Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.Eintheilung der Morphologie in untergeordnete Wissenschaften. und den meisten Phanerogamen, die Organentwickelung vorwiegend äusser-lich ist und an der Oberfläche des Körpers stattfindet, da ist eine Unter- suchung des inneren feinen Baues für die organologische (nicht histologische) Erkenntniss durchaus überflüssig. Aus diesem Grunde hat denn auch bei den Botanikern der Begriff der "Anatomie" die Bedeutung der "Histo- logie" gewonnen, während sie die "eigentliche Morphologie," d. h. die auf die äussere Form beschränkt bleibende Organologie jener inneren "Anatomie" (die sich aber bloss mit den Geweben, nicht mit den Organen beschäftigt) gegenüberstellen. So gelangt z. B. Schleiden zu dem Aus- spruche, dass, wenn man das Wort Anatomie in seiner eigentlichen, ur- sprünglichen Bedeutung nimmt, es gar keine Pflanzenanatomie giebt, oder doch nur höchstens bei den Fortpflanzungsorganen einiger weniger Pflan- zen. "Wenn wir aber Anatomie als die Lehre von den Organen ansehen, so wird dieselbe Wissenschaft bei den Thieren vorzugsweise eine Untersuchung des Inneren (Anatomie), bei den Pflanzen eine Be- trachtung des Aeusseren (Morphologie)." Indess lässt sich diese Unter- scheidung durchaus nicht streng durchführen. Wir dürften sonst auch bei den meisten Coelenteraten und insbesondere bei den Anthozoen und Hydroid- polypen nicht von Anatomie reden, ebenso nicht bei den meisten Protisten etc. Es ist allerdings richtig, dass, wenn wir unter Anatomie nicht bloss die durch Zergliederung, mit Messer und Pincette erworbenen Kenntnisse, son- dern die Gesammtwissenschaft von der vollendeten Form (äusseren Gestalt und innerem Bau) des Organismus verstehen, die ursprüngliche Bedeutung des Worts als "Zergliederungskunde" verloren geht. Allein mit wie unendlich vielen anderen Begriffen ist es ganz derselbe Fall! Brauchen wir ja doch die allermeisten wissenschaftlichen Begriffe nicht in ihrer ur- sprünglichen und eigentlichen, sondern in einer abgeleiteten und metaphori- schen Bedeutung! So hat sich z. B. der Begriff der Physiologie, der ursprünglich mit Biologie identisch war, gegenwärtig bedeutend durch die fortschreitende Arbeitstheilung in der wissenschaftlichen Praxis verengt. Umgekehrt hat sich in der letzteren thatsächlich der Begriff der Anatomie immer mehr erweitert, und wir dürfen, wenn wir den Begriff bestimmt um- schreiben und uns dabei an die gegebenen Verhältnisse möglichst anlehnen wollen, unter Anatomie nichts Anderes verstehen, als die gesammte Wis- senschaft von der vollendeten (inneren und äusseren) Form der Organismen. Dabei ist es vollkommen gleichgültig, ob wir dabei zergliedernd, oder ledig- lich beobachtend in das Geheimniss des inneren Baues eindringen, ob wir dabei Messer und Pincette, oder bloss Auge und Mikroskop verwenden. IV. Organologie und Histologie. Um unsere Eintheilung der Anatomie in Tectologie und Promorpho- Eintheilung der Morphologie in untergeordnete Wissenschaften. und den meisten Phanerogamen, die Organentwickelung vorwiegend äusser-lich ist und an der Oberfläche des Körpers stattfindet, da ist eine Unter- suchung des inneren feinen Baues für die organologische (nicht histologische) Erkenntniss durchaus überflüssig. Aus diesem Grunde hat denn auch bei den Botanikern der Begriff der „Anatomie“ die Bedeutung der „Histo- logie“ gewonnen, während sie die „eigentliche Morphologie,“ d. h. die auf die äussere Form beschränkt bleibende Organologie jener inneren „Anatomie“ (die sich aber bloss mit den Geweben, nicht mit den Organen beschäftigt) gegenüberstellen. So gelangt z. B. Schleiden zu dem Aus- spruche, dass, wenn man das Wort Anatomie in seiner eigentlichen, ur- sprünglichen Bedeutung nimmt, es gar keine Pflanzenanatomie giebt, oder doch nur höchstens bei den Fortpflanzungsorganen einiger weniger Pflan- zen. „Wenn wir aber Anatomie als die Lehre von den Organen ansehen, so wird dieselbe Wissenschaft bei den Thieren vorzugsweise eine Untersuchung des Inneren (Anatomie), bei den Pflanzen eine Be- trachtung des Aeusseren (Morphologie).“ Indess lässt sich diese Unter- scheidung durchaus nicht streng durchführen. Wir dürften sonst auch bei den meisten Coelenteraten und insbesondere bei den Anthozoen und Hydroid- polypen nicht von Anatomie reden, ebenso nicht bei den meisten Protisten etc. Es ist allerdings richtig, dass, wenn wir unter Anatomie nicht bloss die durch Zergliederung, mit Messer und Pincette erworbenen Kenntnisse, son- dern die Gesammtwissenschaft von der vollendeten Form (äusseren Gestalt und innerem Bau) des Organismus verstehen, die ursprüngliche Bedeutung des Worts als „Zergliederungskunde“ verloren geht. Allein mit wie unendlich vielen anderen Begriffen ist es ganz derselbe Fall! Brauchen wir ja doch die allermeisten wissenschaftlichen Begriffe nicht in ihrer ur- sprünglichen und eigentlichen, sondern in einer abgeleiteten und metaphori- schen Bedeutung! So hat sich z. B. der