Von den fünf verschiedenen Stufen oder Ordnungen der Organe, welche wir oben unterschieden haben, treten am häufigsten die Organe erster und zweiter Ordnung, Zellfusionen und einfache Organe, seltener diejenigen dritter Ordnung (zusammengesetzte Organe) als Bionten auf. Niemals können dagegen, ihrer Natur nach, die Organe vierter und fünfter Stufe, die Organsysteme und Organ-Apparate, den Werth von physiologischen Individuen erhalten.
II. A. Die Organe als actuelle Bionten.
Sobald man die ganz verschiedene physiologische und morpholo- gische Bedeutung des Organbegriffs gemischt gebraucht, wie dies ge- wöhnlich geschieht, so wird man zu keiner klaren Anschauung über die wichtige Thatsache gelangen, dass auch morphologische Organe den Werth von actuellen Bionten besitzen, und als solche die reifen Formen selbstständiger Species repräsentiren können. Es ist dies nach unserer Ansicht bei allen denjenigen niederen Organismen der Fall, welche als reife Species-Form einen Plastiden-Complex darstellen, an welchem sich weder Antimeren noch Metameren unterscheiden lassen, und welche demgemäss weder Personen noch echte Stöcke (Cormen) sein können. Hierher gehören sehr viele Protisten und niedere Pflanzen, namentlich aber alle sogenannten "Colonieen von einzelligen Organismen". Uebrigens können als actuelle Bionten, wie bemerkt, nur Organe erster, zweiter und dritter Ordnung fungiren. Organe vierter und fünfter Stufe (Organ-Systeme und Organ-Apparate), wie wir deren Begriff oben morphologisch festgestellt haben, können ihrer Natur nach niemals die reife Species-Form repräsentiren.
a. Organe erster Ordnung oder Zellfusionen, also Plas- tiden-Complexe, welche aus mehreren verschmolzenen Zellen bestehen (sogenannte "vielkernige Zellen"), treten als actuelle Bionten verhält- nissmässig selten auf, z. B. unter den Protisten bei denjenigen Rhizo- poden (Gromia) und Protoplasten (Arcelliden), deren homogener Sar- code-Körper eine Mehrzahl von Kernen einschliesst.
b. Organe zweiter Ordnung oder einfache (homo- plastische) Organe, also Plastiden-Complexe, welche aus einem Aggregate von mehreren gleichartigen, mehr oder weniger vollständig getrennten Plastiden (Cytoden oder Zellen) bestehen (sogenannte "Colonieen einzelliger Organismen"), sind als actuelle Bionten unter den Protisten und niederen Pflanzen sehr verbreitet. Die Plastiden, welche das Bion vom morphologischen Werthe eines einfachen Organs constituiren, sind bald Cytoden, bald Zellen. Cytoden-Colonieen dieser Art bilden viele niedere Algen und Nematophyten und einige Fla- gellaten. Zellen-Colonieen dagegen werden vorzüglich von den socialen Protisten, von den coloniebildenden Diatomeen (Cocconema, Gompho-
Physiologische Individualität der Organismen.
Von den fünf verschiedenen Stufen oder Ordnungen der Organe, welche wir oben unterschieden haben, treten am häufigsten die Organe erster und zweiter Ordnung, Zellfusionen und einfache Organe, seltener diejenigen dritter Ordnung (zusammengesetzte Organe) als Bionten auf. Niemals können dagegen, ihrer Natur nach, die Organe vierter und fünfter Stufe, die Organsysteme und Organ-Apparate, den Werth von physiologischen Individuen erhalten.
II. A. Die Organe als actuelle Bionten.
Sobald man die ganz verschiedene physiologische und morpholo- gische Bedeutung des Organbegriffs gemischt gebraucht, wie dies ge- wöhnlich geschieht, so wird man zu keiner klaren Anschauung über die wichtige Thatsache gelangen, dass auch morphologische Organe den Werth von actuellen Bionten besitzen, und als solche die reifen Formen selbstständiger Species repräsentiren können. Es ist dies nach unserer Ansicht bei allen denjenigen niederen Organismen der Fall, welche als reife Species-Form einen Plastiden-Complex darstellen, an welchem sich weder Antimeren noch Metameren unterscheiden lassen, und welche demgemäss weder Personen noch echte Stöcke (Cormen) sein können. Hierher gehören sehr viele Protisten und niedere Pflanzen, namentlich aber alle sogenannten „Colonieen von einzelligen Organismen“. Uebrigens können als actuelle Bionten, wie bemerkt, nur Organe erster, zweiter und dritter Ordnung fungiren. Organe vierter und fünfter Stufe (Organ-Systeme und Organ-Apparate), wie wir deren Begriff oben morphologisch festgestellt haben, können ihrer Natur nach niemals die reife Species-Form repräsentiren.
