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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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System der organischen Grundformen.
der Pyramide auf die Grundfläche gefällt wird und welches in den
Mittelpunkt der Grundfläche trifft.

Die Grundfläche der meisten Stauraxonien ist entweder ein reguläres
oder ein amphithectes Polygon. Unter regulärem Vieleck verstehen
wir, wie in der Geometrie, ein solches, dessen Seiten sämmtlich gleich
sind und gleiche Winkel mit einander bilden. Amphithectes 1) Po-
lygon
nennen wir ein Vieleck mit gerader Seitenzahl, welches durch
zwei auf einander senkrechte ungleiche Durchmesser, die sich gegen-
seitig halbiren, in vier congruente Polygone zerlegt wird, und in wel-
chem daher je vier Seiten und ebenso je vier Winkel unter einander
gleich sind. Alle Diagonalen des amphithecten Polygons kreuzen sich
in dem Mittelpunkte desselben; die an beiden Enden jeder Diagonale
gelegenen Seiten sind paarweise gleich und parallel, daher auch die
beiden Winkel, deren Scheitel durch die Diagonale verbunden werden,
gleich sind. Genau betrachtet sind von den vier congruenten Poly-
gonen, aus denen jedes amphithecte Polygon besteht, nur je zwei
gegenüberliegende absolut congruent, dagegen je zwei benachbarte
symmetrisch congruent, d. h. sie müssen umgeklappt (Rechts in
Links verwandelt) werden, um sich vollständig zu decken. Die beiden
ungleichen, sich gegenseitig halbirenden und rechtwinkelig gekreuzten
Durchmesser des amphithecten Polygons, welche dasselbe in congruente
Polygone zerlegen, bezeichnen wir aus später zu erörternden Gründen
als Richtdurchmesser, oder Richtaxen (Euthyni), oder ideale
Kreuzaxen
desselben. Diese verbinden entweder die Halbirungs-
punkte zweier Gegenseiten oder als Diagonalen die Scheitel zweier
Gegenwinkel. (Vgl. Taf. I, Fig. 2, Fig. 8 nebst Erklärung).

Diejenigen geraden Pyramiden, deren Grundflächen amphithecte
Polygone sind, nennen wir amphithecte Pyramiden. Die Betrach-
tung dieser Pyramiden ist von grosser Wichtigkeit, da diese Grund-
form weit verbreitet ist. Eine achtseitige amphithecte Pyramide ist z. B.
die Grundform der Ctenophoren (Fig. 8), eine sechsseitige die Grundform
der Madreporen (Fig. 2). Die Hauptaxe dieser Stauraxonien ist diejenige
Linie, die auch in der Stereometrie kurzweg als "Axe der Pyramide"
bezeichnet wird, d. h. diejenige Linie, welche die Spitze mit dem
Mittelpunkt der Grundfläche verbindet. Die Spitze der Pyramide ist
ihr aboraler, die Grundfläche ihr oraler Pol. Die beiden, auf ein-
ander senkrechten Meridianebenen, welche sich durch die Hauptaxe

1) amphithektos, von zwei Seiten her geschärft, zweischneidig. Man könnte
das amphithecte Polygon auch bilateral oder symmetrisch im weitesten Sinne
des Wortes nennen, wenn nicht diese Begriffe in so verschiedenem Sinne ge-
braucht würden, dass sie alle Bedeutung verloren haben.

System der organischen Grundformen.
der Pyramide auf die Grundfläche gefällt wird und welches in den
Mittelpunkt der Grundfläche trifft.

Die Grundfläche der meisten Stauraxonien ist entweder ein reguläres
oder ein amphithectes Polygon. Unter regulärem Vieleck verstehen
wir, wie in der Geometrie, ein solches, dessen Seiten sämmtlich gleich
sind und gleiche Winkel mit einander bilden. Amphithectes 1) Po-
lygon
nennen wir ein Vieleck mit gerader Seitenzahl, welches durch
zwei auf einander senkrechte ungleiche Durchmesser, die sich gegen-
seitig halbiren, in vier congruente Polygone zerlegt wird, und in wel-
chem daher je vier Seiten und ebenso je vier Winkel unter einander
gleich sind. Alle Diagonalen des amphithecten Polygons kreuzen sich
in dem Mittelpunkte desselben; die an beiden Enden jeder Diagonale
gelegenen Seiten sind paarweise gleich und parallel, daher auch die
beiden Winkel, deren Scheitel durch die Diagonale verbunden werden,
gleich sind. Genau betrachtet sind von den vier congruenten Poly-
gonen, aus denen jedes amphithecte Polygon besteht, nur je zwei
gegenüberliegende absolut congruent, dagegen je zwei benachbarte
symmetrisch congruent, d. h. sie müssen umgeklappt (Rechts in
Links verwandelt) werden, um sich vollständig zu decken. Die beiden
ungleichen, sich gegenseitig halbirenden und rechtwinkelig gekreuzten
Durchmesser des amphithecten Polygons, welche dasselbe in congruente
Polygone zerlegen, bezeichnen wir aus später zu erörternden Gründen
als Richtdurchmesser, oder Richtaxen (Euthyni), oder ideale
Kreuzaxen
desselben. Diese verbinden entweder die Halbirungs-
punkte zweier Gegenseiten oder als Diagonalen die Scheitel zweier
Gegenwinkel. (Vgl. Taf. I, Fig. 2, Fig. 8 nebst Erklärung).

