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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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Axenlose Grundformen. Anaxonia.
ist derselbe, der auch die beiden zunächst unterscheidbaren und
wichtigsten Hauptabtheilungen von Formen der nicht organisirten
Materie characterisirt; auch diese letztere erscheint entweder amorph
oder in einer bestimmten Form, die je nach dem Aggregatzustande
verschieden ist. Das tropfbar flüssige Abion oder Anorgan nimmt im
vollkommenen Gleichgewichtszustande die Form des kugeligen Tropfens,
der Kugel an; geht dasselbe aber durch Krystallisation aus dem
tropfbaren in den festen Aggregatzustand über, so nimmt es die regel-
mässige, stereometrisch bestimmbare Gestalt des Krystalls an. Es
entsprechen mithin die Axonien oder Centromorphen der organischen
Körperwelt den Kugeln, Sphaeroidalformen, Krystalloiden und Kry-
stallen der anorganischen Körperwelt, wie die Anaxonien oder Acen-
tren der ersteren den Amorphen der letzteren vergleichbar sind.
Man hat daher auch wohl die anaxonien Organismen, welche auf den
niedersten Organisationsstufen sehr verbreitet sind, insbesondere bei
den Protisten (Protozoen) als "Gestaltlose" oder Amorphozoa bezeich-
net. Doch ist dieser an sich richtige Name desshalb schlecht verwend-
bar, weil man darunter in der Regel nicht allein wirklich formlose
Organismen, wie die Amoeben und Halisarcen, sondern auch eine
Menge bestimmt geformter Species begriffen hat. Gewöhnlich wird
der Begriff Amorphozoa als gleichbedeutend mit Protozoa gebraucht
und umfasst als solcher die Spongien, Rhizopoden, Infusorien und
Protoplasten. Und doch enthalten gerade diese Thierklassen eine
grössere Anzahl und Mannichfaltigkeit von geometrisch bestimmbaren
Grundformen, als alle übrigen Abtheilungen des Thierreichs zusammen
genommen. (Vergl. p. 395).

Die organischen Grundformen, welche wir als wirklich echte
Anaxonien oder Acentren im eigentlichen Sinne des Wortes bezeich-
nen müssen, sind im Ganzen viel seltener, als man gewöhnlich an-
nimmt. Die Personen, Metameren und Antimeren, also die Form-
Individuen fünfter, vierter und dritter Ordnung sind selten oder eigent-
lich niemals wirklich acentrisch oder anaxon, da schon durch ihre
tectologische Qualität bestimmte Axen in ihnen ausgesprochen sind.
Häufig sind dagegen vollkommen anaxonie Formen bei den Form-
Individuen erster und zweiter Ordnung, den Plastiden und Organen,
ferner bei denen sechster Ordnung, den Stöcken (z. B. vielen
Corallenstöcken). Meist sind die anaxonien Plastiden und Organe
integrirende Bestandtheile von Form-Individuen dritter und höherer
Ordnung. Sehr viele Zellen und Cytoden im pflanzlichen und thieri-
schen Parenchym sind ebenso vollkommen acentrisch, wie viele innere
Organe der Thiere und äussere Organe der Pflanzen. Viel seltener
sind dagegen wirklich anaxonie Formen als materielles Substrat von
actuellen Bionten zu finden, so bei den erwähnten Stöcken, ausserdem

Haeckel, Generelle Morphologie. 26

Axenlose Grundformen. Anaxonia.
ist derselbe, der auch die beiden zunächst unterscheidbaren und
wichtigsten Hauptabtheilungen von Formen der nicht organisirten
Materie characterisirt; auch diese letztere erscheint entweder amorph
oder in einer bestimmten Form, die je nach dem Aggregatzustande
verschieden ist. Das tropfbar flüssige Abion oder Anorgan nimmt im
vollkommenen Gleichgewichtszustande die Form des kugeligen Tropfens,
der Kugel an; geht dasselbe aber durch Krystallisation aus dem
tropfbaren in den festen Aggregatzustand über, so nimmt es die regel-
mässige, stereometrisch bestimmbare Gestalt des Krystalls an. Es
entsprechen mithin die Axonien oder Centromorphen der organischen
Körperwelt den Kugeln, Sphaeroidalformen, Krystalloiden und Kry-
stallen der anorganischen Körperwelt, wie die Anaxonien oder Acen-
tren der ersteren den Amorphen der letzteren vergleichbar sind.
Man hat daher auch wohl die anaxonien Organismen, welche auf den
niedersten Organisationsstufen sehr verbreitet sind, insbesondere bei
den Protisten (Protozoen) als „Gestaltlose“ oder Amorphozoa bezeich-
net. Doch ist dieser an sich richtige Name desshalb schlecht verwend-
bar, weil man darunter in der Regel nicht allein wirklich formlose
Organismen, wie die Amoeben und Halisarcen, sondern auch eine
Menge bestimmt geformter Species begriffen hat. Gewöhnlich wird
der Begriff Amorphozoa als gleichbedeutend mit Protozoa gebraucht
und umfasst als solcher die Spongien, Rhizopoden, Infusorien und
Protoplasten. Und doch enthalten gerade diese Thierklassen eine
grössere Anzahl und Mannichfaltigkeit von geometrisch bestimmbaren
Grundformen, als alle übrigen Abtheilungen des Thierreichs zusammen
genommen. (Vergl. p. 395).