a. Organe erster Ordnung oder Zellfusionen, also Plas- tiden-Complexe, welche aus mehreren verschmolzenen Zellen bestehen (sogenannte „vielkernige Zellen“), treten als actuelle Bionten verhält- nissmässig selten auf, z. B. unter den Protisten bei denjenigen Rhizo- poden (Gromia) und Protoplasten (Arcelliden), deren homogener Sar- code-Körper eine Mehrzahl von Kernen einschliesst.
b. Organe zweiter Ordnung oder einfache (homo- plastische) Organe, also Plastiden-Complexe, welche aus einem Aggregate von mehreren gleichartigen, mehr oder weniger vollständig getrennten Plastiden (Cytoden oder Zellen) bestehen (sogenannte „Colonieen einzelliger Organismen“), sind als actuelle Bionten unter den Protisten und niederen Pflanzen sehr verbreitet. Die Plastiden, welche das Bion vom morphologischen Werthe eines einfachen Organs constituiren, sind bald Cytoden, bald Zellen. Cytoden-Colonieen dieser Art bilden viele niedere Algen und Nematophyten und einige Fla- gellaten. Zellen-Colonieen dagegen werden vorzüglich von den socialen Protisten, von den coloniebildenden Diatomeen (Cocconema, Gompho-
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Physiologische Individualität der Organismen.
Von den fünf verschiedenen Stufen oder Ordnungen der Organe,
welche wir oben unterschieden haben, treten am häufigsten die Organe
erster und zweiter Ordnung, Zellfusionen und einfache Organe, seltener
diejenigen dritter Ordnung (zusammengesetzte Organe) als Bionten auf.
Niemals können dagegen, ihrer Natur nach, die Organe vierter und
fünfter Stufe, die Organsysteme und Organ-Apparate, den Werth von
physiologischen Individuen erhalten.
II. A. Die Organe als actuelle Bionten.
Sobald man die ganz verschiedene physiologische und morpholo-
gische Bedeutung des Organbegriffs gemischt gebraucht, wie dies ge-
wöhnlich geschieht, so wird man zu keiner klaren Anschauung über
die wichtige Thatsache gelangen, dass auch morphologische Organe
den Werth von actuellen Bionten besitzen, und als solche die reifen
Formen selbstständiger Species repräsentiren können. Es ist dies
nach unserer Ansicht bei allen denjenigen niederen Organismen der
Fall, welche als reife Species-Form einen Plastiden-Complex darstellen,
an welchem sich weder Antimeren noch Metameren unterscheiden lassen,
und welche demgemäss weder Personen noch echte Stöcke (Cormen)
sein können. Hierher gehören sehr viele Protisten und niedere
Pflanzen, namentlich aber alle sogenannten „Colonieen von einzelligen
Organismen“. Uebrigens können als actuelle Bionten, wie bemerkt,
nur Organe erster, zweiter und dritter Ordnung fungiren. Organe
vierter und fünfter Stufe (Organ-Systeme und Organ-Apparate), wie
wir deren Begriff oben morphologisch festgestellt haben, können ihrer
Natur nach niemals die reife Species-Form repräsentiren.
a. Organe erster Ordnung oder Zellfusionen, also Plas-
tiden-Complexe, welche aus mehreren verschmolzenen Zellen bestehen
(sogenannte „vielkernige Zellen“), treten als actuelle Bionten verhält-
nissmässig selten auf, z. B. unter den Protisten bei denjenigen Rhizo-
poden (Gromia) und Protoplasten (Arcelliden), deren homogener Sar-
code-Körper eine Mehrzahl von Kernen einschliesst.
b. Organe zweiter Ordnung oder einfache (homo-
plastische) Organe, also Plastiden-Complexe, welche aus einem
Aggregate von mehreren gleichartigen, mehr oder weniger vollständig
getrennten Plastiden (Cytoden oder Zellen) bestehen (sogenannte
„Colonieen einzelliger Organismen“), sind als actuelle Bionten unter
den Protisten und niederen Pflanzen sehr verbreitet. Die Plastiden,
welche das Bion vom morphologischen Werthe eines einfachen Organs
constituiren, sind bald Cytoden, bald Zellen. Cytoden-Colonieen dieser
Art bilden viele niedere Algen und Nematophyten und einige Fla-
gellaten. Zellen-Colonieen dagegen werden vorzüglich von den socialen
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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/381>, abgerufen am 16.07.2024.
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