Eintheilung der Morphologie in untergeordnete Wissenschaften.
den, sicher bestimmen, erfüllen sie ihren Zweck für die Geognosie und Geologie vollkommen.
Ganz anders und ungleich bedeutender ist das Interesse, welches die Biologie und ganz besonders die Morphologie an den Petrefacten haben muss. Sie vergleicht die Formenreihen der ausgestorbenen Or- ganismen unter einander und mit den jetzt lebenden, und entwirft sich daraus ein Bild von den ganz verschiedenen Floren und Faunen, welche im Verlaufe der Erdgeschichte auf der Oberfläche unseres Planeten nach einander erschienen sind. Freilich hatte diese Erkennt- niss der ausgestorbenen Organismen für die meisten Palaeontologen bisher nur ein ähnliches Interesse, wie die geographische Verbreitung der Thiere und Pflanzen in der Jetztzeit noch für die meisten Biologen besitzt. Man bewunderte die Mannichfaltigkeit und Seltsamkeit der zahlreichen Organismen-Formen, welche in der "Vorzeit" die Erdober- fläche belebt haben, man ergötzte sich an der abnormen Entwickelung einzelner Theile, an der riesenmässigen Grösse, welche Viele derselben zeigten, man beschäftigte seine Phantasie mit der Reconstruction der abenteuerlichen und fremdartigen Gestalten, deren Skelete uns allein erhalten sind. Aber nur den wenigsten Palaeontologen fiel es ein, den Grund und den gesetzlichen Zusammenhang dieser seltsamen Er- scheinungsreihen aufzusuchen, die Erkenntniss der Verwandtschaft der auf einander folgenden Gestaltenketten anzustreben, und eine zu- sammenhängende Entwickelungsgeschichte des Thier- und Pflanzen- lebens auf der Erde zu entwerfen.
Ihre eigentliche Bedeutung konnte freilich die Palaeontologie erst gewinnen, seitdem 1859 durch Darwin das Signal zu einer denken- den Erforschung und vergleichenden Betrachtung der organischen Ver- wandtschaften gegeben war, und seitdem von ihm in der Blutsver- wandtschaft zwischen den Thieren und Pflanzen aller Zeiten die entscheidende Lösung des "heiligen Räthsels" von der Aehnlichkeit der verschiedenen Gestalten gefunden war. Die von Darwin neu be- gründete Descendenztheorie verknüpft die unendliche Menge der ein- zelnen palaeontologischen Thatsachen durch den erleuchtenden Ge- danken ihres causalen genealogischen Zusammenhangs und findet dem- gemäss in der Palaeontologie die zeitliche Entwickelungsge- schichte der Organismen-Reihen. Wie wir im sechsten Buche zeigen werden, erlaubt uns die Summe der gesammten jetzt bekannten biologischen Thatsachen, und vor Allem die unschätzbare dreifache Parallele zwischen der palaeontologischen, embryologischen und syste- matischen Entwickelung den sicheren Schluss, dass alle jetzt lebenden Organismen und alle diejenigen, die zu irgend einer Zeit auf der Erde gelebt haben, die blutsverwandten Nachkommen von einer verhältniss- mässig geringen Anzahl spontan entstandener Stammformen sind. Wenn
Eintheilung der Morphologie in untergeordnete Wissenschaften.
den, sicher bestimmen, erfüllen sie ihren Zweck für die Geognosie und Geologie vollkommen.
Ganz anders und ungleich bedeutender ist das Interesse, welches die Biologie und ganz besonders die Morphologie an den Petrefacten haben muss. Sie vergleicht die Formenreihen der ausgestorbenen Or- ganismen unter einander und mit den jetzt lebenden, und entwirft sich daraus ein Bild von den ganz verschiedenen Floren und Faunen, welche im Verlaufe der Erdgeschichte auf der Oberfläche unseres Planeten nach einander erschienen sind. Freilich hatte diese Erkennt- niss der ausgestorbenen Organismen für die meisten Palaeontologen bisher nur ein ähnliches Interesse, wie die geographische Verbreitung der Thiere und Pflanzen in der Jetztzeit noch für die meisten Biologen besitzt. Man bewunderte die Mannichfaltigkeit und Seltsamkeit der zahlreichen Organismen-Formen, welche in der „Vorzeit“ die Erdober- fläche belebt haben, man ergötzte sich an der abnormen Entwickelung einzelner Theile, an der riesenmässigen Grösse, welche Viele derselben zeigten, man beschäftigte seine Phantasie mit der Reconstruction der abenteuerlichen und fremdartigen Gestalten, deren Skelete uns allein erhalten sind. Aber nur den wenigsten Palaeontologen fiel es ein, den Grund und den gesetzlichen Zusammenhang dieser seltsamen Er- scheinungsreihen aufzusuchen, die Erkenntniss der Verwandtschaft der auf einander folgenden Gestaltenketten anzustreben, und eine zu- sammenhängende Entwickelungsgeschichte des Thier- und Pflanzen- lebens auf der Erde zu entwerfen.
