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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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III. Die Antimeren als Bionten.
bestimmte Neigung zeigt, nur auf dem Wege geschlechtlicher Zeugung
sich zu der bestimmten Form der Person oder des Form-Individuums
fünfter Ordnung zu entwickeln. Es betreffen diese Fälle einige wenige
Arten von Seesternen, welche einigen sonst nicht gerade besonders
ausgezeichneten Gattungen angehören.

Dasjenige Asterid, bei welchem am häufigsten ein Antimer sich zu in-
dividualisiren scheint, ist Ophidiaster multiforis M. et Tr., welcher
im rothen und im indischen Meere vorkommt. Es ist dies ein kleiner,
schlanker, Ophiuren ähnlicher Seestern mit kleiner Scheibe (Scheibenra-
dius zum Armradius = 1:10 -- 12) und sehr schlanken, cylindrischen,
nach dem Ende zu verdünnten Armen (neunmal so lang wie breit). Die
grosse Mehrzahl der Individuen hat 5 Arme; aber auch solche mit 4 und
6 Armen sind nicht selten; bisweilen steigt die Armzahl auf sieben. Die
Madreporenplatte ist bei Individuen mit 4--5 Armen gewöhnlich doppelt,
bei solchen mit 6--7 Armen gewöhnlich dreifach vorhanden. Gewöhnlich
liegen die Madreporenplatten in benachbarten Interbrachialräumen. Die
Arme sind selten von nahezu gleicher Länge, gewöhnlich 2--3 benachbarte
länger, als die andern. Gar nicht selten aber findet man Individuen, bei
denen 4 ganz kleine Arme am Ende eines einzigen sehr grossen sich befin-
den, und bei denen eine eigentliche Mittelscheibe kaum existirt.1) Diese
Fälle liefern uns evidente Beweise von der virtuellen Individualisation eines
einzelnen Antimeres, welches sich durch Reproduction der vier übrigen
Antimeren zu dem actuellen Bion vom morphologischen Werthe einer pent-
actinoten Person zu entwickeln vermag. Durch welchen Vorgang hier das
einzelne Antimer zur Ablösung vom Ganzen und zur individuellen Ent-
wickelung veranlasst wird, ist unbekannt, und wir wissen insbesondere nicht,
ob die Ablösung Folge eines inneren Wachsthumsprocesses, also spontane
Radialtheilung (wie bei dem gleich zu erwähnenden Stomobrachium)
oder Folge zufälliger, von aussen einwirkender Gewalt, also künstliche Thei-
lung ist. Die verhältnissmässig grosse Anzahl der Exemplare von Ophi-
diaster multiforis,
welche dieses ausgezeichnete Verhalten zeigen,
lässt die Vermuthung einer natürlichen, spontanen Radialtheilung gerecht-
fertigt erscheinen. Andererseits ist es leicht denkbar, dass die langen dün-
nen Arme von der kleinen Mittelscheibe leicht zufällig abreissen, und ver-
möge ausgezeichneter Reproductionskraft die ganze Scheibe reproduciren.
Während bei den andern Seesternen die verstümmelte Scheibe die Arme
wieder zu ersetzen vermag, kann also hier jeder einzelne Arm die ganze
Scheibe sammt den andern Armen aus sich regeneriren. Es würde von

1) Bei einem solchen Individuum, welches wir vor uns haben, ist der grosse
Arm 34mm lang und an der Basis 4mm breit. Von den 4 kleinen Armen sind die
beiden zunächst den grossen umgebenden 6mm lang, an der Basis 2mm breit und
die beiden dem grossen gegenüberstehenden 5mm lang, an der Basis ebenfalls
2mm breit. Eine Madreporenplatte ist nicht sichtbar, ebenso ein After nicht
deutlich; dagegen auf der Ambulacralseite eine sehr kleine Mundöffnung, in welcher
die 5 Ambulacralfurchen zusammenstossen.

