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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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III. Morphologie und Chemie.
Formen nur Erscheinungsweisen, Functionen des Stoffs, und zwar
Gleichgewichtszustände der Materie sind, und dass andererseits alle
die Functionen oder Kräfte, welche als Bewegungen in die Erscheinung
treten, ebenso unmittelbar durch die Materie selbst bedingt sind, und
von der Materie ausgehen. Da wir es hier nur mit Naturkörpern zu
thun haben, welche den Raum erfüllen, und nicht mit den stofflosen
Körpern der Mathematik, und da wir Naturkörper ohne Materie nicht
kennen, so muss die Materie dieser Körper als gegeben voraus gesetzt
werden, wenn wir ihre Formen und ihre Kräfte oder Leistungen unter-
suchen wollen. Von diesem Standpunkte aus (dem "materialistischen"
im strengsten Sinne) ist die Chemie die allumfassende Naturwissen-
schaft, und Morphologie und Physik sind ihre beiden nächstuntergeord-
neten Hauptzweige.
II. Im zweiten Falle, wenn man, wie es gewöhnlich geschieht,
Chemie, Physik (Dynamik) und Morphologie (Statik) als die drei coor-
dinirten Hauptzweige der Naturwissenschaft auffasst, erscheint keiner
der drei Begriffe hinsichtlich seines Umfangs vor den anderen beiden
bevorzugt, und ihnen übergeordnet. Diese Anschauungsweise lässt sich
damit begründen, dass, wie wir oben bereits gezeigt haben, zunächst
bei der einfachsten Betrachtung jedes Naturkörpers Stoff, Form und
Kraft als die drei allgemeinsten Grund-Eigenschaften desselben uns
entgegentreten, welche gleichen Anspruch auf eine gesonderte und un-
abhängige wissenschaftliche Behandlung machen können. Dieser For-
derung entspricht z. B. die gewöhnliche Untersuchungsweise und Ver-
theilung des Lehrstoffs in der Abiologie, indem meistens die Natur-
wissenschaft von den Anorganen in die drei coordinirten Lehrzweige
der (anorganischen) Chemie, der Physik (im engeren Sinne) und der
Mineralogie (im weitesten Sinne) gespalten wird. Wollte man dieselbe
Eintheilung auch in der Biologie scharf durchführen (was aber niemals
geschieht), so würde man als drei coordinirte Zweige derselben erhal-
ten: 1, die Chemie der Organismen (organische Chemie im weitesten
Sinne); 2, die (rein physikalische) Physiologie (Dynamik der Organis-
men); 3, die Morphologie der Organismen. Doch lässt sich die gegen-
seitige Abgrenzung der Gebiete der Chemie, Physik und Morphologie
als drei coordinirter Disciplinen weder in dem Bereiche der organischen,
noch der unorganischen Naturwissenschaft so scharf thatsächlich durch-
führen, als diese Begriffsbestimmung es erfordert.
III. Im dritten Falle, wenn man, wie es von Seiten vieler Bio-
logen geschieht, die Chemie als eine Hülfswissenschaft betrachtet, und
ihr einen Platz weder über, noch neben den beiden anderen Disciplinen
der Statik und Dynamik gönnt, muss die Chemie den letzteren unter-
geordnet erscheinen, und es fragt sich dann nur, ob sie Beiden, oder
III. Morphologie und Chemie.
Formen nur Erscheinungsweisen, Functionen des Stoffs, und zwar
Gleichgewichtszustände der Materie sind, und dass andererseits alle
die Functionen oder Kräfte, welche als Bewegungen in die Erscheinung
treten, ebenso unmittelbar durch die Materie selbst bedingt sind, und
von der Materie ausgehen. Da wir es hier nur mit Naturkörpern zu
thun haben, welche den Raum erfüllen, und nicht mit den stofflosen
Körpern der Mathematik, und da wir Naturkörper ohne Materie nicht
kennen, so muss die Materie dieser Körper als gegeben voraus gesetzt
werden, wenn wir ihre Formen und ihre Kräfte oder Leistungen unter-
suchen wollen. Von diesem Standpunkte aus (dem „materialistischen“
im strengsten Sinne) ist die Chemie die allumfassende Naturwissen-
schaft, und Morphologie und Physik sind ihre beiden nächstuntergeord-
neten Hauptzweige.