Die organischen Grundformen, welche wir als wirklich echte
Anaxonien oder Acentren im eigentlichen Sinne des Wortes bezeich-
nen müssen, sind im Ganzen viel seltener, als man gewöhnlich an-
nimmt. Die Personen, Metameren und Antimeren, also die Form-
Individuen fünfter, vierter und dritter Ordnung sind selten oder eigent-
lich niemals wirklich acentrisch oder anaxon, da schon durch ihre
tectologische Qualität bestimmte Axen in ihnen ausgesprochen sind.
Häufig sind dagegen vollkommen anaxonie Formen bei den Form-
Individuen erster und zweiter Ordnung, den Plastiden und Organen,
ferner bei denen sechster Ordnung, den Stöcken (z. B. vielen
Corallenstöcken). Meist sind die anaxonien Plastiden und Organe
integrirende Bestandtheile von Form-Individuen dritter und höherer
Ordnung. Sehr viele Zellen und Cytoden im pflanzlichen und thieri-
schen Parenchym sind ebenso vollkommen acentrisch, wie viele innere
Organe der Thiere und äussere Organe der Pflanzen. Viel seltener
sind dagegen wirklich anaxonie Formen als materielles Substrat von
actuellen Bionten zu finden, so bei den erwähnten Stöcken, ausserdem

Haeckel, Generelle Morphologie. 26
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[401/0440] Axenlose Grundformen. Anaxonia. ist derselbe, der auch die beiden zunächst unterscheidbaren und wichtigsten Hauptabtheilungen von Formen der nicht organisirten Materie characterisirt; auch diese letztere erscheint entweder amorph oder in einer bestimmten Form, die je nach dem Aggregatzustande verschieden ist. Das tropfbar flüssige Abion oder Anorgan nimmt im vollkommenen Gleichgewichtszustande die Form des kugeligen Tropfens, der Kugel an; geht dasselbe aber durch Krystallisation aus dem tropfbaren in den festen Aggregatzustand über, so nimmt es die regel- mässige, stereometrisch bestimmbare Gestalt des Krystalls an. Es entsprechen mithin die Axonien oder Centromorphen der organischen Körperwelt den Kugeln, Sphaeroidalformen, Krystalloiden und Kry- stallen der anorganischen Körperwelt, wie die Anaxonien oder Acen- tren der ersteren den Amorphen der letzteren vergleichbar sind. Man hat daher auch wohl die anaxonien Organismen, welche auf den niedersten Organisationsstufen sehr verbreitet sind, insbesondere bei den Protisten (Protozoen) als „Gestaltlose“ oder Amorphozoa bezeich- net. Doch ist dieser an sich richtige Name desshalb schlecht verwend- bar, weil man darunter in der Regel nicht allein wirklich formlose Organismen, wie die Amoeben und Halisarcen, sondern auch eine Menge bestimmt geformter Species begriffen hat. Gewöhnlich wird der Begriff Amorphozoa als gleichbedeutend mit Protozoa gebraucht und umfasst als solcher die Spongien, Rhizopoden, Infusorien und Protoplasten. Und doch enthalten gerade diese Thierklassen eine grössere Anzahl und Mannichfaltigkeit von geometrisch bestimmbaren Grundformen, als alle übrigen Abtheilungen des Thierreichs zusammen genommen. (Vergl. p. 395). Die organischen Grundformen, welche wir als wirklich echte Anaxonien oder Acentren im eigentlichen Sinne des Wortes bezeich- nen müssen, sind im Ganzen viel seltener, als man gewöhnlich an- nimmt. Die Personen, Metameren und Antimeren, also die Form- Individuen fünfter, vierter und dritter Ordnung sind selten oder eigent- lich niemals wirklich acentrisch oder anaxon, da schon durch ihre tectologische Qualität bestimmte Axen in ihnen ausgesprochen sind. Häufig sind dagegen vollkommen anaxonie Formen bei den Form- Individuen erster und zweiter Ordnung, den Plastiden und Organen, ferner bei denen sechster Ordnung, den Stöcken (z. B. vielen Corallenstöcken). Meist sind die anaxonien Plastiden und Organe integrirende Bestandtheile von Form-Individuen dritter und höherer Ordnung. Sehr viele Zellen und Cytoden im pflanzlichen und thieri- schen Parenchym sind ebenso vollkommen acentrisch, wie viele innere Organe der Thiere und äussere Organe der Pflanzen. Viel seltener sind dagegen wirklich anaxonie Formen als materielles Substrat von actuellen Bionten zu finden, so bei den erwähnten Stöcken, ausserdem Haeckel, Generelle Morphologie. 26

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/440>, abgerufen am 07.06.2024.