Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite

Menschen mit vier, sechs oder sieben Fingern und Zehen.
ten Krankheiten und bei ganz ungewöhnlichen und unregelmäßigen
(monströsen) Abweichungen von der gewöhnlichen Körperbildung.

Unter diesen Fällen von Vererbung monströser Abänderungen
sind besonders lehrreich diejenigen, welche eine abnorme Vermehrung
oder Verminderung der Fünfzahl der menschlichen Finger und Zehen
betreffen. Es kommen nicht selten menschliche Familien vor, in denen
mehrere Generationen hindurch 6 Finger an jeder Hand oder 6 Zehen
an jedem Fuße beobachtet werden. Seltener sind die Beispiele von Sie-
benzahl oder von Vierzahl der Finger und Zehen, die ebenfalls Gene-
rationen hindurch vererbt wird. Jn diesen Fällen geht die unge-
wöhnliche Bildung immer zuerst von einem einzigen Jndividuum aus,
welches aus unbekannten Ursachen mit einem Ueberschuß über die ge-
wöhnliche Fünfzahl der Finger und Zehen geboren wird und diesen
durch Vererbung auf einen Theil seiner Nachkommen überträgt. Jn
einer und derselben Familie kann man die Sechszahl der Finger und
Zehen durch drei, vier und mehr Generationen hindurch verfolgen.
Jn einer spanischen Familie waren nicht weniger als 40 Jndividuen
durch diese Ueberzahl ausgezeichnet. Jn allen Fällen ist die Verer-
bung der sechsten überzähligen Zehe oder des sechsten Fingers nicht
bleibend und durchgreifend, weil die sechsfingerigen Menschen sich
immer wieder mit fünffingerigen vermischen. Würde eine sechsfinge-
rige Familie sich in reiner Jnzucht fortpflanzen, würden sechsfingerige
Männer immer nur sechsfingerige Frauen heirathen, so würde durch
Fixirung dieses Characters eine besondere sechsfingerige Menschenart
entstehen. Da aber die sechsfingerigen Männer immer fünffingerige
Frauen heirathen, und umgekehrt, so zeigt ihre Nachkommenschaft
meistens sehr gemischte Zahlenverhältnisse und schlägt schließlich nach
Verlauf einiger Generationen wieder in die normale Fünfzahl zurück.
So können z. B. von 8 Kindern eines sechsfingerigen Vaters und einer
fünffingerigen Mutter 3 Kinder an allen Händen und Füßen 6 Finger
und 6 Zehen haben, 3 Kinder auf der einen Seite 5, auf der andern
6, und zwei Kinder überall die gewöhnliche Fünfzahl. Jn einer spa-
nischen Familie hatten sämmtliche Kinder bis auf das Jüngste an

Menſchen mit vier, ſechs oder ſieben Fingern und Zehen.
ten Krankheiten und bei ganz ungewoͤhnlichen und unregelmaͤßigen
(monſtroͤſen) Abweichungen von der gewoͤhnlichen Koͤrperbildung.

Unter dieſen Faͤllen von Vererbung monſtroͤſer Abaͤnderungen
ſind beſonders lehrreich diejenigen, welche eine abnorme Vermehrung
oder Verminderung der Fuͤnfzahl der menſchlichen Finger und Zehen
betreffen. Es kommen nicht ſelten menſchliche Familien vor, in denen
mehrere Generationen hindurch 6 Finger an jeder Hand oder 6 Zehen
an jedem Fuße beobachtet werden. Seltener ſind die Beiſpiele von Sie-
benzahl oder von Vierzahl der Finger und Zehen, die ebenfalls Gene-
rationen hindurch vererbt wird. Jn dieſen Faͤllen geht die unge-
woͤhnliche Bildung immer zuerſt von einem einzigen Jndividuum aus,
welches aus unbekannten Urſachen mit einem Ueberſchuß uͤber die ge-
woͤhnliche Fuͤnfzahl der Finger und Zehen geboren wird und dieſen
durch Vererbung auf einen Theil ſeiner Nachkommen uͤbertraͤgt. Jn
einer und derſelben Familie kann man die Sechszahl der Finger und
Zehen durch drei, vier und mehr Generationen hindurch verfolgen.
Jn einer ſpaniſchen Familie waren nicht weniger als 40 Jndividuen
durch dieſe Ueberzahl ausgezeichnet. Jn allen Faͤllen iſt die Verer-
bung der ſechſten uͤberzaͤhligen Zehe oder des ſechſten Fingers nicht
bleibend und durchgreifend, weil die ſechsfingerigen Menſchen ſich
immer wieder mit fuͤnffingerigen vermiſchen. Wuͤrde eine ſechsfinge-
rige Familie ſich in reiner Jnzucht fortpflanzen, wuͤrden ſechsfingerige
Maͤnner immer nur ſechsfingerige Frauen heirathen, ſo wuͤrde durch
Fixirung dieſes Characters eine beſondere ſechsfingerige Menſchenart
entſtehen. Da aber die ſechsfingerigen Maͤnner immer fuͤnffingerige
Frauen heirathen, und umgekehrt, ſo zeigt ihre Nachkommenſchaft
meiſtens ſehr gemiſchte Zahlenverhaͤltniſſe und ſchlaͤgt ſchließlich nach
Verlauf einiger Generationen wieder in die normale Fuͤnfzahl zuruͤck.
So koͤnnen z. B. von 8 Kindern eines ſechsfingerigen Vaters und einer
fuͤnffingerigen Mutter 3 Kinder an allen Haͤnden und Fuͤßen 6 Finger
und 6 Zehen haben, 3 Kinder auf der einen Seite 5, auf der andern
6, und zwei Kinder uͤberall die gewoͤhnliche Fuͤnfzahl. Jn einer ſpa-
niſchen Familie hatten ſaͤmmtliche Kinder bis auf das Juͤngſte an

