthieren beobachten. Bei den am meiſten veraͤnderlichen Hausthieren, beim Hund, Pferd, Rind, machen die Thierzuͤchter ſehr haͤufig die Erfah- rung, daß ihr Zuͤchtungsproduct mehr dem großelterlichen, als dem elterlichen Organismus aͤhnlich iſt. Wollen Sie dies Geſetz allgemein ausdruͤcken, und die Reihe der Generationen mit den Buchſtaben des Alphabets bezeichnen, ſo wird A = C = E, ferner B = D = F u. ſ. f. Noch viel auffallender, als bei den hoͤheren, tritt Jhnen bei den niederen Thieren und Pflanzen dieſe ſehr merkwuͤrdige Thatſache ent- gegen, und zwar in dem beruͤhmten Phaͤnomen des Generations- wechſels (Metagenesis). Hier finden Sie ſehr haͤufig z. B. unter den Plattwuͤrmern, Mantelthieren, Pflanzenthieren (Coelenteraten), ferner unter den Farrnkraͤutern und Mooſen, daß das organiſche Jn- dividuum bei der Fortpflanzung zunaͤchſt eine Form erzeugt, die gaͤnz- lich von der Elternform verſchieden iſt, und daß erſt die Nachkommen dieſer Generation der erſten wieder aͤhnlich werden. Dieſer regelmaͤ- ßige Generationswechſel wurde 1819 von dem Dichter Chamiſſo auf ſeiner Weltumſegelung bei den Salpen entdeckt, cylindriſchen und glasartig durchſichtigen Mantelthieren, welche an der Oberflaͤche des Meeres ſchwimmen. Hier erzeugt die groͤßere Generation, welche als Einſiedler lebt und ein hufeiſenfoͤrmiges Auge beſitzt, auf unge- ſchlechtlichem Wege (durch Knospenbildung) eine gaͤnzlich verſchiedene kleinere Generation. Die Jndividuen dieſer zweiten kleineren Gene- ration leben in Ketten vereinigt und beſitzen ein kegelfoͤrmiges Auge. Jedes Jndividuum einer ſolchen Kette erzeugt auf geſchlechtlichem Wege (als Zwitter) wiederum einen geſchlechtsloſen Einſiedler der erſten, groͤ- ßeren Generation. Es iſt alſo hier bei den Salpen immer die erſte, dritte, fuͤnfte Generation, und ebenſo die zweite, vierte, ſechste Ge- neration einander ganz aͤhnlich. Nun iſt es aber nicht immer bloß eine Generation, die ſo uͤberſchlagen wird, ſondern in andern Faͤllen Haeckel, Natuͤrliche Schoͤpfungsgeſchichte. 11

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/182>, abgerufen am 26.11.2024.