Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

Bild:
<< vorherige Seite

Gleichaxige Grundformen. Homaxonia.
so bekannt, dass dieselben hier nicht erörtert zu werden brauchen.
Da alle Punkte der Oberfläche gleich weit vom Mittelpunkte entfernt
sind, so ist eine Unterscheidung bestimmter Axen nicht möglich. Die
unendlich vielen Axen, welche sich durch den Mittelpunkt der Kugel
legen lassen, sind sämmtlich absolut gleich. Die rein geometrische
Kugelform ist in der Organismenwelt vielfach verkörpert, vorzüglich
in den Form-Individuen erster Ordnung, den Plastiden (sowohl Cyto-
den als Zellen). Bei sehr vielen Thieren, Protisten und Pflanzen ist
diejenige Plastide, welche als virtuelles Bion das ganze physiologische
Individuum potentia repräsentirt, das Ei oder die Spore, eine voll-
kommen reguläre Kugel. Aber auch im entwickelten Organismus
behalten viele Zellen, als Individuen erster Ordnung, die geometrische
Kugelform bei, so z. B. viele Blut-Zellen, Pollen-Zellen etc. Ferner
stellen viele Organe oder Form-Individuen zweiter Ordnung die
Kugelform ganz regelmässig dar, so z. B. die Centralkapseln vieler
Radiolarien, die Sporangien vieler Cryptogamen etc. Selbst actuelle
Bionten vom Formwerth eines Organs behalten bisweilen die reine
Kugelform bei, so die Colonieen vieler frei im Wasser schwimmender
oder schwebender Organismen, z. B. Sphaerozoum, Volvox, Pandorina
etc. Sehr selten nur ist die reine Kugelform in Individuen vierter,
fünfter und sechster Ordnung verkörpert. Unter den Radiolarien ge-
hören dahin die meisten Colliden, namentlich die Thalassicolliden
(Thalassicolla, Thalassolampe) und die Thalassosphaeriden (Physema-
tium, Thalassosphaera, Thalassoplancta)
(Rad. Taf. I--III), ferner die
kugeligen Individuen der meisten Radiolarien-Colonieen, namentlich
der Sphaerozoiden (Collozoum, Sphaerozoum, Rhaphidozoum), bei denen
überdies oft noch die Colonieen selbst, sowie alle einzelnen Form-
elemente innerhalb der sphärischen Centralkapsel die Kugelform rein be-
wahren (Haeckel, Monographie der Radiolarien, Taf. XXXII--XXXV.)
Die Sphaerozoiden dürften demgemäss am passendsten als die
concreten Repräsentanten der Homaxonform bezeichnet werden.

Zweite Unterklasse der Axonien oder Centromorphen.
Ungleichaxige. Heteraxonia.

Heteraxonien oder ungleichaxige Centromorphen nennen wir alle
diejenigen organischen Formen, welche eine endliche Anzahl von be-
stimmten Axen unterscheiden lassen, die von allen übrigen, durch
das Centrum gelegten Axen verschieden sind. Hierher gehören alle
diejenigen Gestalten der organisirten Materie, die im Allgemeinen den
Krystallformen des nicht organisirten Mineralstoffes vergleichbar und
in der That zum Theil von ihnen nicht zu unterscheiden sind. Wie
bei den Krystallen geschieht, werden wir der Betrachtung der Ober-

Gleichaxige Grundformen. Homaxonia.
so bekannt, dass dieselben hier nicht erörtert zu werden brauchen.
Da alle Punkte der Oberfläche gleich weit vom Mittelpunkte entfernt
sind, so ist eine Unterscheidung bestimmter Axen nicht möglich. Die
unendlich vielen Axen, welche sich durch den Mittelpunkt der Kugel
legen lassen, sind sämmtlich absolut gleich. Die rein geometrische
Kugelform ist in der Organismenwelt vielfach verkörpert, vorzüglich
in den Form-Individuen erster Ordnung, den Plastiden (sowohl Cyto-
den als Zellen). Bei sehr vielen Thieren, Protisten und Pflanzen ist
diejenige Plastide, welche als virtuelles Bion das ganze physiologische
Individuum potentia repräsentirt, das Ei oder die Spore, eine voll-
kommen reguläre Kugel. Aber auch im entwickelten Organismus
behalten viele Zellen, als Individuen erster Ordnung, die geometrische
Kugelform bei, so z. B. viele Blut-Zellen, Pollen-Zellen etc. Ferner
stellen viele Organe oder Form-Individuen zweiter Ordnung die
Kugelform ganz regelmässig dar, so z. B. die Centralkapseln vieler
Radiolarien, die Sporangien vieler Cryptogamen etc. Selbst actuelle
Bionten vom Formwerth eines Organs behalten bisweilen die reine
Kugelform bei, so die Colonieen vieler frei im Wasser schwimmender
oder schwebender Organismen, z. B. Sphaerozoum, Volvox, Pandorina
etc. Sehr selten nur ist die reine Kugelform in Individuen vierter,
fünfter und sechster Ordnung verkörpert. Unter den Radiolarien ge-
hören dahin die meisten Colliden, namentlich die Thalassicolliden
(Thalassicolla, Thalassolampe) und die Thalassosphaeriden (Physema-
tium, Thalassosphaera, Thalassoplancta)
(Rad. Taf. I—III), ferner die
kugeligen Individuen der meisten Radiolarien-Colonieen, namentlich
der Sphaerozoiden (Collozoum, Sphaerozoum, Rhaphidozoum), bei denen
überdies oft noch die Colonieen selbst, sowie alle einzelnen Form-
elemente innerhalb der sphärischen Centralkapsel die Kugelform rein be-
wahren (Haeckel, Monographie der Radiolarien, Taf. XXXII—XXXV.)
Die Sphaerozoiden dürften demgemäss am passendsten als die
concreten Repräsentanten der Homaxonform bezeichnet werden.