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0157" n="136"/><fw place="top" type="header">Men&#x017F;chen mit vier, &#x017F;echs oder &#x017F;ieben Fingern und Zehen.</fw><lb/>
ten Krankheiten und bei ganz ungewo&#x0364;hnlichen und unregelma&#x0364;ßigen<lb/>
(mon&#x017F;tro&#x0364;&#x017F;en) Abweichungen von der gewo&#x0364;hnlichen Ko&#x0364;rperbildung.</p><lb/>
        <p>Unter die&#x017F;en Fa&#x0364;llen von Vererbung mon&#x017F;tro&#x0364;&#x017F;er Aba&#x0364;nderungen<lb/>
&#x017F;ind be&#x017F;onders lehrreich diejenigen, welche eine abnorme Vermehrung<lb/>
oder Verminderung der Fu&#x0364;nfzahl der men&#x017F;chlichen Finger und Zehen<lb/>
betreffen. Es kommen nicht &#x017F;elten men&#x017F;chliche Familien vor, in denen<lb/>
mehrere Generationen hindurch 6 Finger an jeder Hand oder 6 Zehen<lb/>
an jedem Fuße beobachtet werden. Seltener &#x017F;ind die Bei&#x017F;piele von Sie-<lb/>
benzahl oder von Vierzahl der Finger und Zehen, die ebenfalls Gene-<lb/>
rationen hindurch vererbt wird. Jn die&#x017F;en Fa&#x0364;llen geht die unge-<lb/>
wo&#x0364;hnliche Bildung immer zuer&#x017F;t von einem einzigen Jndividuum aus,<lb/>
welches aus unbekannten Ur&#x017F;achen mit einem Ueber&#x017F;chuß u&#x0364;ber die ge-<lb/>
wo&#x0364;hnliche Fu&#x0364;nfzahl der Finger und Zehen geboren wird und die&#x017F;en<lb/>
durch Vererbung auf einen Theil &#x017F;einer Nachkommen u&#x0364;bertra&#x0364;gt. Jn<lb/>
einer und der&#x017F;elben Familie kann man die Sechszahl der Finger und<lb/>
Zehen durch drei, vier und mehr Generationen hindurch verfolgen.<lb/>
Jn einer &#x017F;pani&#x017F;chen Familie waren nicht weniger als 40 Jndividuen<lb/>
durch die&#x017F;e Ueberzahl ausgezeichnet. Jn allen Fa&#x0364;llen i&#x017F;t die Verer-<lb/>
bung der &#x017F;ech&#x017F;ten u&#x0364;berza&#x0364;hligen Zehe oder des &#x017F;ech&#x017F;ten Fingers nicht<lb/>
bleibend und durchgreifend, weil die &#x017F;echsfingerigen Men&#x017F;chen &#x017F;ich<lb/>
immer wieder mit fu&#x0364;nffingerigen vermi&#x017F;chen. Wu&#x0364;rde eine &#x017F;echsfinge-<lb/>
rige Familie &#x017F;ich in reiner Jnzucht fortpflanzen, wu&#x0364;rden &#x017F;echsfingerige<lb/>
Ma&#x0364;nner immer nur &#x017F;echsfingerige Frauen heirathen, &#x017F;o wu&#x0364;rde durch<lb/>
Fixirung die&#x017F;es Characters eine be&#x017F;ondere &#x017F;echsfingerige Men&#x017F;chenart<lb/>
ent&#x017F;tehen. Da aber die &#x017F;echsfingerigen Ma&#x0364;nner immer fu&#x0364;nffingerige<lb/>
Frauen heirathen, und umgekehrt, &#x017F;o zeigt ihre Nachkommen&#x017F;chaft<lb/>
mei&#x017F;tens &#x017F;ehr gemi&#x017F;chte Zahlenverha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e und &#x017F;chla&#x0364;gt &#x017F;chließlich nach<lb/>
Verlauf einiger Generationen wieder in die normale Fu&#x0364;nfzahl zuru&#x0364;ck.<lb/>
So ko&#x0364;nnen z. B. von 8 Kindern eines &#x017F;echsfingerigen Vaters und einer<lb/>
