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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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Physiologische Individualität der Organismen.
logisches Individuum auftreten kann, so gilt dies von allen drei Er-
scheinungsformen des letzteren. Sowohl das actuelle, als das virtuelle,
als endlich auch das partielle Bion kann durch jede der sechs mor-
phologischen Individualitäts-Formen repräsentirt werden. Wir be-
kommen so achtzehn mögliche organische Lebenseinheiten, welche wir
jetzt nach einander in aufsteigender Linie betrachten wollen. Wir wer-
den zuerst von jeder morphologischen Individualitätsstufe das actuelle
Bion als das wichtigste, nächstdem das virtuelle Bion und zuletzt das
partielle Bion in Betracht ziehen. Wir beginnen mit dem morphologi-
schen Individuum erster Ordnung, der Plastide.

I. A. Die Plastiden als actuelle Bionten.

Die Cytoden und Zellen, welche wir oben als Plastiden oder
Form-Individuen erster Ordnung zusammengefasst haben, sind von
allen sechs Individualitätsstufen die bei weitem am meisten verbreitete,
insofern alle Organismen, welche sich aus Eiern (Zellen) oder Sporen
(Keimplastiden) entwickeln, in ihrem ersten Jugendzustande als vir-
tuelle Bionten den Formwerth einfacher Plastiden besessen haben.
Aber auch als actuelle Bionten sind die Cytoden und Zellen von sehr
grosser Bedeutung, und es gehören hierher alle jene monoplastiden
Organismen, welche man gewöhnlich als "einzellige" zu bezeichnen
pflegt. Gegen diesen Ausdruck ist aber zu erinnern, dass es sowohl
einfache Zellen, als auch einfache Cytoden giebt, welche selbstständige
Species repräsentiren, und also den wirklichen Werth von actuellen
Bionten besitzen.

Die Zellen und Cytoden, als die beiden Hauptgruppen aller
Plastiden-Formen, haben wir oben in je zwei untergeordnete Gruppen
geschieden, je nachdem sie eine Membran (Schale) besitzen, oder
nicht (p. 275). Wir erhielten so die vier Kategorieen der Gymno-
cytoden, Lepocytoden, Gymnocyten und Lepocyten. Alle vier Plas-
tiden-Arten kommen als actuelle Bionten vor, besonders häufig im
Protistenreiche, seltener im Pflanzenreiche.

Einfache Gymnocytoden oder Urklumpen, also einfache Plasma-
klumpen ohne Kern und ohne Schale oder Membran, finden sich als
actuelle Bionten in dem Stamme der Moneren, wo die Protamoeben,
Protogeniden und Vibrionen zeitlebens auf dieser niedrigsten Indivi-
dualitätsstufe stehen bleiben. Wahrscheinlich gehört auch Actinophrys
sol
hierher, deren einfacher nackter Sarcode-Körper keine Kerne
einschliesst.

Weit zahlreicher und mannichfaltiger erscheinen die Lepocytoden
oder Hautklumpen entwickelt, welche als actuelle Bionten zahlreiche
Species des Protistenreiches und der niederen Pflanzen-Stämme, be-
sonders der Algen bilden. Wir rechnen hierher alle sogenannten

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logisches Individuum auftreten kann, so gilt dies von allen drei Er-
scheinungsformen des letzteren. Sowohl das actuelle, als das virtuelle,
als endlich auch das partielle Bion kann durch jede der sechs mor-
phologischen Individualitäts-Formen repräsentirt werden. Wir be-
kommen so achtzehn mögliche organische Lebenseinheiten, welche wir
jetzt nach einander in aufsteigender Linie betrachten wollen. Wir wer-
den zuerst von jeder morphologischen Individualitätsstufe das actuelle
Bion als das wichtigste, nächstdem das virtuelle Bion und zuletzt das
partielle Bion in Betracht ziehen. Wir beginnen mit dem morphologi-
schen Individuum erster Ordnung, der Plastide.

I. A. Die Plastiden als actuelle Bionten.

Die Cytoden und Zellen, welche wir oben als Plastiden oder
Form-Individuen erster Ordnung zusammengefasst haben, sind von
allen sechs Individualitätsstufen die bei weitem am meisten verbreitete,
insofern alle Organismen, welche sich aus Eiern (Zellen) oder Sporen
(Keimplastiden) entwickeln, in ihrem ersten Jugendzustande als vir-
tuelle Bionten den Formwerth einfacher Plastiden besessen haben.
Aber auch als actuelle Bionten sind die Cytoden und Zellen von sehr
grosser Bedeutung, und es gehören hierher alle jene monoplastiden
Organismen, welche man gewöhnlich als „einzellige“ zu bezeichnen
pflegt. Gegen diesen Ausdruck ist aber zu erinnern, dass es sowohl
einfache Zellen, als auch einfache Cytoden giebt, welche selbstständige
Species repräsentiren, und also den wirklichen Werth von actuellen
Bionten besitzen.

