Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

Bild:
<< vorherige Seite
II. Morphologische Individuen zweiter Ordnung: Organe.

Aus dem Vorhergehenden ergiebt sich bereits, dass wir "höhere
Elementartheile" nur von Zellen, d. h. von kernführenden Plastiden,
nicht aber von Cytoden oder kernlosen Plastiden gebildet, wahrnehmen
können. Denn wenn wir auch wirklich grössere Cytoden durch Ver-
schmelzung mehrerer kleinerer entstehen sehen, (wie es z. B. bei den
Plasmodien der Myxomyceten der Fall ist), so besitzen wir durchaus
kein morphologisches Kriterium, um diesen Cytodencomplex als solchen
erkennen und von den ursprünglich einfachen Cytoden derselben Art
unterscheiden zu können. Bei den Zellstöcken dagegen, welche durch
Verschmelzung mehrerer Zellen entstehen, ist ihr Ursprung so lange
erkennbar, als die Kerne der verschmolzenen Zellen noch persistiren.
Denn der Kern der Zelle bestimmt ihre Individualität.

Die häufigste Form, in welcher die Zellfusionen oder Zellenstöcke auf-
treten, ist die langgestreckte Form einer cylindrischen oder bandförmig ab-
geplatteten Röhre oder Faser. Solche Röhren oder Fasern sind die soge-
nannten Muskelprimitivbündel der quergestreiften Muskeln, welche besser
als Muskelprimitivröhren oder Muskelprimitivfasern bezeichnet
werden. Der Zellenstock bildet hier ein sehr langgestrecktes, an beiden
Enden zugespitztes cylindrisches Rohr, dessen zarte Hülle, das Sarcolemma
oder die Primitivscheide, eine Ausscheidung der innig verbundenen mem-
branlosen Zellen ist, welche dies Rohr ausfüllen. Das Plasma der ver-
schmolzenen Zellen ist grossentheils zu der sogenannten "quergestreiften
Masse" contractiler Substanz differenzirt, d. h. in eine Menge von kubischen
Körperchen (Muskelwürfeln) zerfallen, welche durch zwei verschiedene
Zwischensubstanzen (Quer- und Längs-Bindemittel) der Quere nach zu
"Dises", der Länge nach zu "Fibrillen" vereinigt werden.1) Die nicht
differenzirten Reste des Protoplasma finden sich als eine feinkörnige weichere
Masse theils zwischen den Würfeln, theils an der Innenfläche der von ihm
ausgeschiedenen Primitivröhren, theils (und oft besonders reichlich) um die
einzelnen Kerne angehäuft, welche als die Centralheerde der differenzirten
Zellen persistiren. Die Zahl dieser Kerne bezeichnet die Zahl der Zellen,
welche in der Bildung des Zellenstockes aufgegangen sind. Ganz ähnlich
den Muskelprimitivröhren verhalten sich die Nervenprimitivröhren,
deren Primitivscheide ebenfalls als Ausscheidung des Plasma der vereinig-
ten Zellen zu betrachten ist. Das Plasma hat sich bei den dunkeln oder
markhaltigen Nervenfasern in eine äussere (fettige) Markscheide und einen
inneren (albuminosen) Axencylinder differenzirt. Die Kerne der vereinigten
Zellen liegen meist an der Innenseite der Primitivscheide, zwischen ihr und
dem Plasma. In diesen Fällen bleiben also die einzelnen Zellen des
Stockes membranlos, während der ganze Stock oder die Fusion ein Mem-
bran (Primitivscheide) absondert.

1) Ueber die Verbindung der Muskelwürfel oder "sarcous elements" durch
zweierlei verschiedene Zwischensubstanzen (Quer- und Längs-Bindemittel)
vergl. meinen Aufsatz über die Gewebe des Flusskrebses (Müllers Archiv 1857.)
II. Morphologische Individuen zweiter Ordnung: Organe.