fu&#x0364;nffingerigen Mutter 3 Kinder an allen Ha&#x0364;nden und Fu&#x0364;ßen 6 Finger<lb/>
und 6 Zehen haben, 3 Kinder auf der einen Seite 5, auf der andern<lb/>
6, und zwei Kinder u&#x0364;berall die gewo&#x0364;hnliche Fu&#x0364;nfzahl. Jn einer &#x017F;pa-<lb/>
ni&#x017F;chen Familie hatten &#x017F;a&#x0364;mmtliche Kinder bis auf das Ju&#x0364;ng&#x017F;te an<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[136/0157] Menſchen mit vier, ſechs oder ſieben Fingern und Zehen. ten Krankheiten und bei ganz ungewoͤhnlichen und unregelmaͤßigen (monſtroͤſen) Abweichungen von der gewoͤhnlichen Koͤrperbildung. Unter dieſen Faͤllen von Vererbung monſtroͤſer Abaͤnderungen ſind beſonders lehrreich diejenigen, welche eine abnorme Vermehrung oder Verminderung der Fuͤnfzahl der menſchlichen Finger und Zehen betreffen. Es kommen nicht ſelten menſchliche Familien vor, in denen mehrere Generationen hindurch 6 Finger an jeder Hand oder 6 Zehen an jedem Fuße beobachtet werden. Seltener ſind die Beiſpiele von Sie- benzahl oder von Vierzahl der Finger und Zehen, die ebenfalls Gene- rationen hindurch vererbt wird. Jn dieſen Faͤllen geht die unge- woͤhnliche Bildung immer zuerſt von einem einzigen Jndividuum aus, welches aus unbekannten Urſachen mit einem Ueberſchuß uͤber die ge- woͤhnliche Fuͤnfzahl der Finger und Zehen geboren wird und dieſen durch Vererbung auf einen Theil ſeiner Nachkommen uͤbertraͤgt. Jn einer und derſelben Familie kann man die Sechszahl der Finger und Zehen durch drei, vier und mehr Generationen hindurch verfolgen. Jn einer ſpaniſchen Familie waren nicht weniger als 40 Jndividuen durch dieſe Ueberzahl ausgezeichnet. Jn allen Faͤllen iſt die Verer- bung der ſechſten uͤberzaͤhligen Zehe oder des ſechſten Fingers nicht bleibend und durchgreifend, weil die ſechsfingerigen Menſchen ſich immer wieder mit fuͤnffingerigen vermiſchen. Wuͤrde eine ſechsfinge- rige Familie ſich in reiner Jnzucht fortpflanzen, wuͤrden ſechsfingerige Maͤnner immer nur ſechsfingerige Frauen heirathen, ſo wuͤrde durch Fixirung dieſes Characters eine beſondere ſechsfingerige Menſchenart entſtehen. Da aber die ſechsfingerigen Maͤnner immer fuͤnffingerige Frauen heirathen, und umgekehrt, ſo zeigt ihre Nachkommenſchaft meiſtens ſehr gemiſchte Zahlenverhaͤltniſſe und ſchlaͤgt ſchließlich nach Verlauf einiger Generationen wieder in die normale Fuͤnfzahl zuruͤck. So koͤnnen z. B. von 8 Kindern eines ſechsfingerigen Vaters und einer fuͤnffingerigen Mutter 3 Kinder an allen Haͤnden und Fuͤßen 6 Finger und 6 Zehen haben, 3 Kinder auf der einen Seite 5, auf der andern 6, und zwei Kinder uͤberall die gewoͤhnliche Fuͤnfzahl. Jn einer ſpa- niſchen Familie hatten ſaͤmmtliche Kinder bis auf das Juͤngſte an

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/157
Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/157>, abgerufen am 25.05.2024.