III. Die Antimeren als Bionten.
bestimmte Neigung zeigt, nur auf dem Wege geschlechtlicher Zeugung
sich zu der bestimmten Form der Person oder des Form-Individuums
fünfter Ordnung zu entwickeln. Es betreffen diese Fälle einige wenige
Arten von Seesternen, welche einigen sonst nicht gerade besonders
ausgezeichneten Gattungen angehören.

Dasjenige Asterid, bei welchem am häufigsten ein Antimer sich zu in-
dividualisiren scheint, ist Ophidiaster multiforis M. et Tr., welcher
im rothen und im indischen Meere vorkommt. Es ist dies ein kleiner,
schlanker, Ophiuren ähnlicher Seestern mit kleiner Scheibe (Scheibenra-
dius zum Armradius = 1:10 — 12) und sehr schlanken, cylindrischen,
nach dem Ende zu verdünnten Armen (neunmal so lang wie breit). Die
grosse Mehrzahl der Individuen hat 5 Arme; aber auch solche mit 4 und
6 Armen sind nicht selten; bisweilen steigt die Armzahl auf sieben. Die
Madreporenplatte ist bei Individuen mit 4—5 Armen gewöhnlich doppelt,
bei solchen mit 6—7 Armen gewöhnlich dreifach vorhanden. Gewöhnlich
liegen die Madreporenplatten in benachbarten Interbrachialräumen. Die
Arme sind selten von nahezu gleicher Länge, gewöhnlich 2—3 benachbarte
länger, als die andern. Gar nicht selten aber findet man Individuen, bei
denen 4 ganz kleine Arme am Ende eines einzigen sehr grossen sich befin-
den, und bei denen eine eigentliche Mittelscheibe kaum existirt.1) Diese
Fälle liefern uns evidente Beweise von der virtuellen Individualisation eines
einzelnen Antimeres, welches sich durch Reproduction der vier übrigen
Antimeren zu dem actuellen Bion vom morphologischen Werthe einer pent-
actinoten Person zu entwickeln vermag. Durch welchen Vorgang hier das
einzelne Antimer zur Ablösung vom Ganzen und zur individuellen Ent-
wickelung veranlasst wird, ist unbekannt, und wir wissen insbesondere nicht,
ob die Ablösung Folge eines inneren Wachsthumsprocesses, also spontane
Radialtheilung (wie bei dem gleich zu erwähnenden Stomobrachium)
oder Folge zufälliger, von aussen einwirkender Gewalt, also künstliche Thei-
lung ist. Die verhältnissmässig grosse Anzahl der Exemplare von Ophi-
diaster multiforis,
welche dieses ausgezeichnete Verhalten zeigen,
lässt die Vermuthung einer natürlichen, spontanen Radialtheilung gerecht-
fertigt erscheinen. Andererseits ist es leicht denkbar, dass die langen dün-
nen Arme von der kleinen Mittelscheibe leicht zufällig abreissen, und ver-
möge ausgezeichneter Reproductionskraft die ganze Scheibe reproduciren.
Während bei den andern Seesternen die verstümmelte Scheibe die Arme
wieder zu ersetzen vermag, kann also hier jeder einzelne Arm die ganze
Scheibe sammt den andern Armen aus sich regeneriren. Es würde von