Die Zellen und Cytoden, als die beiden Hauptgruppen aller
Plastiden-Formen, haben wir oben in je zwei untergeordnete Gruppen
geschieden, je nachdem sie eine Membran (Schale) besitzen, oder
nicht (p. 275). Wir erhielten so die vier Kategorieen der Gymno-
cytoden, Lepocytoden, Gymnocyten und Lepocyten. Alle vier Plas-
tiden-Arten kommen als actuelle Bionten vor, besonders häufig im
Protistenreiche, seltener im Pflanzenreiche.

Einfache Gymnocytoden oder Urklumpen, also einfache Plasma-
klumpen ohne Kern und ohne Schale oder Membran, finden sich als
actuelle Bionten in dem Stamme der Moneren, wo die Protamoeben,
Protogeniden und Vibrionen zeitlebens auf dieser niedrigsten Indivi-
dualitätsstufe stehen bleiben. Wahrscheinlich gehört auch Actinophrys
sol
hierher, deren einfacher nackter Sarcode-Körper keine Kerne
einschliesst.

Weit zahlreicher und mannichfaltiger erscheinen die Lepocytoden
oder Hautklumpen entwickelt, welche als actuelle Bionten zahlreiche
Species des Protistenreiches und der niederen Pflanzen-Stämme, be-
sonders der Algen bilden. Wir rechnen hierher alle sogenannten

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[336/0375] Physiologische Individualität der Organismen. logisches Individuum auftreten kann, so gilt dies von allen drei Er- scheinungsformen des letzteren. Sowohl das actuelle, als das virtuelle, als endlich auch das partielle Bion kann durch jede der sechs mor- phologischen Individualitäts-Formen repräsentirt werden. Wir be- kommen so achtzehn mögliche organische Lebenseinheiten, welche wir jetzt nach einander in aufsteigender Linie betrachten wollen. Wir wer- den zuerst von jeder morphologischen Individualitätsstufe das actuelle Bion als das wichtigste, nächstdem das virtuelle Bion und zuletzt das partielle Bion in Betracht ziehen. Wir beginnen mit dem morphologi- schen Individuum erster Ordnung, der Plastide. I. A. Die Plastiden als actuelle Bionten. Die Cytoden und Zellen, welche wir oben als Plastiden oder Form-Individuen erster Ordnung zusammengefasst haben, sind von allen sechs Individualitätsstufen die bei weitem am meisten verbreitete, insofern alle Organismen, welche sich aus Eiern (Zellen) oder Sporen (Keimplastiden) entwickeln, in ihrem ersten Jugendzustande als vir- tuelle Bionten den Formwerth einfacher Plastiden besessen haben. Aber auch als actuelle Bionten sind die Cytoden und Zellen von sehr grosser Bedeutung, und es gehören hierher alle jene monoplastiden Organismen, welche man gewöhnlich als „einzellige“ zu bezeichnen pflegt. Gegen diesen Ausdruck ist aber zu erinnern, dass es sowohl einfache Zellen, als auch einfache Cytoden giebt, welche selbstständige Species repräsentiren, und also den wirklichen Werth von actuellen Bionten besitzen. Die Zellen und Cytoden, als die beiden Hauptgruppen aller Plastiden-Formen, haben wir oben in je zwei untergeordnete Gruppen geschieden, je nachdem sie eine Membran (Schale) besitzen, oder nicht (p. 275). Wir erhielten so die vier Kategorieen der Gymno- cytoden, Lepocytoden, Gymnocyten und Lepocyten. Alle vier Plas- tiden-Arten kommen als actuelle Bionten vor, besonders häufig im Protistenreiche, seltener im Pflanzenreiche. Einfache Gymnocytoden oder Urklumpen, also einfache Plasma- klumpen ohne Kern und ohne Schale oder Membran, finden sich als actuelle Bionten in dem Stamme der Moneren, wo die Protamoeben, Protogeniden und Vibrionen zeitlebens auf dieser niedrigsten Indivi- dualitätsstufe stehen bleiben. Wahrscheinlich gehört auch Actinophrys sol hierher, deren einfacher nackter Sarcode-Körper keine Kerne einschliesst. Weit zahlreicher und mannichfaltiger erscheinen die Lepocytoden oder Hautklumpen entwickelt, welche als actuelle Bionten zahlreiche Species des Protistenreiches und der niederen Pflanzen-Stämme, be- sonders der Algen bilden. Wir rechnen hierher alle sogenannten

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/375>, abgerufen am 23.11.2024.