Lamarck's Ansicht von der Entwickelung des Menschengeschlechts.
lich die Organe ganz umgebildet. So richtig im Ganzen dieser Grund- gedanke ist, so legt doch Lamarck zu ausschließlich das Gewicht auf die Gewohnheit (Gebrauch und Nichtgebrauch der Organe), aller- dings eine der wichtigsten, aber nicht die einzige Ursache der Form- veränderung. Dies kann uns jedoch nicht hindern, anzuerkennen, daß Lamarck die Wechselwirkung der beiden organischen Bildungs- triebe, der Anpassung und Vererbung, ganz richtig begriff. Nur fehlte ihm dabei das äußerst wichtige Princip der "natürlichen Züch- tung im Kampfe um das Dasein", mit welchem Darwin uns erst 50 Jahre später bekannt machte.
Als ein besonderes Verdienst Lamarck's ist nun noch hervorzu- heben, daß er bereits versuchte, die Entwickelung des Men- schengeschlechts aus anderen, zunächst affenartigen Säugethieren darzuthun. Auch hier war es wieder in erster Linie die Gewohnheit, der er den umbildenden, veredelnden Einfluß zuschrieb. Er nahm also an, daß die niedersten, ursprünglichsten Urmenschen entstanden seien aus den menschenähnlichsten Affen, indem die letzteren sich an- gewöhnt hätten, aufrecht zu gehen. Die Erhebung des Rumpfes, das beständige Streben, sich aufrecht zu erhalten, führte zunächst zu einer Umbildung der Gliedmaßen, zu einer stärkeren Differenzirung oder Sonderung der vorderen und hinteren Extremitäten, welche mit Recht als einer der wesentlichsten Unterschiede zwischen Menschen und Affen gilt. Hinten entwickelten sich Waden und platte Fußsohlen, vorn Greifarme und Hände. Der aufrechte Gang hatte zunächst eine freiere Umschau über die Umgebung zur Folge, und damit einen be- deutenden Fortschritt in der geistigen Entwickelung. Die Menschen- affen erlangten dadurch bald ein großes Uebergewicht über die ande- ren Affen, und weiterhin überhaupt über die umgebenden Organismen. Um die Herrschaft über diese zu behaupten, thaten sie sich in Gesell- schaften zusammen, und es entwickelte sich, wie bei allen gesellig le- benden Thieren, das Bedürfniß einer Mittheilung ihrer Bestrebungen und Gedanken. So entstand das Bedürfniß der Sprache, deren an- fangs rohe, ungegliederte Laute bald mehr und mehr in Verbindung
Lamarck’s Anſicht von der Entwickelung des Menſchengeſchlechts.
lich die Organe ganz umgebildet. So richtig im Ganzen dieſer Grund- gedanke iſt, ſo legt doch Lamarck zu ausſchließlich das Gewicht auf die Gewohnheit (Gebrauch und Nichtgebrauch der Organe), aller- dings eine der wichtigſten, aber nicht die einzige Urſache der Form- veraͤnderung. Dies kann uns jedoch nicht hindern, anzuerkennen, daß Lamarck die Wechſelwirkung der beiden organiſchen Bildungs- triebe, der Anpaſſung und Vererbung, ganz richtig begriff. Nur fehlte ihm dabei das aͤußerſt wichtige Princip der „natuͤrlichen Zuͤch- tung im Kampfe um das Daſein“, mit welchem Darwin uns erſt 50 Jahre ſpaͤter bekannt machte.