Ihre eigentliche Bedeutung konnte freilich die Palaeontologie erst gewinnen, seitdem 1859 durch Darwin das Signal zu einer denken- den Erforschung und vergleichenden Betrachtung der organischen Ver- wandtschaften gegeben war, und seitdem von ihm in der Blutsver- wandtschaft zwischen den Thieren und Pflanzen aller Zeiten die entscheidende Lösung des „heiligen Räthsels“ von der Aehnlichkeit der verschiedenen Gestalten gefunden war. Die von Darwin neu be- gründete Descendenztheorie verknüpft die unendliche Menge der ein- zelnen palaeontologischen Thatsachen durch den erleuchtenden Ge- danken ihres causalen genealogischen Zusammenhangs und findet dem- gemäss in der Palaeontologie die zeitliche Entwickelungsge- schichte der Organismen-Reihen. Wie wir im sechsten Buche zeigen werden, erlaubt uns die Summe der gesammten jetzt bekannten biologischen Thatsachen, und vor Allem die unschätzbare dreifache Parallele zwischen der palaeontologischen, embryologischen und syste- matischen Entwickelung den sicheren Schluss, dass alle jetzt lebenden Organismen und alle diejenigen, die zu irgend einer Zeit auf der Erde gelebt haben, die blutsverwandten Nachkommen von einer verhältniss- mässig geringen Anzahl spontan entstandener Stammformen sind. Wenn
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Eintheilung der Morphologie in untergeordnete Wissenschaften.
den, sicher bestimmen, erfüllen sie ihren Zweck für die Geognosie
und Geologie vollkommen.
Ganz anders und ungleich bedeutender ist das Interesse, welches
die Biologie und ganz besonders die Morphologie an den Petrefacten
haben muss. Sie vergleicht die Formenreihen der ausgestorbenen Or-
ganismen unter einander und mit den jetzt lebenden, und entwirft sich
daraus ein Bild von den ganz verschiedenen Floren und Faunen,
welche im Verlaufe der Erdgeschichte auf der Oberfläche unseres
Planeten nach einander erschienen sind. Freilich hatte diese Erkennt-
niss der ausgestorbenen Organismen für die meisten Palaeontologen
bisher nur ein ähnliches Interesse, wie die geographische Verbreitung
der Thiere und Pflanzen in der Jetztzeit noch für die meisten Biologen
besitzt. Man bewunderte die Mannichfaltigkeit und Seltsamkeit der
zahlreichen Organismen-Formen, welche in der „Vorzeit“ die Erdober-
fläche belebt haben, man ergötzte sich an der abnormen Entwickelung
einzelner Theile, an der riesenmässigen Grösse, welche Viele derselben
zeigten, man beschäftigte seine Phantasie mit der Reconstruction der
abenteuerlichen und fremdartigen Gestalten, deren Skelete uns allein
erhalten sind. Aber nur den wenigsten Palaeontologen fiel es ein,
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scheinungsreihen aufzusuchen, die Erkenntniss der Verwandtschaft
der auf einander folgenden Gestaltenketten anzustreben, und eine zu-
sammenhängende Entwickelungsgeschichte des Thier- und Pflanzen-
lebens auf der Erde zu entwerfen.
Ihre eigentliche Bedeutung konnte freilich die Palaeontologie erst
gewinnen, seitdem 1859 durch Darwin das Signal zu einer denken-
den Erforschung und vergleichenden Betrachtung der organischen Ver-
wandtschaften gegeben war, und seitdem von ihm in der Blutsver-
wandtschaft zwischen den Thieren und Pflanzen aller Zeiten die
entscheidende Lösung des „heiligen Räthsels“ von der Aehnlichkeit
der verschiedenen Gestalten gefunden war. Die von Darwin neu be-
gründete Descendenztheorie verknüpft die unendliche Menge der ein-
zelnen palaeontologischen Thatsachen durch den erleuchtenden Ge-
danken ihres causalen genealogischen Zusammenhangs und findet dem-
gemäss in der Palaeontologie die zeitliche Entwickelungsge-
schichte der Organismen-Reihen. Wie wir im sechsten Buche
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biologischen Thatsachen, und vor Allem die unschätzbare dreifache
Parallele zwischen der palaeontologischen, embryologischen und syste-
matischen Entwickelung den sicheren Schluss, dass alle jetzt lebenden
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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/97>, abgerufen am 24.11.2024.
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