Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

Bild:
<< vorherige Seite

III. Morphologische Individuen dritter Ordnung: Antimeren.
bei den Gliederthieren und Würmern "Ringe" oder Zoniten genannt.
Die Antimeren, die neben einander gelegenen Hauptabschnitte da-
gegen hat man, wenn ihrer nur zwei zugegen sind, wie bei den
Wirbel-, Glieder- und Weich-Thieren, als "Körperhälften", wenn ihrer
drei, vier, fünf oder mehr sind, wie bei den "Strahlthieren" und
Phanerogamen-Blüthen, als "Strahlen" oder "Radialsegmente", oft
aber ebenfalls als "Glieder" bezeichnet.

Der einzige Naturforscher, welcher bisher diese beiderlei Theile
vom allgemeineren Gesichtspunkte aus untersucht und auf die hohe
Bedeutung derselben für die Gesetze der organischen Formbildung
hingewiesen hat, ist der verdienstvolle Bronn, welcher in seinen
trefflichen "morphologischen Studien" (1858) diejenigen neben ein-
ander gelegenen Hauptabschnitte, welche wir Antimeren nennen,
als homotypische Theile, diejenigen hinter einander liegenden Ab-
schnitte dagegen, welche wir Metameren nennen, als homonyme
Theile bezeichnet hat. In dem Capitel, in welchem er das wichtige
von ihm entdeckte "Gesetz der Zahlen-Reduction gleichnamiger Theile"
behandelt, fasst er beiderlei Abschnitte als "gleichgesetzliche" oder
"homonome" Körpertheile zusammen und giebt von Beiden eine kurze
Definition, welche jedoch weder erschöpfend, noch hinreichend klar
und genau ist. Wir werden diese Definition in dem nächsten Abschnitte,
welcher von den Metameren handelt, wörtlich anführen und näher
beleuchten, und wenden uns hier sogleich zur näheren Betrachtung
derjenigen Formeinheiten des Organismus, welche wir allgemein als
Antimeren bezeichnen wollen.

Unter Antimeren oder Gegenstücken (den homotypischen
Organen Bronn's
) verstehen wir diejenigen neben (nicht hinter)
einander liegenden, als deutlich geschlossene Einheiten auftretenden
Körperabschnitte oder "Segmente", welche als gleichwerthige Organ-
complexe alle oder fast alle wesentlichen Körpertheile der Species
(alle typischen Organe) in der Art zusammengesetzt enthalten, dass
jedes Antimer die wesentlichsten Eigenschaften der Species als Organ-
Complex repräsentirt, und dass nur noch die Zahl der Antimeren
als das die Species-Form bestimmende Element hinzutritt. Bei den
meisten höheren, sogenannten "bilateral-symmetrischen" Thieren (Wir-
bel-, Glieder-, Weich-Thieren) besteht der Körper demgemäss nur aus
zwei Antimeren, den beiden Körperhälften nämlich, welche in der
Medianebene verwachsen sind. Bei den sogenannten "Strahlthieren",
sowie bei den allermeisten Geschlechts-Individuen (Blüthen) der Pha-
nerogamen, ist dagegen der Körper aus so vielen Antimeren zusam-
mengesetzt, als "Strahlen", d. h. Kreuzaxen, vorhanden sind, also
drei bei den meisten Monocotyledonen und vielen Radiolarien, vier
bei den meisten Medusen, den Rugosen und Cereanthiden, ferner auch

Haeckel, Generelle Morphologie. 20

III. Morphologische Individuen dritter Ordnung: Antimeren.
bei den Gliederthieren und Würmern „Ringe“ oder Zoniten genannt.
Die Antimeren, die neben einander gelegenen Hauptabschnitte da-
gegen hat man, wenn ihrer nur zwei zugegen sind, wie bei den
Wirbel-, Glieder- und Weich-Thieren, als „Körperhälften“, wenn ihrer
drei, vier, fünf oder mehr sind, wie bei den „Strahlthieren“ und
Phanerogamen-Blüthen, als „Strahlen“ oder „Radialsegmente“, oft
aber ebenfalls als „Glieder“ bezeichnet.

Der einzige Naturforscher, welcher bisher diese beiderlei Theile
vom allgemeineren Gesichtspunkte aus untersucht und auf die hohe
Bedeutung derselben für die Gesetze der organischen Formbildung
hingewiesen hat, ist der verdienstvolle Bronn, welcher in seinen
trefflichen „morphologischen Studien“ (1858) diejenigen neben ein-
ander gelegenen Hauptabschnitte, welche wir Antimeren nennen,
als homotypische Theile, diejenigen hinter einander liegenden Ab-
schnitte dagegen, welche wir Metameren nennen, als homonyme
Theile bezeichnet hat. In dem Capitel, in welchem er das wichtige
von ihm entdeckte „Gesetz der Zahlen-Reduction gleichnamiger Theile“
behandelt, fasst er beiderlei Abschnitte als „gleichgesetzliche“ oder
„homonome“ Körpertheile zusammen und giebt von Beiden eine kurze
Definition, welche jedoch weder erschöpfend, noch hinreichend klar
und genau ist. Wir werden diese Definition in dem nächsten Abschnitte,
welcher von den Metameren handelt, wörtlich anführen und näher
beleuchten, und wenden uns hier sogleich zur näheren Betrachtung
derjenigen Formeinheiten des Organismus, welche wir allgemein als
Antimeren bezeichnen wollen.

