Selectionstheorie von Charles Darwin und Alfred Wallace.
theorie sich ausgedacht und aufgestellt hatte, und welcher 1858 die Grundzüge derselben an Darwin selbst einsendete, mit der Bitte, dieselben an Lyell zur Veröffentlichung in einem englischen Journal zu übergeben. Dieser Engländer ist Alfred Wallace, einer der kühn- sten und verdientesten naturwissenschaftlichen Reisenden der neueren Zeit. Jahre lang war Wallace allein in den Wildnissen der Sundainseln, in den dichten Urwäldern des indischen Archipels umhergestreift, und bei diesem unmittelbaren und umfassenden Studium eines der reichsten und interessantesten Erdstücke mit seiner höchst mannichfaltigen Thier- und Pflanzenwelt war er genau zu denselben allgemeinen Anschauun- gen über die Entstehung der organischen Arten, wie Darwin ge- langt. Lyell und Hooker, welche Beide Darwin's Arbeit seit langer Zeit kannten, veranlaßten ihn nun, einen kurzen Auszug aus seinen Manuscripten gleichzeitig mit dem eingesandten Manuscript von Wallace zu veröffentlichen, was auch im August 1858 im "Journal of the Linnean Society" geschah.
Jm November 1859 erschien dann das epochemachende Werk Darwin's "Ueber die Entstehung der Arten," in welchem die Selec- tionstheorie ausführlich begründet ist. Jedoch bezeichnet Darwin selbst dieses Buch, von welchem 1866 die vierte Auflage und 1860 eine deutsche Uebersetzung von Bronn erschien 1), nur als einen vor- läufigen Auszug aus einem größeren und ausführlicheren Werke, wel- ches in umfassender empirischer Beweisführung eine Masse von That- sachen zu Gunsten seiner Theorie enthalten soll. Der erste Theil dieses von Darwin in Aussicht gestellten Hauptwerkes ist vor Kurzem un- ter dem Titel: "Das Varüren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication" erschienen und von Victor Carus ins Deut- sche übersetzt worden 14). Er enthält eine reiche Fülle von den treff- lichsten Belegen für die außerordentlichen Veränderungen der orga- nischen Formen, welche der Mensch durch seine Cultur und künstliche Züchtung hervorbringen kann. So sehr wir auch Darwin für diesen Ueberfluß an beweisenden Thatsachen verbunden sind, so theilen wir doch keineswegs die Meinung jener Naturforscher, welche glauben, daß
Selectionstheorie von Charles Darwin und Alfred Wallace.
theorie ſich ausgedacht und aufgeſtellt hatte, und welcher 1858 die Grundzuͤge derſelben an Darwin ſelbſt einſendete, mit der Bitte, dieſelben an Lyell zur Veroͤffentlichung in einem engliſchen Journal zu uͤbergeben. Dieſer Englaͤnder iſt Alfred Wallace, einer der kuͤhn- ſten und verdienteſten naturwiſſenſchaftlichen Reiſenden der neueren Zeit. Jahre lang war Wallace allein in den Wildniſſen der Sundainſeln, in den dichten Urwaͤldern des indiſchen Archipels umhergeſtreift, und bei dieſem unmittelbaren und umfaſſenden Studium eines der reichſten und intereſſanteſten Erdſtuͤcke mit ſeiner hoͤchſt mannichfaltigen Thier- und Pflanzenwelt war er genau zu denſelben allgemeinen Anſchauun- gen uͤber die Entſtehung der organiſchen Arten, wie Darwin ge- langt. Lyell und Hooker, welche Beide Darwin’s Arbeit ſeit langer Zeit kannten, veranlaßten ihn nun, einen kurzen Auszug aus ſeinen Manuſcripten gleichzeitig mit dem eingeſandten Manuſcript von Wallace zu veroͤffentlichen, was auch im Auguſt 1858 im „Journal of the Linnean Society“ geſchah.