Als ein beſonderes Verdienſt Lamarck’s iſt nun noch hervorzu- heben, daß er bereits verſuchte, die Entwickelung des Men- ſchengeſchlechts aus anderen, zunaͤchſt affenartigen Saͤugethieren darzuthun. Auch hier war es wieder in erſter Linie die Gewohnheit, der er den umbildenden, veredelnden Einfluß zuſchrieb. Er nahm alſo an, daß die niederſten, urſpruͤnglichſten Urmenſchen entſtanden ſeien aus den menſchenaͤhnlichſten Affen, indem die letzteren ſich an- gewoͤhnt haͤtten, aufrecht zu gehen. Die Erhebung des Rumpfes, das beſtaͤndige Streben, ſich aufrecht zu erhalten, fuͤhrte zunaͤchſt zu einer Umbildung der Gliedmaßen, zu einer ſtaͤrkeren Differenzirung oder Sonderung der vorderen und hinteren Extremitaͤten, welche mit Recht als einer der weſentlichſten Unterſchiede zwiſchen Menſchen und Affen gilt. Hinten entwickelten ſich Waden und platte Fußſohlen, vorn Greifarme und Haͤnde. Der aufrechte Gang hatte zunaͤchſt eine freiere Umſchau uͤber die Umgebung zur Folge, und damit einen be- deutenden Fortſchritt in der geiſtigen Entwickelung. Die Menſchen- affen erlangten dadurch bald ein großes Uebergewicht uͤber die ande- ren Affen, und weiterhin uͤberhaupt uͤber die umgebenden Organismen. Um die Herrſchaft uͤber dieſe zu behaupten, thaten ſie ſich in Geſell- ſchaften zuſammen, und es entwickelte ſich, wie bei allen geſellig le- benden Thieren, das Beduͤrfniß einer Mittheilung ihrer Beſtrebungen und Gedanken. So entſtand das Beduͤrfniß der Sprache, deren an- fangs rohe, ungegliederte Laute bald mehr und mehr in Verbindung
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Lamarck’s Anſicht von der Entwickelung des Menſchengeſchlechts.
lich die Organe ganz umgebildet. So richtig im Ganzen dieſer Grund-
gedanke iſt, ſo legt doch Lamarck zu ausſchließlich das Gewicht auf
die Gewohnheit (Gebrauch und Nichtgebrauch der Organe), aller-
dings eine der wichtigſten, aber nicht die einzige Urſache der Form-
veraͤnderung. Dies kann uns jedoch nicht hindern, anzuerkennen,
daß Lamarck die Wechſelwirkung der beiden organiſchen Bildungs-
triebe, der Anpaſſung und Vererbung, ganz richtig begriff. Nur
fehlte ihm dabei das aͤußerſt wichtige Princip der „natuͤrlichen Zuͤch-
tung im Kampfe um das Daſein“, mit welchem Darwin uns erſt 50
Jahre ſpaͤter bekannt machte.
Als ein beſonderes Verdienſt Lamarck’s iſt nun noch hervorzu-
heben, daß er bereits verſuchte, die Entwickelung des Men-
ſchengeſchlechts aus anderen, zunaͤchſt affenartigen Saͤugethieren
darzuthun. Auch hier war es wieder in erſter Linie die Gewohnheit,
der er den umbildenden, veredelnden Einfluß zuſchrieb. Er nahm
alſo an, daß die niederſten, urſpruͤnglichſten Urmenſchen entſtanden
ſeien aus den menſchenaͤhnlichſten Affen, indem die letzteren ſich an-
gewoͤhnt haͤtten, aufrecht zu gehen. Die Erhebung des Rumpfes,
das beſtaͤndige Streben, ſich aufrecht zu erhalten, fuͤhrte zunaͤchſt zu
einer Umbildung der Gliedmaßen, zu einer ſtaͤrkeren Differenzirung
oder Sonderung der vorderen und hinteren Extremitaͤten, welche mit
Recht als einer der weſentlichſten Unterſchiede zwiſchen Menſchen und
Affen gilt. Hinten entwickelten ſich Waden und platte Fußſohlen,
vorn Greifarme und Haͤnde. Der aufrechte Gang hatte zunaͤchſt eine
freiere Umſchau uͤber die Umgebung zur Folge, und damit einen be-
deutenden Fortſchritt in der geiſtigen Entwickelung. Die Menſchen-
affen erlangten dadurch bald ein großes Uebergewicht uͤber die ande-
ren Affen, und weiterhin uͤberhaupt uͤber die umgebenden Organismen.
Um die Herrſchaft uͤber dieſe zu behaupten, thaten ſie ſich in Geſell-
ſchaften zuſammen, und es entwickelte ſich, wie bei allen geſellig le-
benden Thieren, das Beduͤrfniß einer Mittheilung ihrer Beſtrebungen
und Gedanken. So entſtand das Beduͤrfniß der Sprache, deren an-
fangs rohe, ungegliederte Laute bald mehr und mehr in Verbindung
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/114>, abgerufen am 24.11.2024.
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