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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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System der organischen Grundformen.
solcher Weise hervortritt, dass die Gesammtform dadurch "un-
symmetrisch"
erscheint. Wir sagen absichtlich "äusserlich", denn
im inneren Baue finden sich Differenzen) und oft sehr beträchtliche
Differenzen!) zwischen rechter und linker Hälfte bei den allermeisten
Eudipleuren vor. Insbesondere sind es bei den höheren Thieren, und
namentlich bei den Wirbelthieren, die in inneren Höhlen eingeschlosse-
nen "Eingeweide", welche meistens in ihren unpaar vorhandenen
Theilen eine äusserst unsymmetrische Lagerung und Vertheilung auf
beide Hälften zeigen, so namentlich Herz, Magen Leber, Milz und
Pancreas bei den Wirbelthieren, Kiemen, Herz, Niere und Geschlechts-
organe bei den Schnecken u. s. w. Nicht selten kommt auch von
ursprünglich paarig angelegten Theilen der eine gar nicht zur Ent-
wickelung, wie z. B. der rechte Eierstock der Vögel und des Orni-
thorhynchus,
die eine von den beiden Lungen der Schlangen etc.
Da jedoch diese innere Asymmetrie auf die äussere Erscheinung der
gesammten dipleuren Körperform gar keinen Einfluss ausübt, so kön-
nen wir hier vollständig von derselben absehen.

Wenn wir demnach als Dysdipleure im engeren Sinne nur solche
dipleure organische Formen ansehen, bei welchen die Ungleichheit
der beiden Körperhälften in so auffallender Weise äusserlich hervor-
tritt, dass dadurch die Gesammtform asymmetrisch wird, so finden wir
dieselben fast überall nur als einzelne Ausnahmen in solchen Gruppen
von Organismen vor, deren allgemeine Grundform die eudipleure ist.
Von den Personen des Thierreichs sind hier vor Allen zu erwähnen
unter den Wirbelthieren die merkwürdige Fisch-Familie der Pleuro-
nectiden,
bei denen der Rumpf zwar ganz eudipleurisch, der Kopf
aber so schief entwickelt ist, dass beide Augen auf einer Seite, bald
rechts, bald links liegen; ferner unter den Säugethieren der Narwal-
Delphin (Monodon monoceros), bei welchem nur der linke Schneide-
zahn zum mächtigen Stosszahn entwickelt, der rechte dagegen ganz ver-
kümmert ist. Unter den Gliederfüssern sind besonders viele Crustaceen dys-
dipleurisch, namentlich parasitische Formen, ferner die Eremiten-Krebse
(Pagurus) deren weiches Abdomen sich dadurch unsymmetrisch ent-
wickelt hat, dass sie sich angewöhnt haben, dasselbe in einer spiral
gewundenen Schneckenschale zu verbergen; entsprechend sind auch
die beiden Scheeren sehr ungleich entwickelt (doch findet sich con-
stant sehr ungleiche Grösse der beiden Scheeren auch bei anderen
Decapoden, höchst auffallend bei Gelasimus). Am meisten zur Dys-
dipleuren-Entwickelung ist von allen Thiergruppen der Mollusken-
Stamm geneigt; selbst unter den höchst entwickelten Cephalopoden
spricht sie sich hier darin aus, dass immer nur ein Arm einer Seite
hectocotylisirt ist. Unter den Schnecken gehören hierher alle, welche
ein spiralig gewundenes Gehäuse bilden; bei den meisten ist die linke

System der organischen Grundformen.
solcher Weise hervortritt, dass die Gesammtform dadurch „un-
symmetrisch“
erscheint. Wir sagen absichtlich „äusserlich“, denn
im inneren Baue finden sich Differenzen) und oft sehr beträchtliche
Differenzen!) zwischen rechter und linker Hälfte bei den allermeisten
Eudipleuren vor. Insbesondere sind es bei den höheren Thieren, und
namentlich bei den Wirbelthieren, die in inneren Höhlen eingeschlosse-
nen „Eingeweide“, welche meistens in ihren unpaar vorhandenen
Theilen eine äusserst unsymmetrische Lagerung und Vertheilung auf
beide Hälften zeigen, so namentlich Herz, Magen Leber, Milz und
Pancreas bei den Wirbelthieren, Kiemen, Herz, Niere und Geschlechts-
organe bei den Schnecken u. s. w. Nicht selten kommt auch von
ursprünglich paarig angelegten Theilen der eine gar nicht zur Ent-
wickelung, wie z. B. der rechte Eierstock der Vögel und des Orni-
thorhynchus,
die eine von den beiden Lungen der Schlangen etc.
Da jedoch diese innere Asymmetrie auf die äussere Erscheinung der
gesammten dipleuren Körperform gar keinen Einfluss ausübt, so kön-
nen wir hier vollständig von derselben absehen.