Diejenigen geraden Pyramiden, deren Grundflächen amphithecte
Polygone sind, nennen wir amphithecte Pyramiden. Die Betrach-
tung dieser Pyramiden ist von grosser Wichtigkeit, da diese Grund-
form weit verbreitet ist. Eine achtseitige amphithecte Pyramide ist z. B.
die Grundform der Ctenophoren (Fig. 8), eine sechsseitige die Grundform
der Madreporen (Fig. 2). Die Hauptaxe dieser Stauraxonien ist diejenige
Linie, die auch in der Stereometrie kurzweg als „Axe der Pyramide“
bezeichnet wird, d. h. diejenige Linie, welche die Spitze mit dem
Mittelpunkt der Grundfläche verbindet. Die Spitze der Pyramide ist
ihr aboraler, die Grundfläche ihr oraler Pol. Die beiden, auf ein-
ander senkrechten Meridianebenen, welche sich durch die Hauptaxe

1) ἀμφίϑηκτος, von zwei Seiten her geschärft, zweischneidig. Man könnte
das amphithecte Polygon auch bilateral oder symmetrisch im weitesten Sinne
des Wortes nennen, wenn nicht diese Begriffe in so verschiedenem Sinne ge-
braucht würden, dass sie alle Bedeutung verloren haben.
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[434/0473] System der organischen Grundformen. der Pyramide auf die Grundfläche gefällt wird und welches in den Mittelpunkt der Grundfläche trifft. Die Grundfläche der meisten Stauraxonien ist entweder ein reguläres oder ein amphithectes Polygon. Unter regulärem Vieleck verstehen wir, wie in der Geometrie, ein solches, dessen Seiten sämmtlich gleich sind und gleiche Winkel mit einander bilden. Amphithectes 1) Po- lygon nennen wir ein Vieleck mit gerader Seitenzahl, welches durch zwei auf einander senkrechte ungleiche Durchmesser, die sich gegen- seitig halbiren, in vier congruente Polygone zerlegt wird, und in wel- chem daher je vier Seiten und ebenso je vier Winkel unter einander gleich sind. Alle Diagonalen des amphithecten Polygons kreuzen sich in dem Mittelpunkte desselben; die an beiden Enden jeder Diagonale gelegenen Seiten sind paarweise gleich und parallel, daher auch die beiden Winkel, deren Scheitel durch die Diagonale verbunden werden, gleich sind. Genau betrachtet sind von den vier congruenten Poly- gonen, aus denen jedes amphithecte Polygon besteht, nur je zwei gegenüberliegende absolut congruent, dagegen je zwei benachbarte symmetrisch congruent, d. h. sie müssen umgeklappt (Rechts in Links verwandelt) werden, um sich vollständig zu decken. Die beiden ungleichen, sich gegenseitig halbirenden und rechtwinkelig gekreuzten Durchmesser des amphithecten Polygons, welche dasselbe in congruente Polygone zerlegen, bezeichnen wir aus später zu erörternden Gründen als Richtdurchmesser, oder Richtaxen (Euthyni), oder ideale Kreuzaxen desselben. Diese verbinden entweder die Halbirungs- punkte zweier Gegenseiten oder als Diagonalen die Scheitel zweier Gegenwinkel. (Vgl. Taf. I, Fig. 2, Fig. 8 nebst Erklärung). Diejenigen geraden Pyramiden, deren Grundflächen amphithecte Polygone sind, nennen wir amphithecte Pyramiden. Die Betrach- tung dieser Pyramiden ist von grosser Wichtigkeit, da diese Grund- form weit verbreitet ist. Eine achtseitige amphithecte Pyramide ist z. B. die Grundform der Ctenophoren (Fig. 8), eine sechsseitige die Grundform der Madreporen (Fig. 2). Die Hauptaxe dieser Stauraxonien ist diejenige Linie, die auch in der Stereometrie kurzweg als „Axe der Pyramide“ bezeichnet wird, d. h. diejenige Linie, welche die Spitze mit dem Mittelpunkt der Grundfläche verbindet. Die Spitze der Pyramide ist ihr aboraler, die Grundfläche ihr oraler Pol. Die beiden, auf ein- ander senkrechten Meridianebenen, welche sich durch die Hauptaxe 1) ἀμφίϑηκτος, von zwei Seiten her geschärft, zweischneidig. Man könnte das amphithecte Polygon auch bilateral oder symmetrisch im weitesten Sinne des Wortes nennen, wenn nicht diese Begriffe in so verschiedenem Sinne ge- braucht würden, dass sie alle Bedeutung verloren haben.

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 434. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/473>, abgerufen am 26.06.2024.