Zweite Unterklasse der Axonien oder Centromorphen.
Ungleichaxige. Heteraxonia.

Heteraxonien oder ungleichaxige Centromorphen nennen wir alle
diejenigen organischen Formen, welche eine endliche Anzahl von be-
stimmten Axen unterscheiden lassen, die von allen übrigen, durch
das Centrum gelegten Axen verschieden sind. Hierher gehören alle
diejenigen Gestalten der organisirten Materie, die im Allgemeinen den
Krystallformen des nicht organisirten Mineralstoffes vergleichbar und
in der That zum Theil von ihnen nicht zu unterscheiden sind. Wie
bei den Krystallen geschieht, werden wir der Betrachtung der Ober-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0444" n="405"/><fw place="top" type="header">Gleichaxige Grundformen. Homaxonia.</fw><lb/>
so bekannt, dass dieselben hier nicht erörtert zu werden brauchen.<lb/>
Da alle Punkte der Oberfläche gleich weit vom Mittelpunkte entfernt<lb/>
sind, so ist eine Unterscheidung bestimmter Axen nicht möglich. Die<lb/>
unendlich vielen Axen, welche sich durch den Mittelpunkt der Kugel<lb/>
legen lassen, sind sämmtlich absolut gleich. Die rein geometrische<lb/>
Kugelform ist in der Organismenwelt vielfach verkörpert, vorzüglich<lb/>
in den Form-Individuen erster Ordnung, den Plastiden (sowohl Cyto-<lb/>
den als Zellen). Bei sehr vielen Thieren, Protisten und Pflanzen ist<lb/>
diejenige Plastide, welche als virtuelles Bion das ganze physiologische<lb/>
Individuum potentia repräsentirt, das Ei oder die Spore, eine voll-<lb/>
kommen reguläre Kugel. Aber auch im entwickelten Organismus<lb/>
behalten viele Zellen, als Individuen erster Ordnung, die geometrische<lb/>
Kugelform bei, so z. B. viele Blut-Zellen, Pollen-Zellen etc. Ferner<lb/>
stellen viele Organe oder Form-Individuen zweiter Ordnung die<lb/>
Kugelform ganz regelmässig dar, so z. B. die Centralkapseln vieler<lb/>
Radiolarien, die Sporangien vieler Cryptogamen etc. Selbst actuelle<lb/>
Bionten vom Formwerth eines Organs behalten bisweilen die reine<lb/>
Kugelform bei, so die Colonieen vieler frei im Wasser schwimmender<lb/>
oder schwebender Organismen, z. B. <hi rendition="#i">Sphaerozoum, Volvox, Pandorina</hi><lb/>
etc. Sehr selten nur ist die reine Kugelform in Individuen vierter,<lb/>
fünfter und sechster Ordnung verkörpert. Unter den Radiolarien ge-<lb/>
hören dahin die meisten Colliden, namentlich die Thalassicolliden<lb/><hi rendition="#i">(Thalassicolla, Thalassolampe)</hi> und die Thalassosphaeriden <hi rendition="#i">(Physema-<lb/>
tium, Thalassosphaera, Thalassoplancta)</hi> (Rad. Taf. I&#x2014;III), ferner die<lb/>
kugeligen Individuen der meisten Radiolarien-Colonieen, namentlich<lb/>
der Sphaerozoiden <hi rendition="#i">(Collozoum, Sphaerozoum, Rhaphidozoum)</hi>, bei denen<lb/>
überdies oft noch die Colonieen selbst, sowie alle einzelnen Form-<lb/>
elemente innerhalb der sphärischen Centralkapsel die Kugelform rein be-<lb/>
wahren (<hi rendition="#g">Haeckel,</hi> Monographie der Radiolarien, Taf. XXXII&#x2014;XXXV.)<lb/>
Die <hi rendition="#g">Sphaerozoiden</hi> dürften demgemäss am passendsten als die<lb/>
concreten Repräsentanten der Homaxonform bezeichnet werden.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>Zweite Unterklasse der Axonien oder Centromorphen.<lb/><hi rendition="#b">Ungleichaxige. Heteraxonia.</hi></head><lb/>
            <p>Heteraxonien oder ungleichaxige Centromorphen nennen wir alle<lb/>
diejenigen organischen Formen, welche eine endliche Anzahl von be-<lb/>