1) Bei einem solchen Individuum, welches wir vor uns haben, ist der grosse
Arm 34mm lang und an der Basis 4mm breit. Von den 4 kleinen Armen sind die
beiden zunächst den grossen umgebenden 6mm lang, an der Basis 2mm breit und
die beiden dem grossen gegenüberstehenden 5mm lang, an der Basis ebenfalls
2mm breit. Eine Madreporenplatte ist nicht sichtbar, ebenso ein After nicht
deutlich; dagegen auf der Ambulacralseite eine sehr kleine Mundöffnung, in welcher
die 5 Ambulacralfurchen zusammenstossen.
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[349/0388] III. Die Antimeren als Bionten. bestimmte Neigung zeigt, nur auf dem Wege geschlechtlicher Zeugung sich zu der bestimmten Form der Person oder des Form-Individuums fünfter Ordnung zu entwickeln. Es betreffen diese Fälle einige wenige Arten von Seesternen, welche einigen sonst nicht gerade besonders ausgezeichneten Gattungen angehören. Dasjenige Asterid, bei welchem am häufigsten ein Antimer sich zu in- dividualisiren scheint, ist Ophidiaster multiforis M. et Tr., welcher im rothen und im indischen Meere vorkommt. Es ist dies ein kleiner, schlanker, Ophiuren ähnlicher Seestern mit kleiner Scheibe (Scheibenra- dius zum Armradius = 1:10 — 12) und sehr schlanken, cylindrischen, nach dem Ende zu verdünnten Armen (neunmal so lang wie breit). Die grosse Mehrzahl der Individuen hat 5 Arme; aber auch solche mit 4 und 6 Armen sind nicht selten; bisweilen steigt die Armzahl auf sieben. Die Madreporenplatte ist bei Individuen mit 4—5 Armen gewöhnlich doppelt, bei solchen mit 6—7 Armen gewöhnlich dreifach vorhanden. Gewöhnlich liegen die Madreporenplatten in benachbarten Interbrachialräumen. Die Arme sind selten von nahezu gleicher Länge, gewöhnlich 2—3 benachbarte länger, als die andern. Gar nicht selten aber findet man Individuen, bei denen 4 ganz kleine Arme am Ende eines einzigen sehr grossen sich befin- den, und bei denen eine eigentliche Mittelscheibe kaum existirt. 1) Diese Fälle liefern uns evidente Beweise von der virtuellen Individualisation eines einzelnen Antimeres, welches sich durch Reproduction der vier übrigen Antimeren zu dem actuellen Bion vom morphologischen Werthe einer pent- actinoten Person zu entwickeln vermag. Durch welchen Vorgang hier das einzelne Antimer zur Ablösung vom Ganzen und zur individuellen Ent- wickelung veranlasst wird, ist unbekannt, und wir wissen insbesondere nicht, ob die Ablösung Folge eines inneren Wachsthumsprocesses, also spontane Radialtheilung (wie bei dem gleich zu erwähnenden Stomobrachium) oder Folge zufälliger, von aussen einwirkender Gewalt, also künstliche Thei- lung ist. Die verhältnissmässig grosse Anzahl der Exemplare von Ophi- diaster multiforis, welche dieses ausgezeichnete Verhalten zeigen, lässt die Vermuthung einer natürlichen, spontanen Radialtheilung gerecht- fertigt erscheinen. Andererseits ist es leicht denkbar, dass die langen dün- nen Arme von der kleinen Mittelscheibe leicht zufällig abreissen, und ver- möge ausgezeichneter Reproductionskraft die ganze Scheibe reproduciren. Während bei den andern Seesternen die verstümmelte Scheibe die Arme wieder zu ersetzen vermag, kann also hier jeder einzelne Arm die ganze Scheibe sammt den andern Armen aus sich regeneriren. Es würde von 1) Bei einem solchen Individuum, welches wir vor uns haben, ist der grosse Arm 34mm lang und an der Basis 4mm breit. Von den 4 kleinen Armen sind die beiden zunächst den grossen umgebenden 6mm lang, an der Basis 2mm breit und die beiden dem grossen gegenüberstehenden 5mm lang, an der Basis ebenfalls 2mm breit. Eine Madreporenplatte ist nicht sichtbar, ebenso ein After nicht deutlich; dagegen auf der Ambulacralseite eine sehr kleine Mundöffnung, in welcher die 5 Ambulacralfurchen zusammenstossen.

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/388>, abgerufen am 10.06.2024.