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Haeckel, Ernst: Die Perigenesis der Plastidule oder die Wellenerzeugung der Lebenstheilchen. Berlin, 1876.

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Abhandlung beziehen können. In der That überzeugt
uns jedes tiefere Nachdenken, dass ohne die Annahme
eines unbewussten Gedächtnisses der lebenden Ma¬
terie die wichtigsten Lebensfunctionen überhaupt unerklär¬
bar sind. Das Vermögen der Vorstellung und Begriff¬
bildung, des Denkens und Bewusstseins, der Uebung und
Gewöhnung, der Ernährung und Fortpflanzung beruht auf
der Function des unbewussten Gedächtnisses, dessen
Thätigkeit unendlich viel bedeutungsvoller ist, als die¬
jenige des bewussten Gedächtnisses. Mit Recht sagt
Hering, "dass es das Gedächtniss ist, dem wir fast Alles
verdanken, was wir sind und haben."

Nur in einem Punkte müssen wir von der Darstellung
Hering's abweichen oder vielmehr dieselbe schärfer be¬
grenzen. Wir dürfen das Gedächtniss nicht als eine all¬
gemeine Function aller organisirten Materie bezeichnen,
sondern nur der wirklich lebenden, des Plasson. Alle
Plasson-Producte, alle vom Protoplasma und vom Nucleus
gebildeten, selbst aber nicht activ thätigen, organisirten
Theile des Organismus entbehren des Gedächtnisses, eben
so wie alle anorganischen Materien. Genau genommen ist
also, unserer Plastiden-Theorie entsprechend, nur die
Gruppe der Plasson-Körper mit Gedächtniss begabt: nur
die Plastidule sind reproductiv
, und dieses unbe¬
wusste Gedächtniss der Plastidule bedingt die charakte¬
ristische Molecularbewegung derselben.

Die Unterschiede, welche das Gedächtniss oder die
Reproductionskraft der Plastidule zwischen Organismen
und Anorganen bedingt, äussern sich zunächst in der ver¬
schiedenen Art ihres Wachsthums und diese ist offenbar

Abhandlung beziehen können. In der That überzeugt
uns jedes tiefere Nachdenken, dass ohne die Annahme
eines unbewussten Gedächtnisses der lebenden Ma¬
terie die wichtigsten Lebensfunctionen überhaupt unerklär¬
bar sind. Das Vermögen der Vorstellung und Begriff¬
bildung, des Denkens und Bewusstseins, der Uebung und
Gewöhnung, der Ernährung und Fortpflanzung beruht auf
der Function des unbewussten Gedächtnisses, dessen
Thätigkeit unendlich viel bedeutungsvoller ist, als die¬
jenige des bewussten Gedächtnisses. Mit Recht sagt
Hering, „dass es das Gedächtniss ist, dem wir fast Alles
verdanken, was wir sind und haben.“

Nur in einem Punkte müssen wir von der Darstellung
Hering's abweichen oder vielmehr dieselbe schärfer be¬
grenzen. Wir dürfen das Gedächtniss nicht als eine all¬
gemeine Function aller organisirten Materie bezeichnen,
sondern nur der wirklich lebenden, des Plasson. Alle
Plasson-Producte, alle vom Protoplasma und vom Nucleus
gebildeten, selbst aber nicht activ thätigen, organisirten
Theile des Organismus entbehren des Gedächtnisses, eben
so wie alle anorganischen Materien. Genau genommen ist
also, unserer Plastiden-Theorie entsprechend, nur die
Gruppe der Plasson-Körper mit Gedächtniss begabt: nur
die Plastidule sind reproductiv
, und dieses unbe¬
wusste Gedächtniss der Plastidule bedingt die charakte¬
ristische Molecularbewegung derselben.

Die Unterschiede, welche das Gedächtniss oder die
Reproductionskraft der Plastidule zwischen Organismen
und Anorganen bedingt, äussern sich zunächst in der ver¬
schiedenen Art ihres Wachsthums und diese ist offenbar

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[41/0047] Abhandlung beziehen können. In der That überzeugt uns jedes tiefere Nachdenken, dass ohne die Annahme eines unbewussten Gedächtnisses der lebenden Ma¬ terie die wichtigsten Lebensfunctionen überhaupt unerklär¬ bar sind. Das Vermögen der Vorstellung und Begriff¬ bildung, des Denkens und Bewusstseins, der Uebung und Gewöhnung, der Ernährung und Fortpflanzung beruht auf der Function des unbewussten Gedächtnisses, dessen Thätigkeit unendlich viel bedeutungsvoller ist, als die¬ jenige des bewussten Gedächtnisses. Mit Recht sagt Hering, „dass es das Gedächtniss ist, dem wir fast Alles verdanken, was wir sind und haben.“ Nur in einem Punkte müssen wir von der Darstellung Hering's abweichen oder vielmehr dieselbe schärfer be¬ grenzen. Wir dürfen das Gedächtniss nicht als eine all¬ gemeine Function aller organisirten Materie bezeichnen, sondern nur der wirklich lebenden, des Plasson. Alle Plasson-Producte, alle vom Protoplasma und vom Nucleus gebildeten, selbst aber nicht activ thätigen, organisirten Theile des Organismus entbehren des Gedächtnisses, eben so wie alle anorganischen Materien. Genau genommen ist also, unserer Plastiden-Theorie entsprechend, nur die Gruppe der Plasson-Körper mit Gedächtniss begabt: nur die Plastidule sind reproductiv, und dieses unbe¬ wusste Gedächtniss der Plastidule bedingt die charakte¬ ristische Molecularbewegung derselben. Die Unterschiede, welche das Gedächtniss oder die Reproductionskraft der Plastidule zwischen Organismen und Anorganen bedingt, äussern sich zunächst in der ver¬ schiedenen Art ihres Wachsthums und diese ist offenbar

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Perigenesis der Plastidule oder die Wellenerzeugung der Lebenstheilchen. Berlin, 1876, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_plastidule_1876/47>, abgerufen am 19.04.2024.