stimmten Axen unterscheiden lassen, die von allen übrigen, durch<lb/>
das Centrum gelegten Axen verschieden sind. Hierher gehören alle<lb/>
diejenigen Gestalten der organisirten Materie, die im Allgemeinen den<lb/>
Krystallformen des nicht organisirten Mineralstoffes vergleichbar und<lb/>
in der That zum Theil von ihnen nicht zu unterscheiden sind. Wie<lb/>
bei den Krystallen geschieht, werden wir der Betrachtung der Ober-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[405/0444] Gleichaxige Grundformen. Homaxonia. so bekannt, dass dieselben hier nicht erörtert zu werden brauchen. Da alle Punkte der Oberfläche gleich weit vom Mittelpunkte entfernt sind, so ist eine Unterscheidung bestimmter Axen nicht möglich. Die unendlich vielen Axen, welche sich durch den Mittelpunkt der Kugel legen lassen, sind sämmtlich absolut gleich. Die rein geometrische Kugelform ist in der Organismenwelt vielfach verkörpert, vorzüglich in den Form-Individuen erster Ordnung, den Plastiden (sowohl Cyto- den als Zellen). Bei sehr vielen Thieren, Protisten und Pflanzen ist diejenige Plastide, welche als virtuelles Bion das ganze physiologische Individuum potentia repräsentirt, das Ei oder die Spore, eine voll- kommen reguläre Kugel. Aber auch im entwickelten Organismus behalten viele Zellen, als Individuen erster Ordnung, die geometrische Kugelform bei, so z. B. viele Blut-Zellen, Pollen-Zellen etc. Ferner stellen viele Organe oder Form-Individuen zweiter Ordnung die Kugelform ganz regelmässig dar, so z. B. die Centralkapseln vieler Radiolarien, die Sporangien vieler Cryptogamen etc. Selbst actuelle Bionten vom Formwerth eines Organs behalten bisweilen die reine Kugelform bei, so die Colonieen vieler frei im Wasser schwimmender oder schwebender Organismen, z. B. Sphaerozoum, Volvox, Pandorina etc. Sehr selten nur ist die reine Kugelform in Individuen vierter, fünfter und sechster Ordnung verkörpert. Unter den Radiolarien ge- hören dahin die meisten Colliden, namentlich die Thalassicolliden (Thalassicolla, Thalassolampe) und die Thalassosphaeriden (Physema- tium, Thalassosphaera, Thalassoplancta) (Rad. Taf. I—III), ferner die kugeligen Individuen der meisten Radiolarien-Colonieen, namentlich der Sphaerozoiden (Collozoum, Sphaerozoum, Rhaphidozoum), bei denen überdies oft noch die Colonieen selbst, sowie alle einzelnen Form- elemente innerhalb der sphärischen Centralkapsel die Kugelform rein be- wahren (Haeckel, Monographie der Radiolarien, Taf. XXXII—XXXV.) Die Sphaerozoiden dürften demgemäss am passendsten als die concreten Repräsentanten der Homaxonform bezeichnet werden. Zweite Unterklasse der Axonien oder Centromorphen. Ungleichaxige. Heteraxonia. Heteraxonien oder ungleichaxige Centromorphen nennen wir alle diejenigen organischen Formen, welche eine endliche Anzahl von be- stimmten Axen unterscheiden lassen, die von allen übrigen, durch das Centrum gelegten Axen verschieden sind. Hierher gehören alle diejenigen Gestalten der organisirten Materie, die im Allgemeinen den Krystallformen des nicht organisirten Mineralstoffes vergleichbar und in der That zum Theil von ihnen nicht zu unterscheiden sind. Wie bei den Krystallen geschieht, werden wir der Betrachtung der Ober-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/444
Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 405. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/444>, abgerufen am 07.06.2024.