Aus dem Vorhergehenden ergiebt sich bereits, dass wir „höhere
Elementartheile“ nur von Zellen, d. h. von kernführenden Plastiden,
nicht aber von Cytoden oder kernlosen Plastiden gebildet, wahrnehmen
können. Denn wenn wir auch wirklich grössere Cytoden durch Ver-
schmelzung mehrerer kleinerer entstehen sehen, (wie es z. B. bei den
Plasmodien der Myxomyceten der Fall ist), so besitzen wir durchaus
kein morphologisches Kriterium, um diesen Cytodencomplex als solchen
erkennen und von den ursprünglich einfachen Cytoden derselben Art
unterscheiden zu können. Bei den Zellstöcken dagegen, welche durch
Verschmelzung mehrerer Zellen entstehen, ist ihr Ursprung so lange
erkennbar, als die Kerne der verschmolzenen Zellen noch persistiren.
Denn der Kern der Zelle bestimmt ihre Individualität.

Die häufigste Form, in welcher die Zellfusionen oder Zellenstöcke auf-
treten, ist die langgestreckte Form einer cylindrischen oder bandförmig ab-
geplatteten Röhre oder Faser. Solche Röhren oder Fasern sind die soge-
nannten Muskelprimitivbündel der quergestreiften Muskeln, welche besser
als Muskelprimitivröhren oder Muskelprimitivfasern bezeichnet
werden. Der Zellenstock bildet hier ein sehr langgestrecktes, an beiden
Enden zugespitztes cylindrisches Rohr, dessen zarte Hülle, das Sarcolemma
oder die Primitivscheide, eine Ausscheidung der innig verbundenen mem-
branlosen Zellen ist, welche dies Rohr ausfüllen. Das Plasma der ver-
schmolzenen Zellen ist grossentheils zu der sogenannten „quergestreiften
Masse“ contractiler Substanz differenzirt, d. h. in eine Menge von kubischen
Körperchen (Muskelwürfeln) zerfallen, welche durch zwei verschiedene
Zwischensubstanzen (Quer- und Längs-Bindemittel) der Quere nach zu
„Dises“, der Länge nach zu „Fibrillen“ vereinigt werden.1) Die nicht
differenzirten Reste des Protoplasma finden sich als eine feinkörnige weichere
Masse theils zwischen den Würfeln, theils an der Innenfläche der von ihm
ausgeschiedenen Primitivröhren, theils (und oft besonders reichlich) um die
einzelnen Kerne angehäuft, welche als die Centralheerde der differenzirten
Zellen persistiren. Die Zahl dieser Kerne bezeichnet die Zahl der Zellen,
welche in der Bildung des Zellenstockes aufgegangen sind. Ganz ähnlich
den Muskelprimitivröhren verhalten sich die Nervenprimitivröhren,
deren Primitivscheide ebenfalls als Ausscheidung des Plasma der vereinig-
ten Zellen zu betrachten ist. Das Plasma hat sich bei den dunkeln oder
markhaltigen Nervenfasern in eine äussere (fettige) Markscheide und einen
inneren (albuminosen) Axencylinder differenzirt. Die Kerne der vereinigten
Zellen liegen meist an der Innenseite der Primitivscheide, zwischen ihr und
dem Plasma. In diesen Fällen bleiben also die einzelnen Zellen des
Stockes membranlos, während der ganze Stock oder die Fusion ein Mem-
bran (Primitivscheide) absondert.