II. Im zweiten Falle, wenn man, wie es gewöhnlich geschieht,
Chemie, Physik (Dynamik) und Morphologie (Statik) als die drei coor-
dinirten Hauptzweige der Naturwissenschaft auffasst, erscheint keiner
der drei Begriffe hinsichtlich seines Umfangs vor den anderen beiden
bevorzugt, und ihnen übergeordnet. Diese Anschauungsweise lässt sich
damit begründen, dass, wie wir oben bereits gezeigt haben, zunächst
bei der einfachsten Betrachtung jedes Naturkörpers Stoff, Form und
Kraft als die drei allgemeinsten Grund-Eigenschaften desselben uns
entgegentreten, welche gleichen Anspruch auf eine gesonderte und un-
abhängige wissenschaftliche Behandlung machen können. Dieser For-
derung entspricht z. B. die gewöhnliche Untersuchungsweise und Ver-
theilung des Lehrstoffs in der Abiologie, indem meistens die Natur-
wissenschaft von den Anorganen in die drei coordinirten Lehrzweige
der (anorganischen) Chemie, der Physik (im engeren Sinne) und der
Mineralogie (im weitesten Sinne) gespalten wird. Wollte man dieselbe
Eintheilung auch in der Biologie scharf durchführen (was aber niemals
geschieht), so würde man als drei coordinirte Zweige derselben erhal-
ten: 1, die Chemie der Organismen (organische Chemie im weitesten
Sinne); 2, die (rein physikalische) Physiologie (Dynamik der Organis-
men); 3, die Morphologie der Organismen. Doch lässt sich die gegen-
seitige Abgrenzung der Gebiete der Chemie, Physik und Morphologie
als drei coordinirter Disciplinen weder in dem Bereiche der organischen,
noch der unorganischen Naturwissenschaft so scharf thatsächlich durch-
führen, als diese Begriffsbestimmung es erfordert.
III. Im dritten Falle, wenn man, wie es von Seiten vieler Bio-
logen geschieht, die Chemie als eine Hülfswissenschaft betrachtet, und
ihr einen Platz weder über, noch neben den beiden anderen Disciplinen
der Statik und Dynamik gönnt, muss die Chemie den letzteren unter-
geordnet erscheinen, und es fragt sich dann nur, ob sie Beiden, oder
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[13/0052] III. Morphologie und Chemie. Formen nur Erscheinungsweisen, Functionen des Stoffs, und zwar Gleichgewichtszustände der Materie sind, und dass andererseits alle die Functionen oder Kräfte, welche als Bewegungen in die Erscheinung treten, ebenso unmittelbar durch die Materie selbst bedingt sind, und von der Materie ausgehen. Da wir es hier nur mit Naturkörpern zu thun haben, welche den Raum erfüllen, und nicht mit den stofflosen Körpern der Mathematik, und da wir Naturkörper ohne Materie nicht kennen, so muss die Materie dieser Körper als gegeben voraus gesetzt werden, wenn wir ihre Formen und ihre Kräfte oder Leistungen unter- suchen wollen. Von diesem Standpunkte aus (dem „materialistischen“ im strengsten Sinne) ist die Chemie die allumfassende Naturwissen- schaft, und Morphologie und Physik sind ihre beiden nächstuntergeord- neten Hauptzweige. II. Im zweiten Falle, wenn man, wie es gewöhnlich geschieht, Chemie, Physik (Dynamik) und Morphologie (Statik) als die drei coor- dinirten Hauptzweige der Naturwissenschaft auffasst, erscheint keiner der drei Begriffe hinsichtlich seines Umfangs vor den anderen beiden bevorzugt, und ihnen übergeordnet. Diese Anschauungsweise lässt sich damit begründen, dass, wie wir oben bereits gezeigt haben, zunächst bei der einfachsten Betrachtung jedes Naturkörpers Stoff, Form und Kraft als die drei allgemeinsten Grund-Eigenschaften desselben uns entgegentreten, welche gleichen Anspruch auf eine gesonderte und un- abhängige wissenschaftliche Behandlung machen können. Dieser For- derung entspricht z. B. die gewöhnliche Untersuchungsweise und Ver- theilung des Lehrstoffs in der Abiologie, indem meistens die Natur- wissenschaft von den Anorganen in die drei coordinirten Lehrzweige der (anorganischen) Chemie, der Physik (im engeren Sinne) und der Mineralogie (im weitesten Sinne) gespalten wird. Wollte man dieselbe Eintheilung auch in der Biologie scharf durchführen (was aber niemals geschieht), so würde man als drei coordinirte Zweige derselben erhal- ten: 1, die Chemie der Organismen (organische Chemie im weitesten Sinne); 2, die (rein physikalische) Physiologie (Dynamik der Organis- men); 3, die Morphologie der Organismen. Doch lässt sich die gegen- seitige Abgrenzung der Gebiete der Chemie, Physik und Morphologie als drei coordinirter Disciplinen weder in dem Bereiche der organischen, noch der unorganischen Naturwissenschaft so scharf thatsächlich durch- führen, als diese Begriffsbestimmung es erfordert. III. Im dritten Falle, wenn man, wie es von Seiten vieler Bio- logen geschieht, die Chemie als eine Hülfswissenschaft betrachtet, und ihr einen Platz weder über, noch neben den beiden anderen Disciplinen der Statik und Dynamik gönnt, muss die Chemie den letzteren unter- geordnet erscheinen, und es fragt sich dann nur, ob sie Beiden, oder

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/52>, abgerufen am 28.11.2024.