Begriff der Physiologie, der ursprünglich mit Biologie identisch war, gegenwärtig bedeutend durch die fortschreitende Arbeitstheilung in der wissenschaftlichen Praxis verengt. Umgekehrt hat sich in der letzteren thatsächlich der Begriff der Anatomie immer mehr erweitert, und wir dürfen, wenn wir den Begriff bestimmt um- schreiben und uns dabei an die gegebenen Verhältnisse möglichst anlehnen wollen, unter Anatomie nichts Anderes verstehen, als die gesammte Wis- senschaft von der vollendeten (inneren und äusseren) Form der Organismen. Dabei ist es vollkommen gleichgültig, ob wir dabei zergliedernd, oder ledig- lich beobachtend in das Geheimniss des inneren Baues eindringen, ob wir dabei Messer und Pincette, oder bloss Auge und Mikroskop verwenden. IV. Organologie und Histologie. Um unsere Eintheilung der Anatomie in Tectologie und Promorpho- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0081" n="42"/><fw place="top" type="header">Eintheilung der Morphologie in untergeordnete Wissenschaften.</fw><lb/> und den meisten Phanerogamen, die Organentwickelung vorwiegend äusser-<lb/> lich ist und an der Oberfläche des Körpers stattfindet, da ist eine Unter-<lb/> suchung des inneren feinen Baues für die organologische (nicht histologische)<lb/> Erkenntniss durchaus überflüssig. Aus diesem Grunde hat denn auch bei<lb/> den Botanikern der Begriff der „<hi rendition="#g">Anatomie</hi>“ die Bedeutung der „<hi rendition="#g">Histo-<lb/> logie</hi>“ gewonnen, während sie die „<hi rendition="#g">eigentliche Morphologie,</hi>“ d. h.<lb/> die auf die äussere Form beschränkt bleibende Organologie jener inneren<lb/> „Anatomie“ (die sich aber bloss mit den Geweben, nicht mit den Organen<lb/> beschäftigt) gegenüberstellen. So gelangt z. 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Eintheilung der Morphologie in untergeordnete Wissenschaften.
und den meisten Phanerogamen, die Organentwickelung vorwiegend äusser-
lich ist und an der Oberfläche des Körpers stattfindet, da ist eine Unter-
suchung des inneren feinen Baues für die organologische (nicht histologische)
Erkenntniss durchaus überflüssig. Aus diesem Grunde hat denn auch bei
den Botanikern der Begriff der „Anatomie“ die Bedeutung der „Histo-
logie“ gewonnen, während sie die „eigentliche Morphologie,“ d. h.
die auf die äussere Form beschränkt bleibende Organologie jener inneren
„Anatomie“ (die sich aber bloss mit den Geweben, nicht mit den Organen
beschäftigt) gegenüberstellen. So gelangt z. B. Schleiden zu dem Aus-
spruche, dass, wenn man das Wort Anatomie in seiner eigentlichen, ur-
sprünglichen Bedeutung nimmt, es gar keine Pflanzenanatomie giebt, oder
doch nur höchstens bei den Fortpflanzungsorganen einiger weniger Pflan-
zen. „Wenn wir aber Anatomie als die Lehre von den Organen
ansehen, so wird dieselbe Wissenschaft bei den Thieren vorzugsweise
eine Untersuchung des Inneren (Anatomie), bei den Pflanzen eine Be-
trachtung des Aeusseren (Morphologie).“ Indess lässt sich diese Unter-
scheidung durchaus nicht streng durchführen. Wir dürften sonst auch bei
den meisten Coelenteraten und insbesondere bei den Anthozoen und Hydroid-
polypen nicht von Anatomie reden, ebenso nicht bei den meisten Protisten etc.
Es ist allerdings richtig, dass, wenn wir unter Anatomie nicht bloss die
durch Zergliederung, mit Messer und Pincette erworbenen Kenntnisse, son-
dern die Gesammtwissenschaft von der vollendeten Form (äusseren Gestalt
und innerem Bau) des Organismus verstehen, die ursprüngliche Bedeutung
des Worts als „Zergliederungskunde“ verloren geht. Allein mit wie
unendlich vielen anderen Begriffen ist es ganz derselbe Fall! Brauchen
wir ja doch die allermeisten wissenschaftlichen Begriffe nicht in ihrer ur-
sprünglichen und eigentlichen, sondern in einer abgeleiteten und metaphori-
schen Bedeutung! So hat sich z. B. der Begriff der Physiologie, der
ursprünglich mit Biologie identisch war, gegenwärtig bedeutend durch die
fortschreitende Arbeitstheilung in der wissenschaftlichen Praxis verengt.
Umgekehrt hat sich in der letzteren thatsächlich der Begriff der Anatomie
immer mehr erweitert, und wir dürfen, wenn wir den Begriff bestimmt um-
schreiben und uns dabei an die gegebenen Verhältnisse möglichst anlehnen
wollen, unter Anatomie nichts Anderes verstehen, als die gesammte Wis-
senschaft von der vollendeten (inneren und äusseren) Form der Organismen.
Dabei ist es vollkommen gleichgültig, ob wir dabei zergliedernd, oder ledig-
lich beobachtend in das Geheimniss des inneren Baues eindringen, ob wir
dabei Messer und Pincette, oder bloss Auge und Mikroskop verwenden.
IV. Organologie und Histologie.
Um unsere Eintheilung der Anatomie in Tectologie und Promorpho-
logie zu rechtfertigen, ist es nöthig, die Unbrauchbarkeit und Unvoll-
ständigkeit der bisher üblichen Eintheilung der Anatomie nachzuweisen.
Wir können daher hier eine kurze Erörterung der letzteren nicht um-
gehen.
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