1) Ueber die Verbindung der Muskelwürfel oder „sarcous elements“ durch
zweierlei verschiedene Zwischensubstanzen (Quer- und Längs-Bindemittel)
vergl. meinen Aufsatz über die Gewebe des Flusskrebses (Müllers Archiv 1857.)
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <pb facs="#f0336" n="297"/>
                <fw place="top" type="header">II. Morphologische Individuen zweiter Ordnung: Organe.</fw><lb/>
                <p>Aus dem Vorhergehenden ergiebt sich bereits, dass wir &#x201E;höhere<lb/>
Elementartheile&#x201C; nur von Zellen, d. h. von kernführenden Plastiden,<lb/>
nicht aber von Cytoden oder kernlosen Plastiden gebildet, wahrnehmen<lb/>
können. Denn wenn wir auch wirklich grössere Cytoden durch Ver-<lb/>
schmelzung mehrerer kleinerer entstehen sehen, (wie es z. B. bei den<lb/>
Plasmodien der Myxomyceten der Fall ist), so besitzen wir durchaus<lb/>
kein morphologisches Kriterium, um diesen Cytodencomplex als solchen<lb/>
erkennen und von den ursprünglich einfachen Cytoden derselben Art<lb/>
unterscheiden zu können. Bei den Zellstöcken dagegen, welche durch<lb/>
Verschmelzung mehrerer Zellen entstehen, ist ihr Ursprung so lange<lb/>
erkennbar, als die Kerne der verschmolzenen Zellen noch persistiren.<lb/>
Denn der Kern der Zelle bestimmt ihre Individualität.</p><lb/>
                <p>Die häufigste Form, in welcher die Zellfusionen oder Zellenstöcke auf-<lb/>
treten, ist die langgestreckte Form einer cylindrischen oder bandförmig ab-<lb/>
geplatteten Röhre oder Faser. Solche Röhren oder Fasern sind die soge-<lb/>
nannten Muskelprimitivbündel der quergestreiften Muskeln, welche besser<lb/>
als <hi rendition="#g">Muskelprimitivröhren</hi> oder <hi rendition="#g">Muskelprimitivfasern</hi> bezeichnet<lb/>
werden. Der Zellenstock bildet hier ein sehr langgestrecktes, an beiden<lb/>
Enden zugespitztes cylindrisches Rohr, dessen zarte Hülle, das Sarcolemma<lb/>
oder die Primitivscheide, eine Ausscheidung der innig verbundenen mem-<lb/>
branlosen Zellen ist, welche dies Rohr ausfüllen. Das Plasma der ver-<lb/>
schmolzenen Zellen ist grossentheils zu der sogenannten &#x201E;quergestreiften<lb/>
Masse&#x201C; contractiler Substanz differenzirt, d. h. in eine Menge von kubischen<lb/>
Körperchen (Muskelwürfeln) zerfallen, welche durch zwei verschiedene<lb/>
Zwischensubstanzen (Quer- und Längs-Bindemittel) der Quere nach zu<lb/>
&#x201E;Dises&#x201C;, der Länge nach zu &#x201E;Fibrillen&#x201C; vereinigt werden.<note place="foot" n="1)">Ueber die Verbindung der Muskelwürfel oder &#x201E;sarcous elements&#x201C; durch<lb/>
zweierlei verschiedene Zwischensubstanzen (Quer- und Längs-Bindemittel)<lb/>
vergl. meinen Aufsatz über die Gewebe des Flusskrebses (Müllers Archiv 1857.)</note> Die nicht<lb/>
differenzirten Reste des Protoplasma finden sich als eine feinkörnige weichere<lb/>
Masse theils zwischen den Würfeln, theils an der Innenfläche der von ihm<lb/>
ausgeschiedenen Primitivröhren, theils (und oft besonders reichlich) um die<lb/>
einzelnen Kerne angehäuft, welche als die Centralheerde der differenzirten<lb/>
Zellen persistiren. Die Zahl dieser Kerne bezeichnet die Zahl der Zellen,<lb/>
welche in der Bildung des Zellenstockes aufgegangen sind. Ganz ähnlich<lb/>
den Muskelprimitivröhren verhalten sich die <hi rendition="#g">Nervenprimitivröhren,</hi><lb/>
deren Primitivscheide ebenfalls als Ausscheidung des Plasma der vereinig-<lb/>
ten Zellen zu betrachten ist. Das Plasma hat sich bei den dunkeln oder<lb/>
markhaltigen Nervenfasern in eine äussere (fettige) Markscheide und einen<lb/>
inneren (albuminosen) Axencylinder differenzirt. Die Kerne der vereinigten<lb/>