Unter Antimeren oder Gegenstücken (den homotypischen
Organen Bronn’s
) verstehen wir diejenigen neben (nicht hinter)
einander liegenden, als deutlich geschlossene Einheiten auftretenden
Körperabschnitte oder „Segmente“, welche als gleichwerthige Organ-
complexe alle oder fast alle wesentlichen Körpertheile der Species
(alle typischen Organe) in der Art zusammengesetzt enthalten, dass
jedes Antimer die wesentlichsten Eigenschaften der Species als Organ-
Complex repräsentirt, und dass nur noch die Zahl der Antimeren
als das die Species-Form bestimmende Element hinzutritt. Bei den
meisten höheren, sogenannten „bilateral-symmetrischen“ Thieren (Wir-
bel-, Glieder-, Weich-Thieren) besteht der Körper demgemäss nur aus
zwei Antimeren, den beiden Körperhälften nämlich, welche in der
Medianebene verwachsen sind. Bei den sogenannten „Strahlthieren“,
sowie bei den allermeisten Geschlechts-Individuen (Blüthen) der Pha-
nerogamen, ist dagegen der Körper aus so vielen Antimeren zusam-
mengesetzt, als „Strahlen“, d. h. Kreuzaxen, vorhanden sind, also
drei bei den meisten Monocotyledonen und vielen Radiolarien, vier
bei den meisten Medusen, den Rugosen und Cereanthiden, ferner auch