Wenn wir demnach als Dysdipleure im engeren Sinne nur solche
dipleure organische Formen ansehen, bei welchen die Ungleichheit
der beiden Körperhälften in so auffallender Weise äusserlich hervor-
tritt, dass dadurch die Gesammtform asymmetrisch wird, so finden wir
dieselben fast überall nur als einzelne Ausnahmen in solchen Gruppen
von Organismen vor, deren allgemeine Grundform die eudipleure ist.
Von den Personen des Thierreichs sind hier vor Allen zu erwähnen
unter den Wirbelthieren die merkwürdige Fisch-Familie der Pleuro-
nectiden,
bei denen der Rumpf zwar ganz eudipleurisch, der Kopf
aber so schief entwickelt ist, dass beide Augen auf einer Seite, bald
rechts, bald links liegen; ferner unter den Säugethieren der Narwal-
Delphin (Monodon monoceros), bei welchem nur der linke Schneide-
zahn zum mächtigen Stosszahn entwickelt, der rechte dagegen ganz ver-
kümmert ist. Unter den Gliederfüssern sind besonders viele Crustaceen dys-
dipleurisch, namentlich parasitische Formen, ferner die Eremiten-Krebse
(Pagurus) deren weiches Abdomen sich dadurch unsymmetrisch ent-
wickelt hat, dass sie sich angewöhnt haben, dasselbe in einer spiral
gewundenen Schneckenschale zu verbergen; entsprechend sind auch
die beiden Scheeren sehr ungleich entwickelt (doch findet sich con-
stant sehr ungleiche Grösse der beiden Scheeren auch bei anderen
Decapoden, höchst auffallend bei Gelasimus). Am meisten zur Dys-
dipleuren-Entwickelung ist von allen Thiergruppen der Mollusken-
Stamm geneigt; selbst unter den höchst entwickelten Cephalopoden
spricht sie sich hier darin aus, dass immer nur ein Arm einer Seite
hectocotylisirt ist. Unter den Schnecken gehören hierher alle, welche
ein spiralig gewundenes Gehäuse bilden; bei den meisten ist die linke

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[526/0565] System der organischen Grundformen. solcher Weise hervortritt, dass die Gesammtform dadurch „un- symmetrisch“ erscheint. Wir sagen absichtlich „äusserlich“, denn im inneren Baue finden sich Differenzen) und oft sehr beträchtliche Differenzen!) zwischen rechter und linker Hälfte bei den allermeisten Eudipleuren vor. Insbesondere sind es bei den höheren Thieren, und namentlich bei den Wirbelthieren, die in inneren Höhlen eingeschlosse- nen „Eingeweide“, welche meistens in ihren unpaar vorhandenen Theilen eine äusserst unsymmetrische Lagerung und Vertheilung auf beide Hälften zeigen, so namentlich Herz, Magen Leber, Milz und Pancreas bei den Wirbelthieren, Kiemen, Herz, Niere und Geschlechts- organe bei den Schnecken u. s. w. Nicht selten kommt auch von ursprünglich paarig angelegten Theilen der eine gar nicht zur Ent- wickelung, wie z. B. der rechte Eierstock der Vögel und des Orni- thorhynchus, die eine von den beiden Lungen der Schlangen etc. Da jedoch diese innere Asymmetrie auf die äussere Erscheinung der gesammten dipleuren Körperform gar keinen Einfluss ausübt, so kön- nen wir hier vollständig von derselben absehen. Wenn wir demnach als Dysdipleure im engeren Sinne nur solche dipleure organische Formen ansehen, bei welchen die Ungleichheit der beiden Körperhälften in so auffallender Weise äusserlich hervor- tritt, dass dadurch die Gesammtform asymmetrisch wird, so finden wir dieselben fast überall nur als einzelne Ausnahmen in solchen Gruppen von Organismen vor, deren allgemeine Grundform die eudipleure ist. Von den Personen des Thierreichs sind hier vor Allen zu erwähnen unter den Wirbelthieren die merkwürdige Fisch-Familie der Pleuro- nectiden, bei denen der Rumpf zwar ganz eudipleurisch, der Kopf aber so schief entwickelt ist, dass beide Augen auf einer Seite, bald rechts, bald links liegen; ferner unter den Säugethieren der Narwal- Delphin (Monodon monoceros), bei welchem nur der linke Schneide- zahn zum mächtigen Stosszahn entwickelt, der rechte dagegen ganz ver- kümmert ist. Unter den Gliederfüssern sind besonders viele Crustaceen dys- dipleurisch, namentlich parasitische Formen, ferner die Eremiten-Krebse (Pagurus) deren weiches Abdomen sich dadurch unsymmetrisch ent- wickelt hat, dass sie sich angewöhnt haben, dasselbe in einer spiral gewundenen Schneckenschale zu verbergen; entsprechend sind auch die beiden Scheeren sehr ungleich entwickelt (doch findet sich con- stant sehr ungleiche Grösse der beiden Scheeren auch bei anderen Decapoden, höchst auffallend bei Gelasimus). Am meisten zur Dys- dipleuren-Entwickelung ist von allen Thiergruppen der Mollusken- Stamm geneigt; selbst unter den höchst entwickelten Cephalopoden spricht sie sich hier darin aus, dass immer nur ein Arm einer Seite hectocotylisirt ist. Unter den Schnecken gehören hierher alle, welche ein spiralig gewundenes Gehäuse bilden; bei den meisten ist die linke

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 526. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/565>, abgerufen am 18.06.2024.