Jm November 1859 erſchien dann das epochemachende Werk Darwin’s „Ueber die Entſtehung der Arten,“ in welchem die Selec- tionstheorie ausfuͤhrlich begruͤndet iſt. Jedoch bezeichnet Darwin ſelbſt dieſes Buch, von welchem 1866 die vierte Auflage und 1860 eine deutſche Ueberſetzung von Bronn erſchien 1), nur als einen vor- laͤufigen Auszug aus einem groͤßeren und ausfuͤhrlicheren Werke, wel- ches in umfaſſender empiriſcher Beweisfuͤhrung eine Maſſe von That- ſachen zu Gunſten ſeiner Theorie enthalten ſoll. Der erſte Theil dieſes von Darwin in Ausſicht geſtellten Hauptwerkes iſt vor Kurzem un- ter dem Titel: „Das Varuͤren der Thiere und Pflanzen im Zuſtande der Domeſtication“ erſchienen und von Victor Carus ins Deut- ſche uͤberſetzt worden 14). Er enthaͤlt eine reiche Fuͤlle von den treff- lichſten Belegen fuͤr die außerordentlichen Veraͤnderungen der orga- niſchen Formen, welche der Menſch durch ſeine Cultur und kuͤnſtliche Zuͤchtung hervorbringen kann. So ſehr wir auch Darwin fuͤr dieſen Ueberfluß an beweiſenden Thatſachen verbunden ſind, ſo theilen wir doch keineswegs die Meinung jener Naturforſcher, welche glauben, daß
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Selectionstheorie von Charles Darwin und Alfred Wallace.
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Grundzuͤge derſelben an Darwin ſelbſt einſendete, mit der Bitte,
dieſelben an Lyell zur Veroͤffentlichung in einem engliſchen Journal zu
uͤbergeben. Dieſer Englaͤnder iſt Alfred Wallace, einer der kuͤhn-
ſten und verdienteſten naturwiſſenſchaftlichen Reiſenden der neueren Zeit.
Jahre lang war Wallace allein in den Wildniſſen der Sundainſeln,
in den dichten Urwaͤldern des indiſchen Archipels umhergeſtreift, und
bei dieſem unmittelbaren und umfaſſenden Studium eines der reichſten
und intereſſanteſten Erdſtuͤcke mit ſeiner hoͤchſt mannichfaltigen Thier-
und Pflanzenwelt war er genau zu denſelben allgemeinen Anſchauun-
gen uͤber die Entſtehung der organiſchen Arten, wie Darwin ge-
langt. Lyell und Hooker, welche Beide Darwin’s Arbeit ſeit
langer Zeit kannten, veranlaßten ihn nun, einen kurzen Auszug aus
ſeinen Manuſcripten gleichzeitig mit dem eingeſandten Manuſcript von
Wallace zu veroͤffentlichen, was auch im Auguſt 1858 im „Journal
of the Linnean Society“ geſchah.
Jm November 1859 erſchien dann das epochemachende Werk
Darwin’s „Ueber die Entſtehung der Arten,“ in welchem die Selec-
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ſelbſt dieſes Buch, von welchem 1866 die vierte Auflage und 1860
eine deutſche Ueberſetzung von Bronn erſchien 1), nur als einen vor-
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ches in umfaſſender empiriſcher Beweisfuͤhrung eine Maſſe von That-
ſachen zu Gunſten ſeiner Theorie enthalten ſoll. Der erſte Theil dieſes
von Darwin in Ausſicht geſtellten Hauptwerkes iſt vor Kurzem un-
ter dem Titel: „Das Varuͤren der Thiere und Pflanzen im Zuſtande
der Domeſtication“ erſchienen und von Victor Carus ins Deut-
ſche uͤberſetzt worden 14). Er enthaͤlt eine reiche Fuͤlle von den treff-
lichſten Belegen fuͤr die außerordentlichen Veraͤnderungen der orga-
niſchen Formen, welche der Menſch durch ſeine Cultur und kuͤnſtliche
Zuͤchtung hervorbringen kann. So ſehr wir auch Darwin fuͤr dieſen
Ueberfluß an beweiſenden Thatſachen verbunden ſind, ſo theilen wir
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/130>, abgerufen am 16.02.2025.
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