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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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Begriff und Aufgabe der Tectologie.

Physiologisches Individuum oder Leistungs-Individuum oder
Lebenseinheit nennen wir diejenige einheitliche Formerscheinung,
welche vollkommen selbstständig längere oder kürzere Zeit hindurch
eine eigene Existenz zu führen vermag; eine Existenz, welche sich in
allen Fällen in der Bethätigung der allgemeinsten organischen Func-
tion äussert, in der Selbsterhaltung. Das Leistungs-Individuum ist
demnach eine einfache, zusammenhängende Raumgrösse, welche wir
als solche längere oder kürzere Zeit hindurch leben, d. h. sich er-
nähren sehen, und welche wir also im Momente der Beurtheilung als
veränderlich ansehen. Sehr häufig vermag dieselbe ausserdem sich
fortzupflanzen und auch andere Lebens-Functionen zu vollziehen. Der
Kürze halber wollen wir die physiologischen Individuen ein für alle-
mal mit dem Namen der Bionten oder Onten belegen. 1)

Die morphologische Individualität zerfällt in sechs verschiedene,
subordinirte Kategorieen oder Ordnungen von Individuen, und
jede dieser Ordnungen tritt in bestimmten Organismen als physiolo-
gische Individualität auf. Für jede Art (Species) ist aber eine be-
stimmte Ordnung als höchste characteristisch und repräsentirt hier
ausnahmslos die eigentliche physiologische Individualität, wenigstens
zur Zeit der vollkommenen Reife des Organismus. Die sechs Ord-
nungen der organischen Individualität sind folgende:

I. Plastiden (Cytoden und Zellen) oder "Elementar-Organismen."
II. Organe (Zellenstöcke oder Zellfusionen, einfache oder homo-
plastische Organe, zusammengesetzte oder heteroplastische Organe,
Organ-Systeme, Organ-Apparate).
III. Antimeren (Gegenstücke oder homotype Theile). "Strahlen" der
Strahlthiere, "Hälften" der eudipleuren (bilateral-symmetrischen)
Thiere etc.
IV. Metameren (Folgestücke oder homodyname Theile). "Stengel-
glieder" der Phanerogamen, "Segmente", Ringe oder Zoniten der
Gliederthiere und Wirbelthiere etc.
V. Personen (Prosopen). Sprosse oder Gemmae der Pflanzen und
Coelenteraten etc. "Individuen" im engsten Sinne bei den höheren
Thieren.
VI. Cormen (Stöcke oder Colonieen). Bäume, Sträucher etc. (Zu-
sammengesetzte Pflanzen). Salpenketten, Polypenstöcke etc.

Jedes dieser sechs morphologischen Individuen verschiedener Ord-
nung vermag als selbstständige Lebenseinheit aufzutreten und das
physiologische Individuum zu repräsentiren. Auf der niedersten Stufe
der Plastiden bleiben sehr viele Organismen zeitlebens stehen, z. B.

1) bion, to (bionta, ta) das physiologische Individuum als concrete Lebens-
einheit, als selbstständiges "Lebewesen."
Begriff und Aufgabe der Tectologie.

Physiologisches Individuum oder Leistungs-Individuum oder
Lebenseinheit nennen wir diejenige einheitliche Formerscheinung,
welche vollkommen selbstständig längere oder kürzere Zeit hindurch
eine eigene Existenz zu führen vermag; eine Existenz, welche sich in
allen Fällen in der Bethätigung der allgemeinsten organischen Func-
tion äussert, in der Selbsterhaltung. Das Leistungs-Individuum ist
demnach eine einfache, zusammenhängende Raumgrösse, welche wir
als solche längere oder kürzere Zeit hindurch leben, d. h. sich er-
nähren sehen, und welche wir also im Momente der Beurtheilung als
veränderlich ansehen. Sehr häufig vermag dieselbe ausserdem sich
fortzupflanzen und auch andere Lebens-Functionen zu vollziehen. Der
Kürze halber wollen wir die physiologischen Individuen ein für alle-
mal mit dem Namen der Bionten oder Onten belegen. 1)

Die morphologische Individualität zerfällt in sechs verschiedene,
subordinirte Kategorieen oder Ordnungen von Individuen, und
jede dieser Ordnungen tritt in bestimmten Organismen als physiolo-
gische Individualität auf. Für jede Art (Species) ist aber eine be-
stimmte Ordnung als höchste characteristisch und repräsentirt hier
ausnahmslos die eigentliche physiologische Individualität, wenigstens
zur Zeit der vollkommenen Reife des Organismus. Die sechs Ord-
nungen der organischen Individualität sind folgende:

I. Plastiden (Cytoden und Zellen) oder „Elementar-Organismen.“
II. Organe (Zellenstöcke oder Zellfusionen, einfache oder homo-
plastische Organe, zusammengesetzte oder heteroplastische Organe,
Organ-Systeme, Organ-Apparate).
III. Antimeren (Gegenstücke oder homotype Theile). „Strahlen“ der
Strahlthiere, „Hälften“ der eudipleuren (bilateral-symmetrischen)
Thiere etc.
IV. Metameren (Folgestücke oder homodyname Theile). „Stengel-
glieder“ der Phanerogamen, „Segmente“, Ringe oder Zoniten der
Gliederthiere und Wirbelthiere etc.
V. Personen (Prosopen). Sprosse oder Gemmae der Pflanzen und
Coelenteraten etc. „Individuen“ im engsten Sinne bei den höheren
Thieren.
VI. Cormen (Stöcke oder Colonieen). Bäume, Sträucher etc. (Zu-
sammengesetzte Pflanzen). Salpenketten, Polypenstöcke etc.

Jedes dieser sechs morphologischen Individuen verschiedener Ord-
nung vermag als selbstständige Lebenseinheit aufzutreten und das
physiologische Individuum zu repräsentiren. Auf der niedersten Stufe
der Plastiden bleiben sehr viele Organismen zeitlebens stehen, z. B.

1) βίον, τὸ (βίοντα, τὰ) das physiologische Individuum als concrete Lebens-
einheit, als selbstständiges „Lebewesen.“
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[266/0305] Begriff und Aufgabe der Tectologie. Physiologisches Individuum oder Leistungs-Individuum oder Lebenseinheit nennen wir diejenige einheitliche Formerscheinung, welche vollkommen selbstständig längere oder kürzere Zeit hindurch eine eigene Existenz zu führen vermag; eine Existenz, welche sich in allen Fällen in der Bethätigung der allgemeinsten organischen Func- tion äussert, in der Selbsterhaltung. Das Leistungs-Individuum ist demnach eine einfache, zusammenhängende Raumgrösse, welche wir als solche längere oder kürzere Zeit hindurch leben, d. h. sich er- nähren sehen, und welche wir also im Momente der Beurtheilung als veränderlich ansehen. Sehr häufig vermag dieselbe ausserdem sich fortzupflanzen und auch andere Lebens-Functionen zu vollziehen. Der Kürze halber wollen wir die physiologischen Individuen ein für alle- mal mit dem Namen der Bionten oder Onten belegen. 1) Die morphologische Individualität zerfällt in sechs verschiedene, subordinirte Kategorieen oder Ordnungen von Individuen, und jede dieser Ordnungen tritt in bestimmten Organismen als physiolo- gische Individualität auf. Für jede Art (Species) ist aber eine be- stimmte Ordnung als höchste characteristisch und repräsentirt hier ausnahmslos die eigentliche physiologische Individualität, wenigstens zur Zeit der vollkommenen Reife des Organismus. Die sechs Ord- nungen der organischen Individualität sind folgende: I. Plastiden (Cytoden und Zellen) oder „Elementar-Organismen.“ II. Organe (Zellenstöcke oder Zellfusionen, einfache oder homo- plastische Organe, zusammengesetzte oder heteroplastische Organe, Organ-Systeme, Organ-Apparate). III. Antimeren (Gegenstücke oder homotype Theile). „Strahlen“ der Strahlthiere, „Hälften“ der eudipleuren (bilateral-symmetrischen) Thiere etc. IV. Metameren (Folgestücke oder homodyname Theile). „Stengel- glieder“ der Phanerogamen, „Segmente“, Ringe oder Zoniten der Gliederthiere und Wirbelthiere etc. V. Personen (Prosopen). Sprosse oder Gemmae der Pflanzen und Coelenteraten etc. „Individuen“ im engsten Sinne bei den höheren Thieren. VI. Cormen (Stöcke oder Colonieen). Bäume, Sträucher etc. (Zu- sammengesetzte Pflanzen). Salpenketten, Polypenstöcke etc. Jedes dieser sechs morphologischen Individuen verschiedener Ord- nung vermag als selbstständige Lebenseinheit aufzutreten und das physiologische Individuum zu repräsentiren. Auf der niedersten Stufe der Plastiden bleiben sehr viele Organismen zeitlebens stehen, z. B. 1) βίον, τὸ (βίοντα, τὰ) das physiologische Individuum als concrete Lebens- einheit, als selbstständiges „Lebewesen.“

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/305>, abgerufen am 24.11.2024.