Zellen liegen meist an der Innenseite der Primitivscheide, zwischen ihr und<lb/>
dem Plasma. In diesen Fällen bleiben also die einzelnen Zellen des<lb/>
Stockes membranlos, während der ganze Stock oder die Fusion ein Mem-<lb/>
bran (Primitivscheide) absondert.</p><lb/>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[297/0336] II. Morphologische Individuen zweiter Ordnung: Organe. Aus dem Vorhergehenden ergiebt sich bereits, dass wir „höhere Elementartheile“ nur von Zellen, d. h. von kernführenden Plastiden, nicht aber von Cytoden oder kernlosen Plastiden gebildet, wahrnehmen können. Denn wenn wir auch wirklich grössere Cytoden durch Ver- schmelzung mehrerer kleinerer entstehen sehen, (wie es z. B. bei den Plasmodien der Myxomyceten der Fall ist), so besitzen wir durchaus kein morphologisches Kriterium, um diesen Cytodencomplex als solchen erkennen und von den ursprünglich einfachen Cytoden derselben Art unterscheiden zu können. Bei den Zellstöcken dagegen, welche durch Verschmelzung mehrerer Zellen entstehen, ist ihr Ursprung so lange erkennbar, als die Kerne der verschmolzenen Zellen noch persistiren. Denn der Kern der Zelle bestimmt ihre Individualität. Die häufigste Form, in welcher die Zellfusionen oder Zellenstöcke auf- treten, ist die langgestreckte Form einer cylindrischen oder bandförmig ab- geplatteten Röhre oder Faser. Solche Röhren oder Fasern sind die soge- nannten Muskelprimitivbündel der quergestreiften Muskeln, welche besser als Muskelprimitivröhren oder Muskelprimitivfasern bezeichnet werden. Der Zellenstock bildet hier ein sehr langgestrecktes, an beiden Enden zugespitztes cylindrisches Rohr, dessen zarte Hülle, das Sarcolemma oder die Primitivscheide, eine Ausscheidung der innig verbundenen mem- branlosen Zellen ist, welche dies Rohr ausfüllen. Das Plasma der ver- schmolzenen Zellen ist grossentheils zu der sogenannten „quergestreiften Masse“ contractiler Substanz differenzirt, d. h. in eine Menge von kubischen Körperchen (Muskelwürfeln) zerfallen, welche durch zwei verschiedene Zwischensubstanzen (Quer- und Längs-Bindemittel) der Quere nach zu „Dises“, der Länge nach zu „Fibrillen“ vereinigt werden. 1) Die nicht differenzirten Reste des Protoplasma finden sich als eine feinkörnige weichere Masse theils zwischen den Würfeln, theils an der Innenfläche der von ihm ausgeschiedenen Primitivröhren, theils (und oft besonders reichlich) um die einzelnen Kerne angehäuft, welche als die Centralheerde der differenzirten Zellen persistiren. Die Zahl dieser Kerne bezeichnet die Zahl der Zellen, welche in der Bildung des Zellenstockes aufgegangen sind. Ganz ähnlich den Muskelprimitivröhren verhalten sich die Nervenprimitivröhren, deren Primitivscheide ebenfalls als Ausscheidung des Plasma der vereinig- ten Zellen zu betrachten ist. Das Plasma hat sich bei den dunkeln oder markhaltigen Nervenfasern in eine äussere (fettige) Markscheide und einen inneren (albuminosen) Axencylinder differenzirt. Die Kerne der vereinigten Zellen liegen meist an der Innenseite der Primitivscheide, zwischen ihr und dem Plasma. In diesen Fällen bleiben also die einzelnen Zellen des Stockes membranlos, während der ganze Stock oder die Fusion ein Mem- bran (Primitivscheide) absondert. 1) Ueber die Verbindung der Muskelwürfel oder „sarcous elements“ durch zweierlei verschiedene Zwischensubstanzen (Quer- und Längs-Bindemittel) vergl. meinen Aufsatz über die Gewebe des Flusskrebses (Müllers Archiv 1857.)

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/336
Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/336>, abgerufen am 11.06.2024.