Haeckel, Generelle Morphologie. 20
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0344" n="305"/><fw place="top" type="header">III. Morphologische Individuen dritter Ordnung: Antimeren.</fw><lb/>
bei den Gliederthieren und Würmern &#x201E;Ringe&#x201C; oder Zoniten genannt.<lb/>
Die Antimeren, die <hi rendition="#g">neben</hi> einander gelegenen Hauptabschnitte da-<lb/>
gegen hat man, wenn ihrer nur zwei zugegen sind, wie bei den<lb/>
Wirbel-, Glieder- und Weich-Thieren, als &#x201E;Körperhälften&#x201C;, wenn ihrer<lb/>
drei, vier, fünf oder mehr sind, wie bei den &#x201E;Strahlthieren&#x201C; und<lb/>
Phanerogamen-Blüthen, als &#x201E;Strahlen&#x201C; oder &#x201E;Radialsegmente&#x201C;, oft<lb/>
aber ebenfalls als &#x201E;Glieder&#x201C; bezeichnet.</p><lb/>
            <p>Der einzige Naturforscher, welcher bisher diese beiderlei Theile<lb/>
vom allgemeineren Gesichtspunkte aus untersucht und auf die hohe<lb/>
Bedeutung derselben für die Gesetze der organischen Formbildung<lb/>
hingewiesen hat, ist der verdienstvolle <hi rendition="#g">Bronn,</hi> welcher in seinen<lb/>
trefflichen &#x201E;morphologischen Studien&#x201C; (1858) diejenigen <hi rendition="#g">neben</hi> ein-<lb/>
ander gelegenen Hauptabschnitte, welche wir <hi rendition="#g">Antimeren</hi> nennen,<lb/>
als <hi rendition="#g">homotypische</hi> Theile, diejenigen <hi rendition="#g">hinter</hi> einander liegenden Ab-<lb/>
schnitte dagegen, welche wir <hi rendition="#g">Metameren</hi> nennen, als <hi rendition="#g">homonyme</hi><lb/>
Theile bezeichnet hat. In dem Capitel, in welchem er das wichtige<lb/>
von ihm entdeckte &#x201E;Gesetz der Zahlen-Reduction gleichnamiger Theile&#x201C;<lb/>
behandelt, fasst er beiderlei Abschnitte als &#x201E;gleichgesetzliche&#x201C; oder<lb/>
&#x201E;homonome&#x201C; Körpertheile zusammen und giebt von Beiden eine kurze<lb/>
Definition, welche jedoch weder erschöpfend, noch hinreichend klar<lb/>
und genau ist. Wir werden diese Definition in dem nächsten Abschnitte,<lb/>
welcher von den Metameren handelt, wörtlich anführen und näher<lb/>
beleuchten, und wenden uns hier sogleich zur näheren Betrachtung<lb/>
derjenigen Formeinheiten des Organismus, welche wir allgemein als<lb/>
Antimeren bezeichnen wollen.</p><lb/>
            <p>Unter <hi rendition="#g">Antimeren oder Gegenstücken</hi> (den <hi rendition="#g">homotypischen<lb/>
Organen Bronn&#x2019;s</hi>) verstehen wir diejenigen <hi rendition="#g">neben</hi> (nicht hinter)<lb/>
einander liegenden, als deutlich geschlossene Einheiten auftretenden<lb/>
Körperabschnitte oder &#x201E;Segmente&#x201C;, welche als gleichwerthige Organ-<lb/>
complexe alle oder fast alle wesentlichen Körpertheile der Species<lb/>
(alle typischen Organe) in der Art zusammengesetzt enthalten, dass<lb/>
jedes Antimer die wesentlichsten Eigenschaften der Species als Organ-<lb/>
Complex repräsentirt, und dass nur noch die <hi rendition="#g">Zahl</hi> der Antimeren<lb/>
als das die Species-Form bestimmende Element hinzutritt. Bei den<lb/>
meisten höheren, sogenannten &#x201E;bilateral-symmetrischen&#x201C; Thieren (Wir-<lb/>
bel-, Glieder-, Weich-Thieren) besteht der Körper demgemäss nur aus<lb/><hi rendition="#g">zwei</hi> Antimeren, den beiden Körperhälften nämlich, welche in der<lb/>
Medianebene verwachsen sind. Bei den sogenannten &#x201E;Strahlthieren&#x201C;,<lb/>
sowie bei den allermeisten Geschlechts-Individuen (Blüthen) der Pha-<lb/>
nerogamen, ist dagegen der Körper aus so vielen Antimeren zusam-<lb/>
mengesetzt, als &#x201E;Strahlen&#x201C;, d. h. Kreuzaxen, vorhanden sind, also<lb/><hi rendition="#g">drei</hi> bei den meisten Monocotyledonen und vielen Radiolarien, <hi rendition="#g">vier</hi><lb/>
bei den meisten Medusen, den Rugosen und Cereanthiden, ferner auch<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Haeckel,</hi> Generelle Morphologie. 20</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[305/0344] III. Morphologische Individuen dritter Ordnung: Antimeren. bei den Gliederthieren und Würmern „Ringe“ oder Zoniten genannt. Die Antimeren, die neben einander gelegenen Hauptabschnitte da- gegen hat man, wenn ihrer nur zwei zugegen sind, wie bei den Wirbel-, Glieder- und Weich-Thieren, als „Körperhälften“, wenn ihrer drei, vier, fünf oder mehr sind, wie bei den „Strahlthieren“ und Phanerogamen-Blüthen, als „Strahlen“ oder „Radialsegmente“, oft aber ebenfalls als „Glieder“ bezeichnet. Der einzige Naturforscher, welcher bisher diese beiderlei Theile vom allgemeineren Gesichtspunkte aus untersucht und auf die hohe Bedeutung derselben für die Gesetze der organischen Formbildung hingewiesen hat, ist der verdienstvolle Bronn, welcher in seinen trefflichen „morphologischen Studien“ (1858) diejenigen neben ein- ander gelegenen Hauptabschnitte, welche wir Antimeren nennen, als homotypische Theile, diejenigen hinter einander liegenden Ab- schnitte dagegen, welche wir Metameren nennen, als homonyme Theile bezeichnet hat. In dem Capitel, in welchem er das wichtige von ihm entdeckte „Gesetz der Zahlen-Reduction gleichnamiger Theile“ behandelt, fasst er beiderlei Abschnitte als „gleichgesetzliche“ oder „homonome“ Körpertheile zusammen und giebt von Beiden eine kurze Definition, welche jedoch weder erschöpfend, noch hinreichend klar und genau ist. Wir werden diese Definition in dem nächsten Abschnitte, welcher von den Metameren handelt, wörtlich anführen und näher beleuchten, und wenden uns hier sogleich zur näheren Betrachtung derjenigen Formeinheiten des Organismus, welche wir allgemein als Antimeren bezeichnen wollen. Unter Antimeren oder Gegenstücken (den homotypischen Organen Bronn’s) verstehen wir diejenigen neben (nicht hinter) einander liegenden, als deutlich geschlossene Einheiten auftretenden Körperabschnitte oder „Segmente“, welche als gleichwerthige Organ- complexe alle oder fast alle wesentlichen Körpertheile der Species (alle typischen Organe) in der Art zusammengesetzt enthalten, dass jedes Antimer die wesentlichsten Eigenschaften der Species als Organ- Complex repräsentirt, und dass nur noch die Zahl der Antimeren als das die Species-Form bestimmende Element hinzutritt. Bei den meisten höheren, sogenannten „bilateral-symmetrischen“ Thieren (Wir- bel-, Glieder-, Weich-Thieren) besteht der Körper demgemäss nur aus zwei Antimeren, den beiden Körperhälften nämlich, welche in der Medianebene verwachsen sind. Bei den sogenannten „Strahlthieren“, sowie bei den allermeisten Geschlechts-Individuen (Blüthen) der Pha- nerogamen, ist dagegen der Körper aus so vielen Antimeren zusam- mengesetzt, als „Strahlen“, d. h. Kreuzaxen, vorhanden sind, also drei bei den meisten Monocotyledonen und vielen Radiolarien, vier bei den meisten Medusen, den Rugosen und Cereanthiden, ferner auch Haeckel, Generelle Morphologie. 20

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/344
Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/344>, abgerufen am 11.06.2024.